Tichys Einblick
R2G in Berlin will Mangel anders verwalten

Durch Enteignung entsteht keine einzige neue Wohnung

Sollte es zur Enteignung der Deutsche Wohnen kommen, kämen auch andere Vermieter dran. Die Berliner Jusos wollen jeden enteignen, der mehr als 20 Mietwohnungen besitzt. Wer will aber in Berlin noch im Wohnungsbau investieren, wenn er mit Enteignung rechnen muss?

imago/Steinach

In Berlin soll es den Wohnungseigentümern an den Kragen gehen. Die Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ trommelt für die Vergesellschaftung großer Wohnungsbaukonzerne. Vom 6. April an sammelt sie Unterschriften, damit die Berliner in einem Volksentscheid über die Enteignung der börsennotierten Gesellschaft Deutsche Wohnen SE abstimmen können. Das Unternehmen besitzt in Deutschland rund 165.000 Wohnungen, davon 115.000 in Berlin. Dass diese Wohnungsgesellschaft gerade in der Hauptstadt so stark ist, ist das Ergebnis der Berliner Politik. Der rot-rote Senat privatisierte nach der Jahrtausendwende in großem Stil landeseigene Wohnungen – und die Deutsche Wohnen griff ebenso wie andere private Investoren zu.

Es ist in erster Linie Die Linke, die in Berlin die Debatte über die Rolle großer Wohnungskonzerne anheizt. Aber auch viele Sozialdemokraten und Grüne versuchen, einen Klassenkampf ums Wohnen zu inszenieren. Den Bürgern wird suggeriert, man müsse den Wohnungsmarkt nur den raffgierigen Kapitalisten entreißen, und schon könne jeder fast so wohnen, wie Kurt Tucholsky 1927 gedichtet hatte: „Ja, das möchste: Eine Villa mit großer Terrasse, / vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstrasse; / mit schöner Aussicht, ländlich-mondän, / vom Badezimmer ist die Zugspitze zu sehn …“

Die Enteignungsbefürworter argumentieren gern mit Verweisen auf Praktiken privater Wohnungsgesellschaften, die alteingesessene Mieter mit üblen Methoden aus ihren Wohnungen drängten, um freie Bahn für Luxussanierungen zu haben. Oder die Instandsetzungen unterließen, um sie dann per Modernisierungsumlage von den Mietern bezahlen zu lassen. Dass solche Methoden angewendet werden, ist schlimm genug. Aber auf dem Wohnungsmarkt herrschen keineswegs Wild-West-Methoden vor. Wenige Märkte sind so stark reguliert wie der Immobilienmarkt. Zudem wird der Wohnungsmarkt in Deutschland nicht von großen Gesellschaften dominiert, sondern von 3,9 Millionen privaten Kleinvermietern. Diese bieten rund 60 Prozent aller Mietwohnungen an. Privatleute, die eine oder zwei Mietwohnungen als Kapitalanlage erworben haben, gehen mit ihren Mietern überwiegend fair um, weil ihnen an lange andauernden Mietverhältnissen liegt.

Die in Berlin tobende Enteignungsdebatte wird von rot-rot-grünen Kräften sehr emotional betrieben. Es geht mehr um Stimmungsmache gegen „die da oben“ als um Fakten. Deshalb hier ein paar Klarstellungen:

1. Es gibt kein Grundrecht auf bezahlbaren Wohnraum.

Die Kritiker eines noch halbwegs freien Wohnungsmarktes tun so, als gebe es ein Grundrecht auf preiswertes Wohnen. Der neue Star der Grünen, Robert Habeck, hat kürzlich die Parole ausgegeben, „Wohnen ist kein Markt. Wohnen ist ein Grundrecht.“ Wobei sich die Frage aufdrängt, warum er nicht auch Essen und Trinken zu „Grundrechten“ erklärt und eine staatlich organisierte Lebensmittelversorgung fordert. Schließlich bereichern sich nach Habeckscher Logik auch Bäcker, Metzger und Getränkehersteller an dem menschlichen Grundbedürfnis, Hunger zu stillen und Durst zu löschen.

2. Enteignung schafft keinen Wohnraum.

Nehmen wir einmal an, die Berliner entschieden sich in einem Volksentscheid für eine Enteignung der Deutsche Wohnen. Dadurch entstünde keine einzige neue Wohnung. Nutznießer wären allein die Mieter, die zufällig in den verstaatlichten Wohnungen leben. Die würden wohl von gedeckelten oder gar gesenkten Mieten profitieren, ob sie darauf finanziell angewiesen sind oder nicht.

3. Enteignung wird für den Staat sehr teuer.

Die Höhe einer Entschädigung der enteigneten Wohnungsgesellschaft würden wohl die Gerichte festlegen. Kämen die zu dem Ergebnis, das Land Berlin müsse zum Marktwert entschädigen, würde es richtig teuer. Der Staat müsste Milliarden ausgeben – Gelder, die beim Bau von Sozialwohnungen viel besser angelegt wären.

4. Enteignung dämpft nicht den Mietanstieg.

Die Deutsche Wohnen wird von Rot-Rot-Grün als marktbeherrschender Moloch dargestellt. In Wirklichkeit besitzt das Unternehmen knapp 7 Prozent der Berliner Mietwohnungen. Wenn also im Gefolge der Verstaatlichung in jeder 15. Wohnung die Miete nicht mehr steigen würde, hätte das keine nennenswerte Auswirkung auf das Mietenniveau in der Hauptstadt.

5. Enteignung schreckt Investoren ab.

Sollte es zur Enteignung der Deutsche Wohnen kommen, würde Rot-Rot-Grün sich nicht mit dieser Beute zufrieden geben. Dann kämen auch andere Vermieter dran. Die Berliner Jusos wollen jeden enteignen, der mehr als 20 Mietwohnungen besitzt. Wer will aber in Berlin noch im Wohnungsbau investieren, wenn er mit Enteignung rechnen muss?

6. Berliner Bürger als Wohnungsbaubremse

Der objektiv vorhandene Fehlbedarf an Wohnungen in Berlin hat auch damit zu tun, dass der Senat zu wenige Neubauflächen ausweist. Und wenn gebaut werden soll, sind es häufig die Berliner selbst, die gegen Neubauten oder eine Nachverdichtung in ihrer Nachbarschaft protestieren und zum „Widerstand“ aufrufen. Es ist geradezu irrwitzig: Von den politischen Kräften, die jetzt nach Enteignung rufen, haben vor ein paar Jahren nicht wenige gegen eine teilweise Bebauung des Tempelhofer Feldes protestiert. Dieselben Berliner, die jetzt für Enteignungen stimmen sollen, haben 2014 per Volksentscheid ein großes Neubaugebiet auf dem stillgelegten Flughafengelände verhindert. Tja, dit is Berlin.