Tichys Einblick

Das ABC von Energiewende- und Grünsprech 93: Klimaermäßigung

Heute wieder eine Neuigkeit aus der Klimawortpanschküche.

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Täglich werden wir mit Begriffen konfrontiert, die im Ergebnis einer als alternativlos gepriesenen Energiewende verwendet werden oder durch sie erst entstanden sind. Wir greifen auch Bezeichnungen auf, die in der allgemeinen Vergrünung in den Alltagsgebrauch überzugehen drohen – in nichtalphabetischer Reihenfolge.

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Klimaermäßigung, die

„Bahn gibt Klimaermäßigung an Kunden weiter“, überschrieb der Spiegel einen Beitrag im September 2019. Gar dunkel ist der Rede Sinn. Gibt es jetzt in den Abteilen niedrigere Temperaturen, ändert sich die manchmal muffige Feuchtigkeit im Fußbereich oder lässt der Wind der Klimaanlage nach?

Nach kurzem Lesen die Erkenntnis: Für Fernfahrten senkt die Bahn den Bruttopreis, weil die Groko den ermäßigten Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent beschloss. Das hätte ein nüchtern denkender Journalist auch so schreiben können. Nicht so in unserem erstrebten CO2-zentrierten Klimaspitzenreiterland. Vermutlich saß ein Klimaredakteur vor der Tastatur, neben sich eine klimagerechte Bionade und um den Hals einen Wollschal aus klimagerechter Schafhaltung.

Wenn man über die Folgen des „Klimapakets“ der Bundesregierung schreibt, bleiben klimagerechte Klimabegriffswortschöpfungen nicht aus. So gerät bei den Berichten über diese Fahrpreissenkung aus dem Blick, dass nur der Fernverkehr betroffen ist und zum Jahreswechsel viele Verkehrsverbünde und Stadtverkehrsbetriebe die Preise auf breiter Front anhoben. Die täglichen Pendler im öffentlichen Nah- und Regionalverkehr sind die Verlierer der CO2-„Bepreisung“, trotz der späteren Erhöhung der Pendlerpauschale. Die erkläre ich jetzt hier nicht, das hat ja nicht einmal Robert Habeck geschafft.

Während also das Fernreisen klimagerecht klimaermäßigt wird, bleiben die Kurzreisenden, die das oft auch arbeitsbedingt tun müssen, alternativlos dem vollen Mehrwertsteuergriff in die Tasche ohne klimaäquivalente Alternative ausgeliefert.
Dabei ist es nur klimagerecht im Sinne von gerecht gegenüber dem Klimabewusstsein der Deutschen Bahn, nur den Fernverkehr mit der Mehrwertsteuersenkung zu belobigen. Schließlich ist dieser schon seit 2018 „vollvergrünt“, wie die DB schreibt. Das ist wohl so vorstellbar, dass ein ICE aus Berlin in Richtung Hamburg von der Oberleitung 100-Prozent-Öko-Strom in die Antriebe leitet. Prima. Wenige Minuten später befährt die Regionalbahn 14 nach Nauen dieselbe Strecke, zieht aber aus derselben Oberleitung anderen Strom, nämlich den Mix von 57:43 Prozent Öko- zu fossilem Strom, der im Bahnstromnetz anliegt. Schließlich gab es schon die Bahncard für ein Reisen mit Vollökostrom. Also nicht nur zwei Züge am selben Draht können verschiedenen Strom ziehen, auch zwei nebeneinandersitzende Passagiere mit und ohne Bahncard werden verschieden transportiert. Physikalisch schwer erklärbar, aber wer will schon Klimazweifler sein? Was soll der technische Kleinkram, die große Klimaaufgabe steht im Vordergrund.

Im Jahr 2016 setzte sich der Bahnstrommix nach DB-Angaben noch wie folgt zusammen:

Erneuerbare: 42 Prozent, Kernenergie: 17,3 Prozent, Steinkohle: 26,6 Prozent, Braunkohle: 6,0 Prozent, Erdgas: 7,6 Prozent, Sonstige: 0,5 Prozent.

Der regenerative Anteil stammt vor allem von Wasserkraftwerken an Rhein, Mosel, Ruhr, Main, Donau, Lech, Isar, Inn und vom Edersee. Dazu kommt noch zertifizierter Ökostrom aus dem Netz, der bilanziell verrechnet, aber in anderen Regionen oder Ländern produziert und verbraucht wird. Der Wasserkraftanteil dürfte nicht mehr ausbaubar sein, den Kernkraftanteil können wir vorauseilend schon mal streichen. 2038 soll es dann keine fossile Einspeisung mehr geben. Wo dann die „Vollvergrünung“ herkommen soll, ist etwas rätselhaft. Vielleicht hilft ein volatiler Anteil Windstrom, wenn man die Fahrpläne künftig klimagerecht variabel gestaltet?

