Tichys Einblick
Festrede Arnold Vaatz zur Deutschen Einheit

SPD, Grüne und Linke haben sich ins Abseits geschossen

Bürgerrechtler Arnold Vaatz konnte trotz aller rotgrünen Boykottmaßnahmen seine Rede im sächsischen Landtag zum 30. Einheitsjubiläum halten. Die leeren Reihen von Rot-Rot-Grün durften Sachsens Bürger und prominente Gäste als Zuhörer besetzen. Von Olaf Opitz aus Dresden.

© Olaf Opitz

Elbflorenz strahlt. Es herrscht Festtagswetter in der sächsischen Landeshauptstadt Dresden. Strahlend blauer Himmel mit zarten weißen Wölkchen im warmen Wind und prognostizierte 25 Grad im Oktober. Die Elbe fließt am Ufer des Landtags ruhig dahin. Keine linksextremen Demonstranten vor den Eingangstoren. Die zukünftigen Außenminister toben sich bei Demos in der Dresdner Neustadt aus. Der 30. Jahrestag der Deutschen Einheit kann also im einstigen Tal der Ahnungslosen – kein West-Fernsehen zu DDR-Zeiten – nicht besser beginnen.

Andersdenkende können in der Zeit einer zunehmenden Meinungsvereinheitlichung zumindest einen kleinen Erfolg ihrer Unabhängigkeit am 3. Oktober feiern. Der frühere Bürgerrechtler und heutige CDU-Bundestagsabgeordnete Arnold Vaatz darf seine Rede zum Festakt im Dresdner Parlament halten – dem Boykott von Sozialdemokraten, Linken und Grünen zum Trotz.

Arnold Vaatz sitzt auf der Regierungsbank zwischen Ministerpräsident Michael Kretschmer und Landtagspräsident Matthias Rößler (alle CDU). Er hält seine Rede mit dem bürgerlich-liberalen Ansatz – einander zuhören und verstehen, statt spalten.

Na klar, gleich zum Anfang würdigt der frühere Bürgerrechtler den erfolgreichen Sturz der kommunistischen Diktatur im Osten. „Nichts in der bisherigen europäischen Geschichte konnte sich mit dieser friedlichen Revolution messen, nichts in Bezug auf die Kultur der Besonnenheit in der sie ablief – es fiel kein einziger Schuss – und nichts in Bezug auf die Freiheit, in die sie mündet.“

Vaatz erinnert daran: „Diese friedliche Revolution war ein Gemeinschaftswerk.“ Von Polen, Ungarn, Tschechen und Ostdeutschen. Aber: „Die Menschen in Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn hatten es ungleich schwerer als wir.“ Sie hätten keinen Westteil ihres Landes gehabt, der ihnen mit enormen Summen aufhalf. Sie erkämpften die Demokratie unter Bedingungen, die im Westen Europas unvorstellbar sind.

An dieser Stelle verteidigt der streitbare Bundestagsabgeordnete ausdrücklich die kritische Haltung der Osteuropäer in der Europa-Politik. Vaatz erwähnt die Grenzsicherung, Einwanderungs-, Asyl- und Finanzpolitik nicht explizit, aber die Zuhörer im Saal verstehen, was er meint, wenn er sagt: „Wie bitter muss es in diesen Ländern heute aufstoßen, wenn ihnen genau aus diesem Westen ein Klima permanenter Belehrung entgegenschlägt und ihre Wahlentscheidungen fortwährend herablassend kommentiert werden.“ Dafür erntet Vaatz viel Beifall. „Diesen Ländern verdanken wir zu einem gehörigen Teil, dass wir heute einen weiteren Tag der Befreiung in unserer Geschichte feiern dürfen.“ Ihnen gebühre der Dank und Dankbarkeit sei sehr wohl auch eine politische Kategorie. Vaatz fügt hinzu: „Als Christ sage ich: Gott sei Dank!“

Freiheitskampf zur „Affenfütterung“ mit Bananen diskreditiert

Gar nicht gnädig zeigt sich der Festredner beim geschichtlichen Rückblick auf die Zweifler und Kritiker der deutschen Einheit im Westen. Sie sind natürlich im linken Lager zahlreich zu finden.

„Im Westen Deutschlands war das mediale Klima damals überwiegend wiedervereinigungsfeindlich,“ erinnert Vaatz. Einige ZEIT-Journalisten waren 1986 durch die DDR gereist. Die SED hatte die Route organisiert. Heraus kam das Buch „Reise in ein fernes Land“. Darin ließen sie die Leser wissen, wie gut es doch die DDR-Bürger hätten und sie Erich Honecker sogar regelrecht verehren würden. „Als ich das Buch das erste Mal in die Hände bekam, empfand ich es als einen Tritt in die Magengrube,“ reflektiert der sächsische Parlamentarier die unkritische Westsicht der eingeladenen Journalisten.

