Tichys Einblick
Auch die Deutschen haben eine Muttersprache

Wie sie mit ihrer Sprache umgehen (sollten)

Im Jahr 2000 führte die UNESCO den „Tag der Muttersprache“ ein. Sie will damit jeweils am 21. Februar auf Sprachen hinweisen, die aussterben könnten. Wenn die Deutschen so weitermachen, dürfte sie bald dabei sein. Sie scheinen ihre Muttersprache zu vergessen.

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„Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.“ Dieses bekannte Wort stammt von Ludwig Wittgenstein (1889 – 1951). Mehr noch: Wo aber Sprache verödet, da verödet das Denken. Denn Welt ist nur über Sprache erreichbar und erfassbar, daher sind Wahrnehmung und Denken Weltinterpretation untrennbar mit Sprache verbunden.

Sprache ist Medium für die Entfaltung von Innerlichkeit. Nur wenn man Bedrängendes verbal zum Ausdruck bringen kann, kann man sich davon entlasten. Sprache ist das einzige humane Instrument der Konfliktlösung; wo Sprache versagt, da regiert die Faust. Erst mit Sprache ist die Teilhabe an der politischen Öffentlichkeit möglich. Wer Sprache beherrscht, durchschaut leichter Reklame und Propaganda. Sprachliches Unvermögen dagegen hemmt die Welterschließung, das Verstehen des anderen und erschwert es, sich verständlich zu machen. Sprache ist das wichtigste Werkzeug des Menschen, um Kultur zu schaffen und diese kommenden Generationen zugänglich zu machen.

Dass diese Grenzen immer enger werden in diesem unserem Lande, daran wird an allen Ecken und Enden eifrig gearbeitet. Hier gibt es ein langes Sündenregister.

1. Seitens der Schulpolitik ist sprachlich Minimalismus angesagt.

Beispiele: die geringe Stundenausstattung des Faches Deutsch; das Herunterfahren des Grundwortschatzes auf nur noch 700 Wörter aktiven Wortschatzes am Ende der Grundschule; der Verzicht auf das Auswendiglernen von Gedichten; das Zustopseln von Lückentexten anstelle des Verfassens von zusammenhängenden Antworten usw. Zudem hat im Deutschunterricht eine „Furie des Verschwindens“ gewütet. Teil der „Entrümpel“ sind Leichtgewichtsversionen von literarischen Klassikern: Klassiker „light“. Schulbuchverlage haben eine ganze Reihe von klassischen Werken „modernisiert“. Goethes „Götz“, Schillers „Räuber“ und „Tell“, Storms „Schimmelreiter“.

2. Die sog. Rechtschreibreform war ein Flop.

Weil die Rechtschreibung den 68ern als Herrschaftsinstrument galt, wollte man ihr den Garaus machen. Dabei hätte es eine Alternative gegeben: die Rechtschreibung wieder ernst zu nehmen und konsequenter zu üben, anstatt sie zu diskreditieren. In den 1990er Jahren wollte man uns eintrichtern: Die Schüler würden mit der neuen Schreibung zwischen 40 und 70 Prozent weniger Fehler machen. Falsch, sie machen fast doppelt so viele. Zudem ist der größte Kollateralschaden der Rechtschreibreform ein Gefühl der Beliebigkeit: Immer mehr Junge und Alte glauben, man könne so schreiben, wie man will. Die Erleichterungspädagogik, derzufolge die phonetische Schreibweise zulässig ist, tut ein übriges. Vor allem hat durch die Rechtschreibreform, speziell durch die Liberalisierung der Kommasetzung, die Lesbarkeit von Texten gelitten.

3. Unsere Sprache wird von einem seltsamen „Denglisch“ verbogen.

Der globalisierte Deutsche spricht BSE – bad simple English – oder Denglisch. Wohin man guckt: Meeting Point, Ticket Office, Job Center, City Call, Headquarter, Bratwurst-Point, kein Kaufhaus ohne riesige Sale-Schilder. Sprachfunde dieser Art haben wir noch und noch. Die aggressivste Sprachbarbarei geschieht in der Psychologie: Boiled-Frog-Effekt, Brain up, Councelling, Feedback, Human Ressources, Win-Win-/Lose-Lose-Situations. Die Beispiele ergeben ein stattliches Wörterbuch: Siehe den „Anglizismen-Index“ des IFB-Verlags Paderborn. Dort sind samt Übersetzungsvorschlägen 7.500 Anglizismen aufgelistet.

