Tichys Einblick
„Bildungsnation“ Deutschland

Wenn in einer „freien“ Schule weder Schüler noch Lehrer da sind

Die "Freie Dorfschule Lübeck" macht die Absurdität der gegenwärtigen Schulpolitik deutlich. Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien brauchte fünf Jahre, um das Unwesen zu beenden.

Karin Prien, CDU, Bildungsministerin in Schleswig-Holstein

IMAGO / penofoto

Die „Freie Dorfschule Lübeck“ gibt sich als supermodern, und sie ist sogar so frei, dass Schüler und Lehrer an vielen Tagen – auch ohne Corona – gar nicht in der Schule sind. Nun hat das Land Schleswig-Holstein die großteils staatlich finanzierte Schule, die ohnehin viele Tage im Jahr dicht war, zum 19. Mai ganz dicht gemacht. Findet trotzdem Unterricht statt, drohen ab sofort 10 000 Euro Strafe pro Schultag.

Was wie ein Witz klingt, ist keiner. Oder aber sollen wir den Witz noch toppen?! Wahrscheinlich stürzt die Bildungsnation jetzt noch mehr ab, denn eigentlich kann Deutschland auf so eine Super-Schule doch gar nicht verzichten. Oder?

Was ist überhaupt das Tolle an dieser privaten Schule, die im Grünen am Stadtrand von Lübeck logiert? Laut Eigenauskunft das Folgende: selbstgesteuertes Lernen, Waldorflehrplan (aber hoffentlich ohne das bisweilen recht rassistische Menschenbild des Rudolf Steiner?), Schule ohne Hausaufgaben und Noten, gewaltfreie Kommunikation nach Marshall Rosenberg, außerschulische Projekte, Praktika, Online-Unterricht, Achtsamkeit, Soziokratie, individuelle Selbst-Einbringung, Kaufladenspiel, offener Lehrplan …

Nun berichtet Bild: 14 ministerielle Kontrollen hätten im Februar und März ergeben, dass meist weniger als die Hälfte der 55 angemeldeten Kinder und Jugendlichen anwesend waren. Bei drei Stichproben war die Schule sogar geschlossen. Nachweise (z.B. Klassenbücher, Arbeitsproben, Praktikumsberichte) konnte die Dorfschule fast nicht vorlegen. Krankmeldungen der Kinder lagen nicht vor. Mehr noch: Nicht nur die Schüler schwänzten die Schule. Auch von den Lehrern waren regelmäßig nur zwei von sieben da! 

Bildungsministerin Karin Prien (CDU, Ministerin seit 2017) bestätigt: „Diese Häufung von Ungereimtheiten hat unser Ministerium dazu veranlasst, die Genehmigung der Schule zu widerrufen. Die Ersatzschule steht in ihren Lehrzielen und Einrichtungen sowie in der wissenschaftlichen Ausbildung ihrer Lehrkräfte hinter den öffentlichen Schulen zurück und erfüllt dauerhaft nicht mehr die Voraussetzungen, um gemäß den gesetzlichen Grundlagen in Schleswig-Holstein Kinder zu unterrichten.“

Nach der Methode „Haltet den Dieb“ ätzt Schulleiterin Andrea Buchholz zurück. Sie will nun gerichtliche Schritte gegen die Schließung anstrengen: „Die Freie Dorfschule Lübeck hat seit ihrer Gründung 2015 im genehmigten Konzept digitales Lernen verankert. Wir haben digitales Lernen erfolgreich in der Pandemie umgesetzt und tun dies bis heute.“ Alle Kinder würden seit Jahren sehr gute Prüfungsergebnisse erzielen. Das Ministerium stütze sich laut Direktorin auf falsche Angaben, denn es gehe nur von Vormittagsbeschulung aus. Und dann auch noch die direktorale Tränendrüse: „Die Schließung soll jetzt mitten in der heißen Prüfungsphase mit einer Frist von einer Woche umgesetzt werden. Pädagogisch ist das unverantwortlich. Schon die Besuche der Behörde bei uns zeugten von wenig pädagogischem Feingefühl.“ Dafür richtet sich die Schulleitung nun aktuell auf der Website ihrer Schule wieder auf: „Juhu, wir haben es in die Bildzeitung geschafft!“

Zur Geschichte der Schule: Sie war 2015 als Gesamtschule der Jahrgangsstufen 1 -13 gegründet worden. Die Genehmigung für den Betrieb erteilte eine Landesregierung, die von Torsten Albig (SPD) als Ministerpräsident, Robert Habeck (Grüne) als Vize-Ministerpräsident und Britta Ernst (SPD, Gattin von Olaf Scholz, mittlerweile als Bildungsministerin von Brandenburg zurückgetreten) geführt wurde. Habeck hat seine vier Söhne übrigens nicht an diese Schule geschickt. Sie besuchten dänische Schulen in Südschleswig.

Fragen bleiben trotzdem:

  • Erstens: Welche Eltern schicken ihre Kinder mit welcher Motivation auf diese Schule? Wollen sie die gesetzliche Schulpflicht umgehen? Wollen sie als pädagogisch besonders modern und „woke“ dastehen? Wissen sie nicht, was sie ihren Kindern damit antun?
  • Zweitens: Warum braucht eine seit 2017 installierte CDU-geführte Landesregierung über fünf Jahre lang, um ein solches Unwesen zu stoppen?
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