Tichys Einblick
CDU-Vorsitz

Friedrich Merz: Ein Gewinnerthema zumindest hätte er jetzt

Friedrich Merz hat eine Chance, den CDU-Vorsitz zu gewinnen: Nämlich wenn die Rezession bis Jahresende schmerzhaft wird - und er seine Position im Grundsatzkonflikt zwischen dem Herrschaftsanspruch der EU und dem Bundesverfassungsgericht durchhält.

imago Images/photothek

Was macht eigentlich Friedrich Merz gerade? Um nicht ganz vergessen zu werden, gibt er als einer der beiden nicht in Regierungsverantwortung befindlichen Kandidaten für den Vorsitz der Regierungspartei CDU ab und an Interviews. Aber die Nachfrage danach scheint nicht allzu groß, denn was er bietet, ist meist nicht gerade aufregend. Der Mann, der ja auch einmal Bundeskanzler werden will (wenn er es denn wirklich will), verzichtet auf das, was für politische Herausforderer in jeglichem Machtkampf eigentlich naheliegend ist: regierende Konkurrenten scharf kritisieren, deren Fehler aufzeigen, sagen, was er besser machen würde.

Das ist enttäuschend für seine Anhänger. Aber verständlich. Vielleicht sogar vernünftig. Einerseits ist jeder Machtkampf innerhalb einer politischen Partei, zumal einer regierenden, immer verdruckst. Der Herausforderer kann nicht hemmungslos angreifen. Seine Gegner sind schließlich Parteifreunde. Zwar weiß jeder, dass das hinter den Kulissen die Steigerungsform eines Erzfeindes ist – aber eben nur hinter den Kulissen. Vor den Kulissen will oder muss man schließlich auch im Falle des eigenen Sieges mit sehr vielen von denen, die zuvor dem Konkurrenten zuneigten, zusammenarbeiten, ist auf deren Loyalität angewiesen. 

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Man darf wohl davon ausgehen, dass Friedrich Merz der amtierenden Bundeskanzlerin und den meisten CDU-Spitzenpolitikern, die unter Merkel in den vergangenen 20 Jahren ihre Karrieren machten, in herzlicher Abneigung verbunden ist. Doch es gilt halt auch hier und hier erst recht der Satz des Alten von Rhöndorf: „Nehmen Se de Menschen, wie se sind. Andere jibt et nicht“, sagte Konrad Adenauer. Der wusste, dass man eine Organisation, eine Partei und erst recht einen Staat selbst nach einem Epochenbruch nicht ganz ohne Funktionsträger von vor dem Bruch weiterführen kann. 

Viele seiner Anhänger, die sich vor allem an der Basis, in der Jungen Union, vor allem in der WerteUnion und weniger in der Kaste der CDU-Berufspolitiker finden, werden enttäuscht sein von Friedrich Merz, dem einzigen Hoffnungsträger der konservativen, wirtschaftsliberalen, sagen wir ruhig: der vor-merkelistischen Union. Aber er tut ihnen nicht den Gefallen, die Kanzlerin selbst und seine merkelnäheren Konkurrenten Laschet und Röttgen direkt zu kritisieren und auch nicht die de facto weiterhin oder wieder über die CDU gebietende Bundeskanzlerin selbst. 

Womöglich ist das auch klug von Merz. In der gegenwärtigen Lage hätte er vermutlich mit scharfer Kritik an Merkel oder seinem im Zentrum der Krisenpolitik agierenden Hauptkonkurrenten Armin Laschet wenig zu gewinnen. Merz, so ist von seinen Anhängern zu hören, will sein Pulver jetzt nicht verschießen, keine Schlacht eröffnen, die er nicht gewinnen könne, zumindest noch nicht.

