Tichys Einblick
Wir sollen uns was wünschen

Die EZB hört zu: Lagarde verabschiedet die Unabhängigkeit der Zentralbank

Die politische Unabhängigkeit der EZB steht nur noch auf dem Papier. Ihre Präsidentin lädt Organisationen und Bürger ein, sie zu beeinflussen. Was die sich wünschen sollen, weiß sie aber offenbar schon.

JOHN THYS/AFP via Getty Images

Christine Lagarde ist keine gelernte Bankerin, sondern Politikerin. Und so agiert sie jetzt auch als Präsidentin der Europäischen Zentralbank. Die Nachricht, die sie heute verkünden ließ, mag als belanglose Kommunikationsmaßnahme erscheinen. Aber sie ist es nicht. Sie ist bezeichnend für den endgültigen Abschied von allem, was bei der Einrichtung der EZB und des Europäischen Währungssystems vor allem den Deutschen versprochen und auch im Maastricht-Vertrag festgehalten wurde.

Die EZB sollte unabhängig sein, so wie die Bundesbank es war und ist, und dadurch den Euro zu einer Hartwährung mache, wie die D-Mark eine war. Und diese Unabhängigkeit, die nicht nur ein Recht, sondern auch eine Pflicht der Zentralbank ist, betrifft eben nicht nur die Unabhängigkeit von den Begierden der Regierungen, sondern auch von anderen Institutionen. 

Dass diese Unabhängigkeit nur noch auf dem Papier steht, offenbaren nicht mehr nur die Anleihenkaufprogramme der EZB, sondern nun auch ihre Kommunikation. Lagarde lädt zivilgesellschaftliche Organisationen zur Veranstaltungsreihe „Das Eurosystem hört zu“ ein. Die EZB und die 19 Zentralbanken der Eurozone rufen damit „die Menschen und Organisationen im Eurogebiet auf, Ideen einzubringen und sich dazu zu äußern, wie die EZB ihre Geldpolitik innerhalb der Vorgaben des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union durchführt.“

Dieser Satz selbst ist ein Widerspruch: Der Vertrag verpflichtet schließlich die EZB zur politischen Unabhängigkeit. Sie soll gerade nicht auf eingeflüsterte oder offen ausgesprochene Interessen einzelner Institutionen oder Organisationen eingehen. „Wir möchten zuhören und für die Meinungen, Erwartungen und Anliegen der Bürgerinnen und Bürger offen sein“, sagt laut Pressemitteilung Lagarde. Eine Präsidentin der EZB hat aber nicht die Erwartungen und Anliegen der Bürger zu erfüllen. Und schon gar nicht die von „zivilgesellschaftlichen Organisationen“. Die EZB hat unabhängig zu sein und für die Preisstabilität zu sorgen.

Entscheidungen ohne Bürger
Die Souveränität der EZB und die Machtlosigkeit der Wähler
Wenn die EZB sich bislang immerhin noch mit Worten zu dieser in Verträgen fixierten Unabhängigkeit nach Vorbild der alten Bundesbank bekannte, so ist dies nun endgültig Makulatur. Christine Lagarde ist Französin und die Unabhängigkeit der Geldpolitik ist in ihrem Heimatland traditionell kein Thema. Vom ancien régime bis zu Mitterand war es immer wieder französische Regierungspraxis, den Staatshaushalt im Zweifelsfall mit Hilfe der Geldschöpfung zu sanieren. Französische Geldpolitik diente nie allein der Preisstabilität. Dementsprechend entwickelten sich auch die Preise. Der Franc war eine Weichwährung. 

Lagarde französisiert aber nicht nur die EZB, sie merkelisiert sie auch. Denn mit der Inszenierung des „Zuhörens“ imitiert sie die Methode der Bundesregierung mit ihren „Bürgerdialogen“: Sie geriert sich als mütterliche Kümmererin, zu der ihre Mündel kommen und sich ausweinen können. So wie es fürsorgliche Monarchen einst auch mit ihren Untertanen bei Audienzen taten.

Darf sich also jeder Europäer nun von Lagarde was wünschen? Zum Beispiel ein Ende der Ankaufprogramme? Klar, darf man das wünschen. Aber man soll es wohl nicht. Was sich die Mündel wünschen sollen bei den Audienzen der Präsidentin – die Auftaktveranstaltung findet am 26. März in Brüssel statt -, macht die EZB in der Pressemitteilung nämlich von vornherein klar: „Ziel der Überprüfung ist es, ein besseres Verständnis dafür zu entwickeln, inwieweit weitere Überlegungen wie Finanzstabilität, Beschäftigung und ökologische Nachhaltigkeit bei der Erfüllung des Preisstabilitätsmandats der EZB eine Rolle spielen können.“

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