Und gleich danach bekommen noch einige rot-grüne Einheitsskeptiker vom Festredner ihr Fett weg: „Egon Bahr nannte Ende der achtziger Jahre allein das Reden von einer möglichen Wiedervereinigung ‚politische Umweltverschmutzung‘. Johannes Rau gestand denn auch 1990 in der Leipziger Nikolaikirche ein: ‚Wir haben uns bei den Mächtigen wohlgefühlt. Wir waren nicht bei denen, die die Revolution vorbereiteten. Wir waren bei denen, die nichts ändern wollten‘.“

Ja, und die Grünen? Vaatz spitzt zu: „Am Morgen nach der Volkskammerwahl hielt uns Otto Schily eine Banane entgegen. Er rückte unseren Freiheitskampf in die Nähe einer Affenfütterung.“

Noch im Mai 1990 demonstrierten die Grünen gegen die sich abzeichnende Wiedervereinigung mit dem Slogan „Nie wieder Deutschland!“ „Sie waren Zaungäste historischer Stunden“, sagt Vaatz.

Aber auch in der CDU wäre man schon dabei gewesen, sich von der deutschen Einheit zu verabschieden: „Geißler und Süssmuth wollten die Wiedervereinigung aus dem CDU-Grundsatzprogramm streichen, was Helmut Kohl verhinderte.“

„Ist die Freiheit von 1990 heute noch Lebenswirklichkeit?“

Der frühere Bürgerrechtler räumt am 30. Einheitsfeiertag aber auch ein: „Natürlich reiften nicht alle Blütenträume. Viele verloren ihre Arbeit. Viele überfordert die völlige Umstellung aller Lebensbereiche und ließ sie verzweifeln.“ Die DDR- Oppositionellen, die Aktivisten der ersten Stunde, waren zwar die Sieger der Revolution, oft aber nicht die Sieger der Einheit. Denn die Wirtschaft fragte nach Führungserfahrung, Herrschaftswissen, Ressourcenkenntnis. „Mit alldem konnte ein Oppositioneller, der vom Ingenieur zum Platzanweiser im Kino degradiert war, meist nicht dienen. Aber ein Stasioffizier schon,“ betont Vaatz.

Linken Nörglern an der deutschen Einheit hält der Sachse der ersten Stunde den Spiegel vor: „Die blühenden Landschaften von denen Helmut Kohl und das blühende Sachsen, von dem Kurt Biedenkopf sprach, sind weit über das damals vorstellbare Maß hinaus Wirklichkeit geworden.“ Auch dafür gibt’s Beifall.

Denn es hätte sich doch damals „kaum jemand hätte vorstellen können, in welcher Geschwindigkeit sich dann tatsächlich unsere Lebensverhältnisse verbesserten, die fast umgekippten Flüsse sauber, die Braunkohle-Mondlandschaften attraktive Seen wurden und unsere Infrastruktur gesundete.“

Am Ende seiner Festrede stellt Vaatz noch eine Frage, die nicht nur Millionen Bürger im Osten bewegt: Wenn heute fast 80 Prozent der Menschen sagten, man müsse sich beim Sprechen über manche Themen wieder vorsehen – „dann frage ich mich allerdings: Ist die Freiheit von 1990 heute noch Lebenswirklichkeit?“ Wenn er von Journalisten gefragt werde, wie er denn mit Beifall von der falschen Seite umginge, wenn eine Aussage statt nach ihrem Wahrheitsgehalt danach beurteilt wird, wer es auch gesagt hat. Oder: „Wenn jemand seinen Job verliert, weil er mit der falschen Person an einem Tisch gesessen hat, dann habe ich daran Zweifel“, mahnt Vaatz nach dreißig Jahren deutsche Einheit zu mehr Respekt vor anderem Denken. Dafür bekam er sehr viel Applaus und Bravorufe.

Von Toleranz für alle bis zu einseitigem Alltagsrassismus

Vor allem die Toleranz und Vielfalt von Meinungen ist Vaatz in seiner Rede wichtig. Ja, es müsse möglich sein, Hass und Hetze zu ächten, aber nicht nur in eine Richtung. Dazu zähle die Ächtung von Beleidigungen, wie sie der Bundeskanzlerin bei ihrem Besuch in Heidenau vor fünf Jahren entgegenschlugen, genauso wie sie seine Bundestagskolleginnen Renate Künast und Alice Weidel – gerichtlich unbeanstandet – ertragen mussten.

