Tichys Einblick
Jamaika-Koalitionsverhandlungen

Nebelkerze Einwanderungsgesetz

Die Bürger Glauben zu machen, damit ließe sich die illegale Zuwanderung von Fluchtmigranten begrenzen und den Schleppern das Handwerk legen, ist jedoch entweder völlig blauäugig oder Nebelkerzen werfen.

© Tobias Schwarz/AFP/Getty Images

Nach der Einigung von CDU und CSU vom 18. September auf einen „flexiblen Richtwert“ von 200.000 Asylbewerbern pro Jahr berichtet die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (F.A.S.) unter dem Titel „Humanität und Ordnung“ eine Woche später, dass Grüne und FDP darin übereinstimmen, mit Hilfe eines neuen Einwanderungsgesetzes das Thema Obergrenze für Asylbewerber und Kriegsflüchtlinge ein für alle Mal aus der Welt zu schaffen. Dahinter steckt die offiziell bestrittene Einsicht, dass es sich beim Großteil der Asylbewerber um Arbeitsmigranten handelt, die sich auf der Suche nach einer neuen Arbeits- und Lebensperspektive in Deutschland befinden, sofern sie nicht bloß aufgrund der gewährten Sozialleistungen eingewandert sind. Das gilt selbst für Asylbewerber aus Kriegsregionen wie zum Beispiel Syrien, von denen viele Arbeitsmigranten mit anerkanntem Flüchtlingsstatus (wie viele nur auf dem Papier, scheint niemand zu wissen) sind.

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Ein neues Einwanderungsgesetz soll laut F.A.S. aus Sicht der Grünen und der FDP nun dafür sorgen, dass „für Menschen, die nicht vor Verfolgung oder vor Bürgerkriegen flüchten, der Umweg über das Asylverfahren unattraktiv wird.“ Vorbild soll der Umgang mit den Asylbewerbern vom westlichen Balkan sein, deren Heimatländer zu sicheren Herkunftsländern erklärt worden sind. Asylbewerber aus diesen Ländern haben daher geringe bis keine Aussicht auf Anerkennung. Ihre Anzahl ist deshalb inzwischen drastisch zurückgegangen. Arbeitsmigranten vom Westbalkan können nunmehr jedoch auf Basis der geltenden Gesetze einen Antrag auf legale Einwanderung stellen. Laut F.A.S. kommen sie auf diesem Weg inzwischen „zu Tausenden mit festem Job ins Land“ – auch ohne neues Einwanderungsgesetz.

Eine solche Begrenzung der illegalen Zuwanderung über das Asylgesetz und die Genfer Flüchtlingskonvention funktioniert freilich nur unter der Voraussetzung, dass möglichst viele Fluchtländer zu sicheren Herkunftsländern erklärt werden. Selbst für den nicht zu erwartenden Fall, dass die Grünen einen solchen Weg mittragen sollten, bleibt die Frage, wie mit den Arbeitsmigranten mit Flüchtlingsstatus aus den Kriegsregionen des nahen und mittleren Ostens und aus Afrika verfahren werden soll. Sie stellen heute die übergroße Mehrzahl der sich schon in Deutschland befindenden und zusätzlich nach Deutschland strebenden Asylbewerber. Alleine aus Syrien sind seit 2015 inzwischen mehr als eine halbe Million Asylbewerber nach Deutschland gekommen. Eine weitere halbe Million oder mehr würde aufgrund der guten Versorgungslage ihrer Landsleute in Deutschland zusätzlich zu der ersten halben Million gerne nachziehen. Die im Rahmen des Familiennachzugs ohnehin zu erwartenden Familienangehörigen sind dabei noch gar nicht eingerechnet.

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Dies ist nur deswegen nicht möglich, weil inzwischen die syrisch-türkische Grenze und die Grenzen auf der Balkan-Route weitgehend geschlossen worden sind. Daran würde auch ein neues Einwanderungsgesetz nichts ändern – es sei denn, Syrien würde als sicheres Herkunftsland eingestuft, so dass sich ein Asylantrag nicht mehr lohnt. Das Beispiel Afghanistan zeigt allerdings, dass auch dies nicht ausreicht, um die illegale Einwanderung zu unterbinden. Immer noch kommen in erheblicher Anzahl Afghanen nach Deutschland, die hier um Asyl bitten. Selbst bei sicheren Herkunftsländern helfen daher nur wirksame Grenzregime, um einen anhaltenden Exodus Richtung Deutschland zu vermeiden.

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Bei Herkunftsländern in Kriegsgebieten kommt als weitere Bedingung die gezielte Kontingentierung des Zustroms seitens der Zielländer hinzu, ob diese nun Obergrenze oder sonstwie genannt wird. Gelingt Flüchtlingen aus Kriegsgebieten die Flucht bis nach Deutschland, können sie nach derzeitiger Praxis hier einen Antrag auf Asyl stellen und vorerst für mehrere Jahre bei voller materieller Versorgung im Land bleiben. Dagegen ist im Grundsatz nichts einzuwenden, solange der damit verbundene Zustrom an Fremden das Land finanziell nicht überfordert und das gesellschaftliche Zusammenleben nicht über die Maßen beeinträchtigt. Um dies zu vermeiden, hat jedes Aufnahmeland in Gestalt seiner amtierenden Regierung gegenüber seinen Bürgern allerdings die Pflicht, den Zustrom gemäß ihrer Möglichkeiten zu kontingentieren und zu steuern.

Ein neues Einwanderungsgesetz mag in Hinblick auf das in der Tat selbst für Fachleute kaum noch zu durchschauende Wirrwarr an Regelungen des deutschen Aufenthaltsgesetztes erforderlich und auch hilfreich sein. Mehr Klarheit und Transparenz ist hier sicher vonnöten. Die Bürger Glauben zu machen, damit ließe sich die illegale Zuwanderung von Fluchtmigranten begrenzen und den Schleppern das Handwerk legen, ist jedoch entweder völlig blauäugig oder der Versuch, in einer nicht nur für die Jamaika-Koalitionäre, sondern für die Zukunft Deutschlands und Europas höchst explosiven Frage Nebelkerzen zu werfen.


Roland Springer arbeitete als Führungskraft in der Autoindustrie. Er gründete im Jahr 2000 das von ihm geleitete Institut für Innovation und Management. Sein Buch Spurwechsel – Wie Flüchtlingspolitik wirklich gelingt erhalten Sie in unserem Shop www.tichyseinblick.shop