Es ist auch wohl keine Spinnerei mehr, es für möglich zu halten, dass Merkel zwar nicht wieder (offizielle) Parteivorsitzende werden, aber doch noch ein fünftes Mal zur Kanzlerin gewählt werden will. Armin Laschet, einer ihrer treusten Zöglinge und von vielen schon seit Jahren für ihren eigentlichen Lieblingsnachfolger gehalten, hat sich durch seine eher öffnungsfreundliche Corona-Politik auch ein wenig zu profilieren und gegenüber der Kanzlerin freizuschwimmen versucht. Das tat er auch mit kleinen, scheinbar nebensächlichen Formulierungen, etwa in einem Brief an die Parteimitglieder zum Karfreitag: „Wir haben abzuwägen zwischen ethischen Dilemmata. Jede Entscheidung hat Folgen. Und für jede Entscheidung gibt es Alternativen.“ 

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Bei so manchem Erzmerkelisten in Berlin und wohl auch bei Merkel selbst hat er dadurch an Sympathie eingebüßt. So wie es schon der zeitweiligen Schein-Kronprinzessin Annegret Kramp-Karrenbauer als Parteivorsitzende erging. Die Saarländerin wollte zum Beispiel mit den „Werkstattgesprächen“ über Migration ein wenig politischen Spielraum jenseits vom „wir schaffen das“-Dogma gewinnen. Das kam bei Merkel, wie man in Berlin hört, gar nicht gut an und war wohl ein Grund dafür, dass über AKKs Parteivorsitz kein Kanzler-Segen lag. Merkels Ukas zur Wahlwiederholung in Thüringen war schließlich nebenbei auch ein Signal an die Berufs-CDUler, um die wahren Machtverhältnisse klarzustellen. 

Und die bisherige Corona-Krise scheint sie – nach CDU-Berufspolitiker-Maßstab – erneut zu bestätigen und zu bestärken. In der Berufs-CDU, also unter den von der Politik lebenden Parteimitgliedern gibt es nämlich nur eine Währung, die über alles entscheidet: Das sind nicht die politischen Programme und Taten selbst, schon gar nicht die Frage, was gut ist für das Land, sondern die Aussicht auf Wahlsiege und die daraus sich ergebenden gut bezahlten und mit Macht verbundenen Posten in Parlamenten und Regierungsinstitutionen. Und hier scheint Merkel mit ihrer Corona-Politik wieder zu liefern: Bis zu 40 Prozent für die Unionsparteien vermelden jüngste Umfragen. Zum Vergleich: Bei der letzten Bundestagswahl erreichten sie  32,9 Prozent. Zwischenzeitlich lagen sie in Umfragen deutlich unter 30. 

Merkel selbst und alle, die an ihrer Macht unmittelbar teilhaben – vorneweg die Minister Helge Braun und Peter Altmaier und viele andere – können also mit der aktuellen Führungslage der Partei unter einer pro-forma-Vorsitzenden AKK, die nichts zu sagen hat, und einer de-facto-Chefin Merkel gut leben. Am liebsten wäre es vielen vermutlich, wenn das einfach so bliebe: eine zur reinen Machterhaltungs- und Karrierenmaschine degenerierte Partei mit einer verwaltenden Pseudo-Vorsitzenden unter der Ägide einer informell herrschenden Kanzlerin.

Der nächste CDU-Bundesvorsitzende wird allerdings nicht jetzt gewählt, sondern am ersten Dezemberwochenende auf dem Bundesparteitag. Bis dahin kann und wird viel passieren. Entwicklungen, die man jedenfalls mit hoher Wahrscheinlichkeit vorhersagen kann, sind ein starker Anstieg der Arbeitslosigkeit und ganz generell schmerzhafte Auswirkungen der coronabedingten Rezession. Eine Selbstbeweihräucherung mit Verweis auf die glänzenden ökonomischen Daten, wie wir sie seit rund 10 Jahren bei CDU-Parteitagen erlebten, wird es nicht geben. 

Am Ende dieses Corona-Jahres wird mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht mehr die Infektionsrate, sondern die ökonomische und fiskalische Lage des Landes und vor allem anderer europäischer Länder im Zentrum des politischen Geschehens stehen. Noch nervt Corona die meisten Menschen einfach nur, sofern sie nicht selbst schwer erkranken. Kurzarbeit und andere staatliche Sozial-Analgetika betäuben. Aber die Schmerzen durch den Lockdown sind eben nur aufgeschoben, sie sind aber nicht langfristig aufhebbar. 