Vaatz verortet zudem eine von den Medien wenig beachtete Form von „Alltagsrassismus“. Zum Beispiel, „dass man heute ohne die geringsten Konsequenzen Menschen bis ins Mark kränken darf, wenn diese Menschen beispielsweise alte weiße Männer sind.“

Was der Redner hierbei nicht erwähnt – diese Form praktizieren Linksintellektuelle in Kultur und Medien täglich mit höchster Frequenz. Wohl deswegen beklagt Vaatz auch den „Schaum vor dem Mund beim Reden und Schreiben über missliebige aber immerhin demokratische gewählte Politiker wie Johnson, Trump, Orban oder Netanjahu: Als seien sie schlimmere Feinde der Menschheit als ein Kim Jong Un.“

Festredner Arnold Vaatz beleuchtet also besonnen und kritisch unsere Gesellschaft. Er tut das ohne Häme über seine politischen Gegner, denn er hat ja heute am Einheitsfeiertag gewonnen. Er redet und sie haben sich verkrochen. Er ist standhaft geblieben in seiner Meinung und Haltung, aber nur wenige aus den eigenen Unionsreihen haben den Streitbaren verteidigt. Wie konnte es so weit kommen?

Angela Merkel ließ ihre Union nach links marschieren

Seit Angela Merkel als Kanzlerin die Macht übernommen hat, zeichnet sich Helmut Kohls Partei nur noch durch Feigheit vor dem politischen Gegner aus dem rot-rot-grünen Lager aus. Die CDU zog sich nicht nur ständig zurück, sie marschierte unter der langjährigen CDU-Vorsitzenden willig ins linke Lager. Die Mitte ließ sie rechts liegen.

Also versucht Sachsens CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer mit der durchgesetzten Rede von Vaatz in einem minimalen Wiedergutmachungsakt, die schlechte Stimmung an seiner CDU-Basis etwas zu entschärfen. CDU-Funktionäre würden den Akt sicher gerne „kleines Aufbegehren“ nennen. Denn statt mit 32,1 Prozent eine CDU-Minderheitsregierung samt wechselnden Mehrheiten zu wagen, hat sich Kretschmer auch durch Druck von Merkel unter das Joch einer ungeliebten Koalition von Minderheitspartnern wie SPD (7,7%) und Grünen (8,6%) zwingen lassen. Wobei Rot-Grün in Sachsens Regierung genauso mächtig wie die CDU auftritt. Dieses Abtauchen im rot-grünen Sog nehmen sehr viele CDU-Wähler wie auch Mitglieder Kretschmer bis heute übel.

Wohl auch deswegen betont Kretschmer auch nach 30 Jahren deutscher Einheit im Landtag: „Wir wollen keine sozialistischen Experimente.“ Und stellt fest: „Die DDR war ein Unrechtsstaat.“ Kretschmer finde es zudem „unfair wie es in den letzten Wochen gelaufen ist“ – im Umgang mit dem Festredner Vaatz. Denn es sei gut, dass es andere Meinungen gibt. „Wo kommen wir hin, wenn wir uns gegenseitig sagen“, was nicht zu hören sein soll, meint Kretschmer. Wenigstens das.

Trotz alledem haben sich SPD, Linke und Grüne mit ihrer Abwesenheit selbst ins Abseits geschossen. Obendrein können sich die Rot-Rot-Grünen über ihren Rede-Boykott umso mehr ärgern, da der Festakt sogar noch in voller Länge vom MDR-Fernsehen live übertragen wird.

Auf den leeren Sitzen von SPD, Linken und Grünen dürfen Bürger des Freistaates Platz nehmen und einem streitbaren Bürgerrechtler zuhören. Die beabsichtigte rot-rot-grüne Leere ist also sinnvoll gefüllt. Außerdem haben sich einige Prominente im Parlamentssaal eingefunden. So der frühere sächsische Staatskanzleichef, Ex-Bundesinnen- und Verteidigungsminister Thomas de Maiziere, der in den Reihen der abwesenden Linksfraktion Platz nimmt, und natürlich der langjährige Ministerpräsident Sachsens „König“ Kurt Biedenkopf nebst Gattin Ingrid auf der Regierungsbank – versteht sich. Aber auch Bürgerrechtler Werner Schulz von den Grünen sitzt in der ersten Reihe der CDU-Fraktion, der ehemalige Leipziger SPD-Bundestagsabgeordnete Gunter Weißgerber und der frühere SPD-Landesvorsitzende Michael Lersow bezeugen Vaatz ihren Respekt. Zudem will Heidi Bohley, die Schwägerin der verstorbenen DDR-Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley, die Rede von Vaatz hören. Für die außerparlamentarische FDP sitzt Sachsens Ex-Justizminister Jürgen Martens im Landtag auf den Plätzen der Grünen-Fraktion. Gekommen sind auch Diplomaten und Kirchenvertreter.

