Tichys Einblick
Technologischer Hoffnungsträger

Der Dual-Fluid-Reaktor könnte den Weg in eine emissionsarme Zukunft bereiten

Deutschland verharrt energietechnologisch in einer selbstverordneten Stagnation. Kernkraft gilt hier als grundsätzlich verwerflich. Doch ein neuartiger Reaktortyp nach dem Vorbild der Natur könnte das Dilemma zwischen Energiebedarf und Emissionsvermeidung auflösen.

Schweizer Kernkraftwerk Leibstadt am Rhein, Dogern, Baden-Württemberg, Deutschland

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Nachdem hier kürzlich vom Dilemma der bisher genutzten Energiewandlungstechnologien die Rede war, geht es heute um eine neue und andere Form der Kernenergie als Alternative.

Die Atomkerne, auch Nukleonen genannt, bilden die Basis für letztlich alle natürlichen Energien, die das Leben auf der Erde ermöglicht. Sowohl die Fusionsprozesse der Sonne als auch die Zerfallsprozesse im Erdinneren, die die Erdwärme für uns nutzbar machen, bilden den Anfang einer weiteren Kette indirekter Möglichkeiten der Nutzung von Energie für uns Menschen. Nicht nur Fusion und Zerfall von Atomkernen sind natürliche Erscheinungen, auch die Kernspaltung mittels Neutronen kann bei bestimmten Bedingungen in der Natur ganz ohne Menschen vorkommen. Mehrere so genannte Naturreaktoren setzten sich vor etwa zwei Milliarden Jahren im heutigen Gabun von selbst in Gang. In einem Gebiet hoher Urankonzentration trat eine Materialkonstellation in der Art auf, dass eine sich selbst erhaltende Kettenreaktion begann und etwa 500.000 Jahre andauerte. Naheliegend ist der Gedanke, dieses Prinzip der Energieumwandlung technisch zu nutzen.

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Die Geschichte der Kernenergieanwendung ist seit der Entdeckung des Spaltprozesses 1938 widersprüchlich. Weit über 400 Kernkraftwerke weltweit ersparten der Atmosphäre bisher Milliarden von Tonnen an CO2. Nach einem ersten Schub des Ausbaus infolge der Ölkrise 1973 folgten Jahre der Stagnation und Rückschläge durch die Havarien in Three Mile Island, Tschernobyl und Fukushima. Nach den Pariser Klimabeschlüssen und der Fähigkeit mehrerer Länder, selbst solche Anlagen zu bauen, sind nunmehr in 21 Ländern Kernkraftwerke im Bau oder in verbindlicher Planung.

Neben dem Vorteil der emissionsarmen Energieumwandlung sind die Nachteile der bestehenden Kernkraftwerksgeneration deutlich und hindern an noch weiterem Ausbau weltweit. Insbesondere hohe Kosten für Sicherheit, Brennstoffaufbereitung und Reststoff-Handling, aber auch eine geringe Brennstoffausnutzung und mäßige Wirkungsgrade der Kraftwerksprozesse verhindern insbesondere in Schwellenländern den Einstieg in die Kernkraft – und sorgen für das Festhalten an fossilen Energierohstoffen.

Mit einem Dual-Fluid-Reaktor (DFR) würde eine große Zahl der bestehenden Nachteile aufgelöst und die Möglichkeit einer völlig neuen Kraftwerksgeneration eröffnet. Für die Technologie liegt ein internationales Verfahrenspatent vor, die prinzipielle Machbarkeit ist durch wissenschaftliche Begutachtungsverfahren auch in Publikationen belegt.

Im Gegensatz zu vorhandenen Flüssigsalzreaktoren arbeitet der DFR mit zwei Flüssigkeiten, die für ihren jeweiligen Zweck optimale Eigenschaften haben. Zum einen sorgt eine Flüssigsalzmischung für den Brennstoffumlauf, aus dem Spaltprodukte entfernt und frisches Material zugesetzt werden können. Zum anderen dient flüssiges Blei mit hoher Dichte und guter Wärmeleitfähigkeit dem Wärmetransport im Hochtemperaturbereich. Dies ermöglicht einen hohen Wirkungsgrad des folgenden Wasser-Dampf-Prozesses, auch mit überkritischen Parametern. Die Energieeffizienz ist 20- bis 50-mal höher als bei herkömmlichen Kernkraftwerken.