Wer meint, wenigstens der Bildungssektor würde sich dieser Anglomanie entziehen, wird enttäuscht sein. Nein, die Sprache der „Bildung“ gibt sich besonders „trendy“. „Kultus“-Ministerien übertreffen sich gegenseitig mit: Educ@tion, Learntec, knowledge-machines, Soft Skills, Download-Wissen, Just-in-time-Knowledge usw. Und jetzt: die „Kiss-and- Go“-Zonen vor den Schulen.

Mit Provinzialität hat die Kritik an der Denglisch-Manie nichts zu tun. Andere Sprachnationen sind im Umgang mit Anglizismen selbstbewusster: Im Jahr 1994 verabschiedete die französische Nationalversammlung ein Gesetz, das die Verwendung von 3.500 gängigen Wortimporten verbot – Werbetextern, Journalisten, Amtspersonen. Die Londoner „Times“ jedenfalls nennt die Anglomanie der Deutschen gar „linguistic submissiveness“.

4. Auch Wissenschaft und Hochschule praktizieren „BSE“.

Bis 1933 war das Deutsche die Weltsprache in den Fachbereichen Theologie, Philosophie, Archäologie, Klassische Philologie, Geschichte, zu erheblichen Teilen in den Natur- und Technikwissenschaften und in der Medizin. Heute spielt das Deutsche – zumindest in den Natur- und Technikwissenschaften – keinerlei Rolle mehr spielt. Die internationale Kommunikationssprache ist ausschließlich das Englische.

Zudem beobachtet man in Deutschland eine Verdrängung des Deutschen selbst im internen Wissenschaftsbetrieb. Viele Forschungsförderungsanträge dürfen von deutschen Wissenschaftlern nur noch auf Englisch eingereicht werden. Begutachtungen der DFG müssen in englischer Sprache ablaufen, auch wenn alle Antragsteller und das Gutachtergremium deutschsprachig sind. Dass eine jede nationale Sprache auch Wissenschaftssprache sein muss, ist aber wichtig, denn dadurch werden Wissen und Wissenschaft demokratisiert.

5. Die Sprache der Gender-Ideologen

Es geht das Sprachgespenst der Gender-Lingustik um. Gender ist das soziale Geschlecht im Gegensatz zum biologischen Geschlecht („Sex“). In der Sprache des Konstruktivismus bzw. des Dekonstruktivismus ist geschlechtliche Identität ein Konstrukt, das aufgebaut oder eben abgebaut werden kann – notfalls sprachlich. Für die „Erforschung“ dieses Irrsinns finanziert der deutsche Steuerzahler über 200 Professuren.

Dort tobt sich das „gendern“ besonders heftig aus. Maskulina und Neutra werden – ob es semantisch und grammatisch korrekt ist oder nicht – durch Feminina ergänzt oder völlig ersetzt. Besonders beliebt ist die feministische Linguistik mit ihrem Binnen (Majuskel)-I. Von VerbrecherInnen, MörderInnen oder TerroristInnen ist zwar eher selten die Rede. Aber ProfessorInnen, BürgerInnen, WählerInnen gibt es zu Millionen. Die Steigerung dieses „nicht-sexistischen“ Sprachirrsinns ist – weil angeblich geschlechtsneutral – „das Lehrer“, „das Lehrix“, „das Professor“, das „Professix“.

Zum Schluss: Man könnte gegen die sprachliche Selbstverleugnung der Deutschen einen aufgeklärten Sprachpatriotismus setzen, zum Beispiel durch eine Verankerung der deutschen Sprache im Grundgesetz (GG). Warum aber schaffen es unsere verfassunggebenden Organe nicht, als neuen Absatz 3 im Artikel 22 des Grundgesetzes festzuhalten: „Die Sprache der Bundesrepublik ist deutsch“? Diese Verankerung der deutschen Sprache im GG wäre ein wichtiger symbolischer Akt. Merkel aber lehnt das ab, wiewohl sie 2010 einen entsprechenden Beschluss ihres CDU-Parteitages mit auf den Weg bekam.


Josef Kraus war Oberstudiendirektor, Präsident des deutschen Lehrerverbands, wurde mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet und als „Titan der Bildungspolitik“ bezeichnet. Er hat Bestseller zu Bildungsthemen verfasst und sein jüngstes Werk Wie man eine Bildungsnation an die Wand fährt erhalten Sie in unserem Shop: www.tichyseinblick.shop