Linksgrün treibt eine Spaltung der Gesellschaft voran

So versöhnlich dies alles heute am Einheitsfeiertag daherkommen mag. So einfach ist es nicht. Es war sogar ziemlich finster, was die linken Geister 30 Jahre nach dem Mauerfall heraufbeschwören – eine Spaltung der Gesellschaft.

Landtagspräsident Matthias Rößler (CDU) hatte den Dresdner CDU-Bundestagsabgeordneten und früheren DDR-Bürgerrechtler Arnold Vaatz eingeladen, zum 30. Jahrestag der Deutschen Einheit im Parlament die Festrede zu halten. Dagegen hatten SPD, Grüne und Linke mit einem Boykott protestiert. Vergeblich. Noch funktioniert Demokratie in Sachsen.

Trotzdem war es ein schlimmer Angriff von Rot-Rot-Grün gegen die Meinungsfreiheit ausgerechnet im 30. Jahr der Deutschen Einheit. Denn während sich Anfang September linksextreme Randalierer in Leipzig drei Tage lang gegen die Polizei mit Gewalt, Feuer und Steinen austoben durften, wohlwollend begleitet durch linke und grüne Politiker, riefen ausgerechnet deren Parteien in Tateinheit mit der SPD zum Redeboykott von Arnold Vaatz auf. Sie warfen dem kritischen Bürgerrechtler „Rechtspopulismus“ vor. Warum?

Offen und frei Reden statt Stigmatisieren

Selbst 30 Jahre nach dem Mauerfall bleibt Vaatz ein streitbarer Geist und mutiger Andersdenkender. Er hatte in einem Gastbeitrag für Tichys Einblick der Berliner Polizei des rot-rot-grün regierten Senats im Zusammenhang mit einer Demonstration gegen die Corona-Regeln DDR-Methoden vorgehalten. Zweierlei Maß bei Demonstrationen, Diffamierung von Bürgern, beides passe nicht zu einem demokratischen Land, mahnte Vaatz unter der Überschrift „Regierung und Medien beschädigen ihre Glaubwürdigkeit“ am 5. August. So eine Mahnung reicht schon, um in dieser Zeit von Links als Rechts stigmatisiert zu werden.

Landtagspräsident Rößler begründete dagegen die Festrede von Vaatz mit dessen Rolle als engagierter Bürgerrechtler in Dresden während der Friedlichen Revolution und seinen Verdiensten im ersten sächsischen Regierungskabinett nach dem Ende der DDR. Das machte Rößler in seiner Eröffnungsrede der Feierstunde im Landtag noch einmal klar und deutlich. Vaatz zähle zu den „ersten Wiedergestaltern des Landes Sachsen“. Er sei streitbar und ein „freier Denker in unserer freien Gesellschaft“. Das behage nicht allen, lasse aber keinen Zweifel an Vaatz‘ tiefer demokratischer Gesinnung. Rößler bedauert deswegen, dass nicht alle Teile des Landesparlamentes diesem Festakt beiwohnen.

Dabei gehörte Festredner Vaatz der DDR-Opposition vom Neuen Forum an, bevor er 1990 in die CDU eintrat. Er war zudem von 1990 bis 1998 Mitglied des sächsischen Landtages. Der 65-jährige Diplom-Mathematiker erwarb sich obendrein nach dem Mauerfall in Sachsen besondere Verdienste als erster Staatskanzleichef (1990-92) und Umweltminister (1992-98) unter Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU). Seit 1998 sitzt Vaatz im Deutschen Bundestag und wirkt dort seit 2002 als einer der stellvertretenden Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.

Arnold Vaatz will im nächsten Jahr aufhören und nicht noch einmal für den Bundestag kandidieren. Schade, denn wieder räumt ein Unbeugsamer die politische Bühne, die immer einseitiger und gleichförmiger wird. Andersdenken, freie Meinung, unkonventionelles Handeln bleiben dennoch für Vaatz wichtig. „Es muss möglich sein, die Politik der Bundesregierung zu kritisieren.“ Deswegen warnt er am Ende seiner Rede ausdrücklich vor einem zunehmenden öffentlichen Konformitätsdruck – „der Menschen, die sich ihm nicht beugen, etikettiert und aus der medialen Relevanzzone drängt.“ Auf diese Weise werde das Land eine Polarisierung erleben, „zu deren Heilung Worte nicht mehr zur Verfügung stehen, denn sie wurden ja gelöscht.“

Vaatz bedankt sich zum Schluss bei allen, „die seine Rede erduldet“ haben. Der Saal steht auf, ruft ‚Bravo‘ und applaudiert.


alle Bilder: © Olaf Opitz

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