Tichys Einblick
Neujahrsansprache der Kanzlerin

Zum Jahresende lobt Merkel Journalisten und züchtigt „Unverbesserliche“

In ihrer wohl letzten Neujahrsansprache kennt Merkel fast nur ein Thema und spart nicht an Pathos und Selbstüberhöhung: Corona, die "Jahrhundertaufgabe". Zwischendurch macht sie den "Unverbesserlichen" einen extremen Vorwurf.

picture alliance / AP | Markus Schreiber

Beginnen wir mit dem Ende. Dem Ende der Neujahrsansprache der Bundeskanzlerin, in der sie mehrfach von Hoffen und Hoffnung spricht. Denn sie sagt „zum Schluss noch etwas Persönliches“, indem sie erneut verspricht, zur bevorstehenden Bundestagswahl nicht wieder anzutreten, so dass dies „aller Voraussicht nach das letzte Mal“ ist, dass sie eine Neujahrsansprache halte. 

In der Ansprache gibt es fast nur ein Thema, Corona, was sonst. Aber bezeichnend sind die kurzen Bemerkungen, die sich nicht um die Pandemie drehen. Was die Kanzlerin in ihrer letzten Neujahrsansprache für „umso wichtiger“ hält, ist, „dass Deutschland mit all seiner Kraft und seiner Kreativität mutige Ideen für die Zukunft entwickelt. Dass unser Wirtschaften, unsere Mobilität, unser Leben klimaschonend wird. Dass alle Menschen in Deutschland von gleichwertigen Lebensverhältnissen und echter Bildungsgerechtigkeit profitieren können. Dass wir uns auch mit Europa besser behaupten in der globalisierten, digitalisierten Welt.“ Und das wars.

Die Kanzlerin einer christdemokratischen, einst auch als konservativ, ordoliberal, jedenfalls marktwirtschaftlich wahrgenommenen Partei verkündet also ihren Bürgern zum Abschied Forderungen, mit denen man eigentlich deren politische Konkurrenz identifiziert: global-ökologisch-sozial-gerecht. Zwischen den Zeilen lautet die eigentliche Botschaft, das Vermächtnis der Angela Merkel also wohl: Die Grünen und die SPD und die Union gehören zusammen. 

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Zurück zum Anfang. Merkel beginnt mit einer Mischung aus Grusel und Wir-Gefühl: „Ein bis dahin unbekanntes Virus dringt in unsere Körper und unsere Leben ein. Es trifft uns da, wo wir am allermenschlichsten sind: im engen Kontakt, in der Umarmung, im Gespräch, beim Feiern.“ Dazu kommt eine Prise Selbstüberhöhung: „Die Coronavirus-Pandemie war und ist eine politische, soziale, ökonomische Jahrhundertaufgabe. Sie ist eine historische Krise, die allen viel und manchen zu viel auferlegt hat. Ich weiß, dass es ungeheures Vertrauen und Geduld von Ihnen verlangt hat und weiter verlangt, sich auf diesen historischen Kraftakt einzulassen.“
„Auch ich werde mich impfen lassen“

„Was lässt mich hoffen?“, fragt die Kanzlerin, um gleich in schiefem Kitsch zu antworten: „Seit wenigen Tagen hat die Hoffnung Gesichter: Es sind die Gesichter der ersten Geimpften, der ganz Alten und ihrer Pfleger und Pflegerinnen, des medizinischen Personals auf den Intensivstationen – nicht nur bei uns, sondern in allen europäischen und vielen anderen Ländern. Tagtäglich werden es mehr, schritt-weise werden andere Alters- und Berufsgruppen dazukommen – und dann alle, die es möchten. Auch ich werde mich impfen lassen, wenn ich an der Reihe bin.“

Ausgerechnet hier, wo man nun einwenden könnte, dass es nicht gerade für die deutsche Regierung spricht, dass ausgerechnet das Land, in dem der wichtigste Impfstoff entwickelt wurde, zu den Nachzüglern der Impfung gehört, setzt Merkel auf globalistisches Pathos: „Die Gründer Ugur Sahin und Özlem Türeci aus Mainz haben mir erzählt, dass Menschen aus 60 Nationen in ihrem Unternehmen arbeiten. Nichts könnte besser zeigen, dass es die europäische und internationale Zusammenarbeit, dass es die Kraft der Vielfalt ist, die den Fortschritt bringt.“ Legt die jüngste Erfahrung der extremen nationalen Unterschiede der Impfstoffversorgung auch innerhalb Europas nicht gerade das Gegenteil nahe?

Neben viel Gefühligkeit kommt bei Merkel aber auch die Benennung und Beschimpfung des Feindes nicht zu kurz: „Ich kann nur ahnen, wie bitter es sich anfühlen muss für die, die wegen Corona um einen geliebten Menschen trauern oder mit den Nachwirkungen einer Erkrankung sehr zu kämpfen haben, wenn von einigen Unverbesserlichen das Virus bestritten und geleugnet wird. Verschwörungstheorien sind nicht nur unwahr und gefährlich, sie sind auch zynisch und grausam diesen Menschen gegenüber.“ Etwas Augenscheinliches zu leugnen, ist sicherlich dumm. Aber Menschen, so dumm sie auch sein mögen, als „unverbesserlich“ zu bezeichnen, und Theorien, so abstrus sie auch sein mögen, „grausam“ zu nennen, zeugt doch von einer bedenklichen Verschiebung der Urteilskategorien. Sind diese Menschen also in den Augen der Kanzlerin so etwas wie Verdammte?  

Doch auch bei der Belobigung der Menschen, die dazu beigetragen hätten, „dass unser Leben trotz Pandemie weiter möglich war“, offenbart die Kanzlerin eine seltsames Urteil. Diese hätten, so Merkel, nicht nur „in den Supermärkten und im Gütertransport, in den Postfilialen, in Bussen und Bahnen, auf den Polizeiwachen, in den Schulen und Kitas, in den Kirchen“ gearbeitet, sondern auch „in den Redaktionen“. Die Kanzlerin lobt also die Journalisten…  Sie wird schon wissen warum. 

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