Die flüssige Brennstoffmischung kann auch Natur-Uran, Thorium und andere Actinoide (Elemente jenseits der Ordnungszahl 89) wie Plutonium enthalten. Im Prozess wird ständig neuer Brennstoff „erbrütet“, so dass Diskussionen um die Endlichkeit des Energierohstoffs obsolet werden. Auch die Proliferation, die Weitergabe von Material für den Kernwaffenbau, wird erschwert, weil das erbrütete Plutonium wegen seiner ungünstigen Isotopenzusammensetzung nicht waffentauglich ist.

Die abgeschiedenen Spaltprodukte, die auch wertvolle Rohstoffe enthalten, brauchen nur noch 300 Jahre endgelagert zu werden. Das erspart die Kosten für ein ewigkeitsbasiertes Endlager. Obendrein können vorhandene Reststoffe der bestehenden Kernkraftwerke im DFR weitergenutzt werden.

Da der Reaktor im drucklosen Bereich arbeitet, sind Druckbehälter im ersten, dem nuklearen Kreislauf, nicht nötig. Bei Überhitzung sorgt die Ausdehnung der Brennstoffmischung für negative Kritikalität, das bedeutet: abnehmende Spaltrate und zurückgehende Kettenreaktion. Zudem würde eine Schmelzpfropfensicherung dafür sorgen, dass überhitztes Material in Ablasstanks fließt, was die nukleare Reaktion beendet. Das Problem einer Restwärmeexpansion mit der Gefahr einer Überhitzung wie bei herkömmlichen Reaktoren kann prinzipbedingt nicht auftreten.

Die hohe Prozesstemperatur von etwa 1.000 Grad Celsius ermöglicht nicht nur einen effektiven Dampfkraftbetrieb sondern auch die Prozesswärmenutzung, zum Beispiel für eine marktfähige Herstellung von synthetischen Kraftstoffen. Anstelle einer teuren Elektrolyse könnte durch Thermolyse Wasserstoff als Grundstoff für grünes Methan erzeugt werden.

Ausführlichere und weitergehende Information sind auf der Homepage des Instituts für Festkörper-Kernphysik Berlin erhältlich, die technologischen Grundlagen des DFR werden hier verständlich erklärt.

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Jede Umsetzung einer neuen Technologie erfordert ein gesellschaftliches Umfeld, das dies ermöglicht. Für neue kerntechnische Verfahren scheint Deutschland wirklich kein gutes Pflaster zu sein. Eine durchaus maßgebliche Partei pflegt seit Jahrzehnten die Ablehnung und die Angst vor jeder Form der Nutzung der Kernenergie. Dies ist sogar ihr Gründungsmythos und die Aufgabe dieser Grundeinstellung würde die Partei vermutlich zerreißen. Selbst wenn eine völlig ideale Kerntechnik entwickelt werden würde: Widerstand von den Grünen, die seinerzeit schon ISDN und den Gebrauch von Personalcomputern ablehnten, ist in jedem Fall zu erwarten.

Dennoch: „Nichts auf der Welt ist so mächtig wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist“, sagte Victor Hugo. Es ist höchste Zeit, unsere Energieversorgung anforderungsgerecht auf ein neues Niveau zu heben, wenn wir Industrieland bleiben wollen. Aber selbst dieser Status wird in Frage gestellt durch Verzichtsphilosophen und Industriefeinde, die meinen, von Halbbildung und gegenseitigen Dienstleistungen leben zu können. Es bedarf politischer Mehrheiten, Fortschritt zum Durchbruch zu verhelfen. Ideologie, Angst und geforderte Panik stehen dem entgegen. Gesunder Menschenverstand und Realismus müssen wieder Deutungs- und Politikhoheit erlangen, wenn wir global weiter eine Rolle spielen wollen.

Der DFR ist zunächst eine gut entwickelte Idee, sie umzusetzen wird viel Kraft, Geld und Zeit kosten. Fortschritt war noch nie zum Nulltarif zu haben.

Was wären die nächsten Schritte? Was steht seiner Realisierung entgegen? Diese und andere Fragen demnächst in einem Interview mit dem Geschäftsführer des Instituts für Festkörper-Kernphysik Berlin, Dr.rer.nat. Armin Huke.

Weitergehende und gut verständliche Informationen zum Thema Kernenergie und DFR im Buch „Kernenergie – Der Weg in die Zukunft“ von Dr. Götz Ruprecht und Prof. Hans-Joachim Lüdecke (ISBN 978-3-940431-65-3, TvR Medienverlag, Jena 2018)