Der Klimamehrwertfiskus

Die Klimalenkungswirkung der Mehrwertsteuer ist allerdings noch nicht ausgereizt. Um klimaproduktiv lenkend zu wirken, wäre es sinnvoll, Passionsfrüchte aus Kolumbien, Heidelbeeren aus Peru und amerikanische Süßkartoffeln mit dem vollen statt mit dem ermäßigten Steuersatz zu versehen. Die völlig veraltete Begründung, es handle sich um Lebensmittel, ist angesichts der Transportemissionen nicht mehr haltbar. Hier ruft es klimakorrekt nach einer Differenzierung. In der DDR bildete regionaler Weißkohl das Winter-Standard-Gemüse. Preiswert und immer im Angebot, klimagerecht und bio. Da sollten wir wieder hin im Rahmen einer Klimasteuerreform.

Das gleiche gälte für klimakontraproduktive Konsumgüter aus China und Korea. Wer jetzt anführt, die Bürokratie würde dadurch zunehmen, unterschätzt die Möglichkeiten der Digitalisierung. Vier auf Weihnachtsbäume angewendete Mehrwertsteuersätze beherrschen wir bereits (19/10,7/7/5,5 Prozent), alle Importprodukte sollten nun untersucht und differenziert werden. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) könnte das tun und im Zweifelsfall sein Öko-Veto einlegen.

In Erweiterung der Kassenbon-Pflicht wäre die verpflichtende Angabe des CO2-Fußabdrucks zur Verbrauchersteuerung sinnvoll. Die Konsumenten könnten vergleichen und mit einem gleichzeitigen sofortigen Rückgaberecht ein klimaschädliches Brötchen zurück über den Tresen schieben.

Andere „Fußabdrücke“ bleiben natürlich außen vor. Während jeder Rentner, der als Umweltsau mit dem Auto statt mit dem Fahrrad zum Bäcker fährt, von den Öffentlich-rechtlichen angeprangert wird, bleibt zum Beispiel das für April anberaumte NATO-Manöver „Defender 2020“ außen vor. 35.000 Soldaten werden dazu nach Polen und in die baltischen Staaten verlegt, nicht mit dem Fahrrad. 20.000 kommen aus den USA über den Atlantik, nicht mit dem Segelboot. Auf eine Frage in der Bundespressekonferenz nach dem ökologischen Fußabdruck des Manövers verwies der Sprecher des Bundesumweltministeriums auf die Sprecherin des Verteidigungsministeriums, die wiederum auf die amerikanischen Streitkräfte verwies. Eine Nachfrage an diese dürfte auf gewisses Unverständnis stoßen.
Merke: Nur deutsche Alte sind Umweltsäue, womit nicht gesagt sein soll, dass keine Manöver durchgeführt werden sollten. Die Frage der Wahrnehmung von Emissionen stellt sich trotzdem.

Wasser und Wein

Die uns schon länger Regierenden haben in der Disziplin „Wasser-predigen-Wein-trinken“ Beachtliches erreicht. Einen Tag nach Verkündung der Eckpunkte des „Klimapakets“ reisten die Kanzlerin und vier Minister in die USA, wofür vier Flugzeuge nötig waren. Nun gut, vielleicht eine besondere Situation. Keine Ausnahme hingegen sind die Wanderzirkusse zwischen Berlin und Bonn sowie zwischen Brüssel und Strasbourg. Hier ließe sich viel CO2 einsparen.
Das gilt auch für das Schauspiel der Bundespräsidentenwahl. Obgleich der neue Präsi schon im Hinterzimmer des Kanzleramts festgelegt wird, leistet man sich eine opulente Bundesversammlung, für die der Plenarsaal umgebaut werden muss. Nach dem erwartbaren Ausgang der Veranstaltung schwärmen die Auserwählten wieder aus, zum großen Teil mit Hilfe der Fahrbereitschaft des Bundestages.

Wer zufällig in Berlin weilt, sollte sich das Vorfahren der dunklen Limousinen auf der Ostseite des Reichstags nicht entgehen lassen. Einem Bienenstock gleich schwirren steuerfinanzierte Audi A5, 5er BMW und Mercedes E-Klassen über den Platz, beim nächsten Mal werden ein paar Hybride und sogar E-Mobile dabei sein. Natürlich ist es einem Mitglied der Bundesversammlung nicht zuzumuten, mit dem gemeinen Volk ÖPNV zu fahren, wie es in Skandinavien oder Österreich bei Politikern durchaus üblich ist.

Die Fahrbereitschaft bestand aus 100 Fahrzeugen, inzwischen hat der aufgeblähte Bundestag zur Aufstockung auf 120 Fahrzeuge geführt, Steuergeld sei Dank. Eine Klimaermäßigung in Form der Abschaffung dieser Dienstleistung für ausreichend gut verdienende Politiker halte ich für angemessen. Dienstwagen sind für bestimmte Mandatsträger ohnehin vorhanden.

An dieser Stelle breche ich lieber ab, mehr Ideen bezüglich der höheren Politik fallen sicherlich auch Ihnen ein. Vielleicht wird die eine oder andere Anregung sogar auf fruchtbaren Boden fallen, so dass aus Klimapredigern Klimahandelnde werden könnten, zunächst im eigenen Umfeld. Das ließe Emissionen sinken und stellte eine besondere Form der „Klimaermäßigung“ dar.