Der Erwartungshorizont der Deutschen, sehr vieler von ihnen zumindest, wird sich mittelfristig also deutlich verdunkeln. Die Demonstrationen gegen die Coronapolitik, die Konjunktur von Verschwörungstheorien einerseits und offenbaren eine wachsende Verunsicherung und Nervosität einer Minderheit der Bevölkerung. Aber einer Minderheit, die schnell wachsen dürfte, wenn soziale Härten in Folge der Rezession zunehmen. Dann könnte es durchaus auch innerhalb der CDU und unter jenen 40 Prozent der Deutschen, die mit ihr in der jetzigen Gestalt zufrieden sind, zu einem Ruf nach einer Revision verbunden mit einer größtmöglichen personellen Neugestaltung der Parteispitze kommen. Wirtschaftliche Fragen jedenfalls werden an politischem Gewicht gewinnen. Das kommt Merz zugute. 

Zum Brennpunkt politischer Auseinandersetzungen dürfte auch die Frage der (finanz)politischen Souveränität der EU-Staaten und Deutschlands gegenüber der EU werden. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das ein vorher ergangenes Urteil des Gerichtshofes der EU über die Anleihenkaufpraxis der Europäischen Zentralbank für „schlechterdings nicht nachvollziehbar“ hält, hat diesen grundlegenden Konflikt nun in bisher nicht gekannter Offenheit deutlich gemacht. 

Es ist bezeichnend, dass Merz und sein ebenfalls nicht mitregierender Konkurrent Norbert Röttgen sich hierzu – und nicht oder kaum zur aktuellen Corona-Lage – entschieden äußern. Sie wissen, dass das eines der entscheidenden Themen für die nahe Zukunft sein wird. Hier geht es nicht um eine juristische, sondern um eine der zentralen Fragen der Gegenwart in Deutschland und Europa: Sind die Nationalstaaten auf dem Gebiet der Finanzpolitik noch souverän oder nicht. In Deutschland wird dieser Streit letztlich als ein ideologischer geführt (und sich weiter zuspitzen), der letztlich auf die Frage hinausläuft, ob es für Deutschland überhaupt legitim ist, die finanziellen Interessen seiner Bürger zu vertreten. 

Röttgen hat klar gemacht, wo er steht, ebenso wie zahlreiche Politiker von SPD und Grünen, aber auch die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen: Das Karlsruher Urteil sei „fatal“, sagt Röttgen, weil es „Deutschland in einen Konflikt mit der Europäischen Zentralbank und der Europäischen Union, der nicht lösbar ist“, führe. Letztlich ist das die Absage an die Souveränität Deutschlands zugunsten der EU.

Er wird es nicht
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Merz dagegen sagte: „Der Satz aus der EU-Kommission, dass nämlich europäisches Recht immer Vorrang hat vor nationalem Recht, ist in dieser apodiktischen Form einfach unzutreffend“. Solange die Mitgliedstaaten die wesentlichen Träger des europäischen Staatenverbundes seien, hätten die nationalen Verfassungsgerichte das Recht und die Pflicht, „das Handeln der Organe und Institutionen ihres jeweiligen Mitgliedstaates an den Maßstäben des nationalen Verfassungsrechts zu überprüfen“, sagte Merz. Dazu gehöre auch deren Handeln im Rahmen der europäischen Institutionen.

Wenn Merz konsequent bleibt, hat er damit ein starkes Argument und künftiges Wahlkampfthema, mit dem er sich nicht nur innerhalb der CDU, sondern auch gegenüber dem Rest der Deutschen als Verteidiger handfester Interessen positionieren kann – in einem Bundestagswahlkampf 2021. Wenn er sich denn traut. Vielleicht ist es im Moment noch klug, sich zurückzuhalten, aber je näher der Parteitag rückt, desto weniger wird sich Merz vor dem Konflikt drücken können, wenn er nicht als ewiger Zauderer in die Geschichte eingehen will.

Die Härte und den unbedingten Durchsetzungswillen, die dafür nötig wären, einen grundlegenden politischen Streit dieses Ausmaßes erfolgreich zu führen, hat Merz bisher in seiner politischen Karriere jedenfalls nicht gezeigt. Nicht unmöglich, dass am Ende ein von der Kanzlerin verschmähter Armin Laschet schließlich zu dem wird, der Merz nach dem Willen vieler unzufriedener CDU-Mitglieder und -Wähler sein sollte: der Abwickler der Ära Merkel.  

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