Tichys Einblick
Fahrlässig ohne Vorsorge

Blackout: Koordinator dringend gesucht

Die deutsche Infrastruktur ist „hochgradig verletzbar“, mahnt eine Studie des Büros für Technikfolgen-Abschätzung im Deutschen Bundestag an. Doch wie kommt Deutschland da heraus, solange noch nicht mal die Zuständigkeiten für den Ernstfall geklärt sind? Beeilung tut not.

imago/Frank Sorge

„Morgen ist es zu spät“, heißt der Untertitel des Romans „Blackout“ von Marc Elsberg. Er beginnt mit der minuziösen Schilderung einer Massenkarambolage durch Stromausfall und endet in der Apokalypse: „Die Wirtschaft war auf Jahre ruiniert, eine gewaltige Depression wurde erwartet. Noch immer gab es keine endgültigen Todeszahlen, die Rede war von Millionen, wenn man Europa und die USA zusammenzählte, Langzeitopfer nicht eingerechnet.“

Alles nur Phantasie des Autors? Von wegen! Dazu braucht man nur eine bereits im Jahr 2011 erschienene Studie des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) heranzuziehen. Darin ist von einem hochentwickelten und eng verflochtenen Netzwerk „kritischer Infrastruktur“ die Rede, von Netzen der Informationstechnik, Telekommunikation, und Energieversorgung, des Transports, Verkehrs, und Gesundheitswesens. „Diese sind aufgrund ihrer internen Komplexität sowie der großen Abhängigkeit voneinander hochgradig verletzbar“, warnen die Autoren.

Das TAB hat nachgelegt, dieses Mal mit einer ganzen Liste von offenen Fragen, die noch zu beantworten sind:

  • Welcher Anteil der Vermittlungsstellen (Festnetz, Mobilnetz) ist für welchen Zeitraum notstromversorgt?
  • Welche Redundanz gibt es bei den Vermittlungsstellen?
    Gibt es Abschätzungen über den Anteil der durch den Ausfall von Vermittlungsstellen betroffenen Kunden im Zeitablauf? Welche Kapazitäten an Not- und Ersatznetzen stehen bei wem zur Verfügung?
  • Welche absehbaren technischen Innovationen und Trends verschärfen die Folgen eines Stromausfalls in der kritischen Informationstechnik und Telekommunikation, welche mildern sie?
  • Welcher Forschungs- und Entwicklungsbedarf ist erkennbar, um die Stromabhängigkeit von Informationstechnik und Telekommunikation zu verringern?

Es sind nicht zuletzt die noch ausstehenden Antworten auf solche offenen Fragen, die einen Blackout als reales Risiko erscheinen lassen. In den vergangenen Wochen waren Stromausfälle überwiegend lokal oder regional begrenzt, wie etwa zuletzt Anfang Februar, als sie in kurzen Abständen nacheinander Rüsselsheim, Wiesloch, den Landkreis Erlangen-Höchstadt und den Kyffhäuserkreis erwischten, von den Medien nur knapp erwähnt oder erst gar nicht wahrgenommen. Ursachen: mal dies, mal das, aus der Ferne betrachtet weniger aufregend. Und weil es in den genannten Fällen keine größeren Schäden aus der Vernetzung gab, hielt sich der Ärger in Grenzen.

Republik der Kommissare
Notfallpläne bei Strom-Blackout für drei Tage - und dann?
Blickt man indes Jahre zurück und berücksichtigt man neben den Dramen von Tschernobyl und Fukushima auch weitere Stromausfälle außerhalb Deutschlands, sieht alles schon gefährlicher aus. August 2003: In Nordamerika fällt der Strom bis zu drei Tagen aus; betroffen sind 50 Millionen Menschen. September 2003: In Italien fällt der Strom bis zu 18 Stunden aus; betroffen sind 57 Millionen Menschen. November 2005: Im Münsterland fällt der Strom bis zu sieben Tagen aus; betroffen sind 250.000 Menschen.

Die Komplexität und damit die Verletzbarkeit der Stromversorgung geht aus den folgenden Beispielen besonders deutlich hervor: Wenn es brennt, ist die Feuerwehr (verschiedene private Einrichtungen) zur Stelle. Wenn darüber hinaus Rettung erforderlich wird, springen neben dem Deutschen Roten Kreuz auch Malteser, Johanniter und weitere Hilfsorganisationen ein (ebenfalls privat). Größere Schäden werden vom Technischen Hilfswerk behoben (eine Bundesanstalt). Und wenn es zum überregionalen oder sogar zum nationalen Blackout kommt? Dann muss irgendwie die Zusammenarbeit von Bund (speziell Bundespolizei und Bundeswehr), Ländern, Kreisen, Kommunen und Hilfsorganisationen klappen. Wobei der Bundeswehr noch das Zentrum Zivil-Militärische Zusammenarbeit angegliedert ist, eine international ausgerichtete Organisation.

