Tichys Einblick
Panoramagate

Stell dir vor, Diffamierung ist angesagt – und keiner macht mehr mit

Jede Hexenjagd und jede Diffamierungskampagne in der Geschichte endete irgendwann. Es kommt auf uns alle an. Wenn wir einfach nicht mitmachen, hat der Spuk ganz schnell ein Ende.

imago images / Hanno Bode

Die Affäre, die das NDR-Magazin Panorama mit seinen Vorwürfen gegen den Bundeswehr-Offizier Bohnert auslöste, könnte vielleicht ein kleiner, erster Anfang eines Endes sein. Zumindest wurde wohl auch den Machern der Sendung klargemacht, dass es Grenzen geben dürfte. Denn sie hat ganz offensichtlich auch unter öffentlichen Stimmen, die nun ganz und gar unverdächtig der Sympathie mit so genanntem „rechtem Gedankengut“ sind, zu einem gewissen Zweifel geführt. Die Macher der Sendung erfuhren jedenfalls deutliche Kritik dafür, dass sie den Leumund und die berufliche Existenz jenes Offiziers zerstörten. Der Chefredakteur der Welt am Sonntag, Johannes Boie, schrieb: „Es ist kein seriöser Journalismus, jemanden wegen einzelner „Likes“ oder vereinzelter Verbindungen im Internet zu verurteilen. Wer hier mitmacht, bekämpft die Freiheit der Gedanken und fördert ein System gleichdenkender Langweiler.“

Die Panorama-Macher wiederum schlugen daraufhin umso wütender auf jene Kritiker ein, unterstellten „einschlägigen ‚Medien“ (offenbar ist auch die Welt am Sonntag gemeint) „schräge Vorwürfe“. Aber schräg ist das nun wirklich nicht, was schließlich der Blogger Don Alphonso auf welt.de über Natascha Strobl berichtet, die in der Panorama-Sendung als Politikwissenschaftlerin präsentiert wird und das Verdikt gegen Bohnert spricht: „Gerade der Leiter der Social-Media-Abteilung der Bundeswehr darf natürlich überhaupt keinen Kontakt haben zu den Identitären.“ 

Das sei ein Skandal, sagt Strobl. Aber wie soll man dann die unzähligen Kontakte von ihr in den Linksextremismus bewerten? Strobl folgt nicht nur mehreren linksextremen Organisationen auf Twitter. Wie Don Alphonso – ohne größere investigative Nöte – nachweist, ist jene Strobl eher eine linksextreme Aktivistin zu nennen. Sie sei bei der „Autonome Antifa-Koordination Kiel“ aufgetreten (die ihrerseits zu den „Welcome to Hell“-Krawallen in Hamburg 2017 aufgerufen hatte) und bei der „Interventionistischen Linken Aschaffenburg“, die vom bayerischen Verfassungsschutz als Teil der linksextremistischen, autonomen Szene benannt wird und die gleich nach Strobls Auftritt eine Aktionskonferenz gegen das G-20-Treffen bewarb. 

Fast schon ironisch mutet es an, wenn nun in Reaktion auf Don Alphonso Artikel der Leiter des Online-Portals Faktenfinder der Tagesschau-Redaktion, Patrick Gensing, wiederum auf Twitter von „einem Versuch der Einschüchterung“ spricht – „und damit ein Angriff auf die Pressefreiheit“. Don Alphonso & Co hätten „keinen stichhaltigen Beleg vorgelegt, der ein journalistisches Fehlverhalten bei dem Panorama-Bericht zeigt“.  Sie, so Gensing, „arbeiten sich daher nun an den beteiligten Personen ab – tun also genau das, was sie Panorama vorwerfen“. Man fragt sich, was Gensing unter „der Sache selbst“ versteht. Schließlich geht es auch in dem Panorama-Beitrag um eine Person. Auch diese Reaktion offenbart, wie blank die Nerven bei der ARD offensichtlich liegen: Ein Blog-Beitrag mit nichts als Links und öffentlich zugänglichen Informationen wird zum „Angriff auf die Pressefreiheit“ stilisiert.

Wie Hexenjagden enden

Was NDR-Panorama und andere Journalisten oder die Woke-Bewegung an den Hochschulen der USA inszenieren, ist gewaltfrei (es sei denn man nutzt dafür den unsinnigen Begriff der „strukturellen Gewalt“), aber es gemahnt wie die  – ebenfalls glücklicherweise unblutige – Kommunistenverfolgung des Senators McCarthy in den frühen 1950er Jahren an blutige Hexenjagden der Geschichte (vgl. Arthur Millers Drama „The Crucible“ / „Hexenjagd“ von 1953). 

