Tichys Einblick
Wer ist für die Bürgerbäuche verantwortlich?

Özdemirs Ernährungsstrategie: „Maß und Mitte“ durch staatliches „Hinschauen“

Cem Özdemir will in einem Gastbeitrag Kritik an der Übergriffigkeit seiner „Ernährungsstrategie“ entkräften. Aber durch lauter Selbstwidersprüche bestätigt er: Die Bundesregierung glaubt besser zu wissen, was in die Bäuche der Bürger gehört, als diese selbst.  

Cem Özdemir, Bundesminister für Landwirtschaft und Ernährung, 21.12.2022

IMAGO / photothek
Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) ist heute persönlich geworden. Das wäre noch verzeihlich, wenn es nur um seine Person gegangen wäre. Auch ein Bundesminister kann der Nation schon mal aus seiner Kindheit erzählen. Aber Özdemir erzählt davon nicht im Interview mit der Bunten, sondern in einem Gastbeitrag, in dem er die heute im Kabinett beschlossene „Ernährungsstrategie“  rechtfertigt. Und dabei geht es nicht um sein Privatleben, sondern das von allen Bürgern. 

Einst inszenierte sich Özdemirs Partei – und der Koalitionspartner FDP ohnehin – als eine Partei der Bürgerrechte und der persönlichen Freiheit gegen einen übergriffigen Staat. Nun schafft diese Regierung einen Anlass, um die alte Parole der Anti-218-Bewegung – „Mein Bauch gehört mir“ – in abgewandelter Bedeutung neu aufleben zu lassen. Denn ganz offenkundig fühlt sich der Bundeslandwirtschaftsminister zuständig für das, was die Bürger als Nahrung in ihre Bäuche befördern. 

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Özdemir weiß natürlich, wie kritikwürdig eine staatliche Ernährungsstrategie für die eigenen Bürger ist. Darum verteidigt er sich schon im Voraus mit einem Gastbeitrag in der Zeitung Welt. Kritiker könnten dem Vorhaben entgegenhalten, Ernährung sei Privatsache, schreibt Özdemir da. Sein Vorhaben könne die Frage provozieren: „Hat der sie noch alle – was ich esse, das entscheide ich und ich ganz allein.“ Eigentlich ist mit diesem Satz tatsächlich alles gesagt – das wäre es jedenfalls in einem liberalen Staat freier Bürger. 

Darum gehe es bei der Strategie jedoch nicht, behauptet Özdemir. Nur um dann sich selbst zu widerlegen: „Was Sie essen, entscheiden Sie ganz allein – aber nicht jeder, der schlecht isst, will es auch oder ist selbst dran schuld. Es geht uns um bessere Möglichkeiten für alle“, so Özdemir. „Es muss uns gelingen, Maß und Mitte, Genuss und Freude am Essen zusammenzubringen.“ Also meint er letztlich doch, dass die Bürger nicht selbst für „Maß und Mitte“ ihrer Ernährung verantwortlich sein können. Dass viele dafür einfach zu blöd wären und Aufklärung von ihren Regierenden („uns“) bräuchten. Ganz so wie sein Kollege, Gesundheitsminister Lauterbach, auch nach bald drei Jahren Corona und millionenfachen Erfahrungen mit den Impfungen noch Plakate kleben lässt, auf denen Menschen vorbildhaft verkünden „Ich schütze mich…“. Üppig bezahlt natürlich vom Steuerzahler, also den Belehrten selbst.

Özdemirs Beitrag ist ein einziger Selbstwiderspruch. So sagt er zu diesem erwähnten „gelingen“ müssen: „Nicht mit dem moralischen Zeigefinger – es gehört zum Leben dazu, auch mal über die Stränge zu schlagen –, sondern aus Respekt gegenüber uns selbst und unseren Kindern.“ Also trauen er und das Bundeskabinett den Bürgern nicht zu, sich selbst und ihre Kinder ohne staatlichen Beistand zu respektieren. 

Wer dieser Regierung einen Hang zur Kontrolle unterstellt, kann sich von nun an auf einen Bundesminister persönlich berufen: „Wir wollen auch da genauer hinschauen, wo unsere Verantwortung für eine gesunde Ernährung am wichtigsten ist. Bei unseren Kita- und Schulkindern braucht es abwechslungsreiche und gesundheitsfördernde Essensangebote.“ Mit „Wir“ kann ja wohl nur der Staat gemeint sein. 

Auch der Vorwurf des Paternalismus, also dass der Staat und seine Politiker die Bürger wie kleine Kinder betrachten, wird von Özdemir unmissverständlich bestätigt, wenn er sich selbst als Currywurst essendes Schulkind zum Beleg für die Notwendigkeit dieses genauer hinschauenden Staates anführt. “Vielleicht hätte es auch Abwechslungsreicheres und damit auch mal was Gesünderes gegeben, aber daran habe ich keinen Gedanken verschwendet. Es ging mir schlicht darum, einfach und günstig satt zu werden.“

Eins muss man dem Minister und Autor Özdemir lassen: Er weiß, dass zu einer Moralpredigt die Geschichte vom bekehrten Sünder gehört. Sie ist besonders schön, wenn der Prediger selbst einst Sünder war.

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