Aber wer koordiniert das Ganze? Als anno 1962 Hamburg überflutet wurde, riss Helmut Schmidt, damals Innensenator des Stadtstaats und später Bundeskanzler, die Regie einfach an sich. So konnte er noch Schlimmeres verhindern. Heute steht das Notfall- und Krisenmanagement vor einer unlösbar erscheinenden komplexen Aufgabe. Dazu gehört neben der Zusammenarbeit der zuständigen Behörden und Hilfsorganisationen auch die Einbeziehung von Energieversorgern wie RWE und EnWB, von Informationstechnik-Konzernen wie SAP und Secunet, von Wasserkraftwerken, Lebensmittelhändlern, Logistikunternehmen und Sicherheitsfirmen.

Kurz vorm Blackout
Deutschland (fast) ohne Strom
Schon frühzeitig warnte das eingangs zitierte TAB-Büro in Bezug auf die zu koordinierenden Mitstreiter: „Deren Vielzahl und Heterogenität erschweren diese Aufgabe erheblich. So muss man sich vergegenwärtigen, dass es beispielsweise im Sektor Wasser 5.200 Versorger und 5.900 Entsorger oder im Sektor Informationstechnik und Telekommunikation 3.000 Anbieter von Dienstleistungen gibt. Diese operieren teils lokal, teils überregional und weisen ganz unterschiedliche Kompetenzen und Kapazitäten bezüglich des Krisenmanagements auf.“

In Zukunft wird es noch komplizierter: Weder die Brexit-Folgen noch die Konsequenzen aus der Neuverteilung der Kompetenzen innerhalb der Nato sind absehbar. Was Letztere betrifft, ist gerade in jüngster Zeit viel Unsicherheit entstanden. Denn US-Präsident Donald Trump hat beschlossen, dass die Last der Ausgaben innerhalb der Nato neu verteilt werden soll – und mit ihr die Finanzierung von Raketen, Flugzeugen, Panzern und sonstigem Gerät. Die deutschen Steuerzahler werden sich wundern. Damit ist jedoch längst noch nicht darüber entschieden, wer bei einem Blackout an oberster Stelle das Sagen haben wird.

Und dann gibt es ja noch die EU, die versuchen wird, möglichst viele Kompetenzen an sich zu reißen. Bis sie damit Erfolg hat, dürfte es allerdings noch ein paar Jahre dauern. Das geht aus einem sogenannten Weißbuch hervor, in dem es heißt: „Zur Stärkung der Reaktions- und Einsatzfähigkeit der EU im zivilen und militärischen Bereich wird national mittelfristig ein ständiges zivil-militärisches operatives Hauptquartier und damit eine zivil-militärische Planungs- und Führungsfähigkeit angestrebt, die in dieser Weise noch nicht in den EU-Mitgliedstaaten vorhanden ist.“

Teil 2 von 2
Das ABC von Energiewende- und Grünsprech 83 (2): Blackout
Also große Worte, ehrgeizige Pläne – und sonst? Nur mal angenommen, der Strom fiele über Rüsselsheim hinaus während des Feierabendverkehrs auch im benachbarten Frankfurt aus. Dann könnte in kürzester Zeit der gesamte S- und U-Bahn-Verkehr lahmgelegt sein, mit steckenbleibenden Arbeitern und Angestellten, die schnell panisch reagieren dürften. Und wer in einem der Frankfurter Wolkenkratzer der Arbeit nachgeht, liefe eventuell sogar Gefahr, im Fahrstuhl eingeschlossen zu werden. Es sei denn, Notstromaggregate würden sofort ihre Arbeit aufnehmen – doch wie viele müssten es sein, damit alle Insassen in Fahrstühlen, in S- und U-Bahn-Waggons befreit werden könnten? Niemand kennt die Antwort.

Das liegt daran, dass Arbeit und Freizeit mittlerweile vollständig von elektrisch betriebenen Anlagen und Geräten durchdrungen sind. So etwas wirkt sich nicht zuletzt auf das Verhalten der Menschen aus: Ihr Bewusstsein für Risiken, die daraus erwachsen, tendiert gegen Null. Und das im Zuge einer extrem teuren Energiewende, deren Ausgang offen ist. Wer ihren Sinn anzweifelt, gilt unter vielen Politikern wie auch in breiten Bevölkerungskreisen fast schon als Staatsfeind. In so einer Atmosphäre kann die Quittung nicht mehr lange auf sich warten lassen: Höhere Strompreise, die vor allem zulasten der Bezieher unterer und mittlerer Einkommen gehen werden.

Ein Blackout kann verschiedene Ursachen haben: Versagen der Technik, (Cyber-) Kriminalität bis hin zu terroristischen Attacken, menschliche Fehler, extreme Wetterlagen, Naturkatastrophen oder Epidemien – um nur die wichtigsten zu nennen. Treffen zwei zusammen, wie 1986 in Tschernobyl und 2012 in Fukushima, entsteht ein GAU (Größter Anzunehmender Unfall). Von alldem ist Deutschland bislang weitgehend verschont geblieben. Das schwächt das Risikobewusstsein zusätzlich. Und so mangelt es in Deutschland immer noch an einer allgemein durchsetzungsfähigen Strategie, die in der Lage wäre, der Bevölkerung zumindest eine minimale Vorsorge für den Ernstfall zu sichern.