Nun die gute Nachricht: Alle Hexenjagden und Diffamierungskampagnen in der Geschichte endeten irgendwann. Nicht etwa, weil alle Hexen, Konterrevolutionäre, Volksfeinde, „Kommunisten“ oder wie auch immer die vermeintlichen Feinde der Tugend genannt wurden, ausgeschaltet und die Gesellschaften dadurch endgültig gereinigt worden wären. Nie sind die Hexenjäger als Helden und Retter in die Geschichtsschreibung eingegangen. Im Nachhinein ist stets deutlich geworden, wer wirklich Übeltäter und wer wirklich Opfer war.

Das Ende der großen Hexenjagden, ob sie nun blutig waren oder nicht, hatte andere Gründe: Einerseits weil der Glaube an Hexen (oder zumindest an die Möglichkeit, sie zu entlarven) verloren gegangen war. Und weil die Menschen merkten, dass nach den öffentlichen Hinrichtungen das Vieh und die Kinder nicht gesünder und die Winter nicht milder wurden als zuvor.

Aber vor allem endeten sie, wenn die Menschen es irgendwann selbst mit der Angst zu tun bekamen, in den Folterkammern der Hexenjäger zu landen. Diese Angst lässt den Glauben, dass man wirklich Hexen gejagt habe, dass es sie überhaupt gibt, erst von Zweifeln zerfressen und schließlich in sich zusammenfallen.

Hexenjagden enden, wenn die Hexenjäger den eigenen Eifer übertreiben, wenn der Kreis der Verdächtigten immer größer und die Anschuldigungen immer absurder werden. Bei den frühneuzeitlichen Hexenverfolgungen war das von Region zu Region sehr verschieden und endete mancherorts in Europa erst im 18. Jahrhundert. 

Bei späteren, säkularen Hexenjagden, ging es meist schneller. Nur einige Monate lang konnten Maximilian de Robespierre und seine Anhänger in Frankreich die von revolutionärem Eifer und Angst vor inneren Feinden der Revolution durchdrungenen Abgeordneten des Konvents und den Pöbel von Paris davon überzeugen, dass der „große Terror“ nötig sei. Als – nach vielen tausend Guillotinierten und in der Loire Ertränkten – Robespierre schließlich gemeinsam mit seinem jugendlichen Bluthund Saint-Just am 26. Juli 1794 vor dem Konvent neue Anklagen ankündigte, kippte die Stimmung. Die Abgeordneten hatten es mit der Angst bekommen, weil sie wohl die Ahnung hatten, selbst auf der Guillotine zu landen. Robespierre hatte den Bogen überspannt. Am nächsten Tag, dem berühmten „9. Thermidor“, wurden er und Saint-Just festgenommen und schließlich selbst hingerichtet. Die Terrorherrschaft war vorbei.   

Die Kampagne, die in den USA unter dem Stichwort Cancel Culture stattfindet und deren deutsche Nachahmer nicht zuletzt die Redaktionsstuben in Deutschland bevölkern, ist selbstverständlich in ihrer Qualität nicht mit blutigem Terror zu vergleichen. Die Angst, die sie verbreitet, ist vergleichsweise harmlos. Es geht nicht um das Leben, sondern „nur” um den öffentlichen Ruf und den Arbeitsplatz, das was man eine bürgerliche Existenz nennt. In modernen Wohlstandsgesellschaften reicht das eben als Schrecken aus. 

Derartige Kampagnen enden dann, wenn sie den Bogen überspannen. Ihr Zweck ist die Disziplinierung durch Angst. Aber die kann auch umschlagen gegen die, die sie erzeugen, wenn sie maßlos werden. Robbespierre und Saint-Just haben nicht rechtzeitig begriffen: Wenn ein ausreichend großer Anteil der zur Terrorausübung notwendigen Helfer befürchtet, selbst Opfer zu werden, und diese Angst stärker ist als der ideologische Eifer oder die Hoffnung auf Machtgewinne, bricht der Terror schnell zusammen.

Die Panoramagate-Affäre hat immerhin einen kleinen Eindruck davon gegeben, dass es auch für die Cancel Culture der Gegenwart eine Grenze gibt: Wenn die Anklagen absurd werden, wenn der Kreis der potentiellen Angeklagten immer größer wird und allmählich Bürger erfasst, die sich bislang für sicher vor Anklagen hielten, ist irgendwann der Bogen überspannt. Dann merken diese Verängstigten früher oder später, je nach persönlichem Mut oder Grad der Angst: Es kommt auf uns alle an. Wenn wir einfach nicht mitmachen, hat der Spuk ganz schnell ein Ende.

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