Tichys Einblick
Renommierter Theologe am Pranger

Katholische „Sozialethiker“ entdecken die Inquisition neu

Bisher galt es zumindest in bürgerlichen, zumal wissenschaftlichen Kreisen als sozial schäbig und wissenschaftlich unzulässig, andere Menschen zu denunzieren und anzuprangern, weil sie eine andere und womöglich nicht ganz stromlinienförmige Ansichten vertreten. Doch nun wird wieder nach Verdächtigen gesucht. Und es gilt die alte Inquisitorenregel: „Schuldig bei Verdacht!“

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Eine argumentative, durch Belege nachvollziehbare Auseinandersetzung war in allen Diskursen die conditio sine qua non. Allenfalls bei den 68ern galt dieser Ehrenkodex nicht. Bei den 68ern – und mittlerweile bei ihren auch in der Kirche tätigen Epigonen – ging bzw. geht es freilich darum, Andersdenkende einer Herrschaft des Verdachts zu unterwerfen. Diese Methode feiert fröhlich Urständ’. Eine Arbeitsgemeinschaft von Wissenschaftlern, noch dazu von Sozial-Theologen, versucht, einen Kollegen und seine Zeitschrift plakativ mundtot zu machen strebt und unterstellt ihm implizit, ein „Podium für rechte Hetze“ zu betreiben. Bislang war das nicht denkbar – nun ist der Dammbruch geschehen. Die „Arbeitsgemeinschaft Christliche Sozialethik“ hat es gemacht – angeführt von ihrer Vorsitzenden Prof. Dr. Marianne Heimbach-Steins vom ehemals ehrwürdigen Institut für Christliche Sozialwissenschaften der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster und ihrem Pressesprecher Prof. Dr. Bernhard Emunds vom Oswald-von-Nell-Breuning-Institut in St. Georgen.

Auf ihrer Internetseite veröffentlichte diese „AG christlicher Sozialethiker“ am 14. März 2019 eine 26-zeilige „Erklärung“ zur Zeitschrift „Die Neue Ordnung“. Diese sechsmal pro Jahr erscheinende „Neue Ordnung“ steht in der großen sozialethischen Tradition der deutschsprachigen Dominikaner. Ihr Chefredakteur ist seit 1992 der Dominikanerpater Prof. DDr. Wolfgang Ockenfels (72); er war von 1985 bis 2015 Professor für Christliche Sozialwissenschaften an der Universität Trier.

Die „Arbeitsgemeinschaft Christliche Sozialethik“ mag Ockenfels nicht, ja mehr noch: sie möchte ihn aus dem wissenschaftlichen und öffentlichen Diskurs eliminieren. Schier inquisitorisch wirft die AG Ockenfels vor, die Zeitschrift „Neue Ordnung“ in „ein populistisches und extrem rechtes Fahrwasser geführt“ zu haben; angeblich seien viele Artikel „mangels wissenschaftlicher Substanz nur noch als zugespitzte Meinungsäußerungen“ wahrzunehmen, rechtspopulistische und rechtsextreme „Stereotypen und Ressentiments … Ausgrenzungen und Abwertungen“ würden kritiklos übernommen und „deren Politik der Skandalisierung und Empörung verstärkt“. Deshalb würden, so die Hoffnung der AG, „in Zukunft keine wissenschaftlichen Sozialethikerinnen und Sozialethiker“ in dieser Zeitschrift mehr publizieren.

Boykottaufruf und Ehrabschneiderei

Alle Kollegen der Theologie sowie der Sozial-, Geistes- und Kulturwissenschaften – warum eigentlich nicht auch der Ökonomie-, Rechts- und Naturwissenschaften? – werden von der AG aufgerufen, sich diesem Boykott anzuschließen. Wissenschaftliche Bibliotheken sollten die „Neue Ordnung“ abbestellen. Dem Dominikanerorden wird „empfohlen“ einzugreifen, um den Schaden zu begrenzen. Gegen ein solches Eingreifen des Vatikans in einem anderen Streitfall hatte sich dieselbe Arbeitsgemeinschaft übrigens vor kurzem noch mit dem Argument verwahrt, „theologische Streitfragen disziplinarisch erledigen zu wollen“; dergleichen schade Theologie und Kirche und bedeute einen gravierenden Angriff auf die Freiheit der Wissenschaft.

Nun ist die seit 1946 erscheinende, vom Institut für Gesellschaftswissenschaften Walberberg herausgegebene „Neue Ordnung“ als „Zeitschrift für Religion, Kultur, Gesellschaft“ keine Unbekannte. Und vom CDU-Mitglied Wolfang Ockenfels (seit 1966 ist er das) weiß man, der er sich sehr um den Zustand der Republik und zumal der Merkel-CDU sorgt. 2009 hat er dazu ein Buch geschrieben; sein Titel ist:“ Das hohe C – Wohin steuert die CDU?“ Jedenfalls erstaunt es sehr, dass es die „AG Christliche Sozialethik“ mit ihren rund dreißig Professoren nicht für nötig befunden hat, ihre diskreditierenden Vorwürfe irgendwie wissenschaftlich und textnah zu belegen. Offensichtlich reicht in den Augen der AG der bloße Hinweis aus, dass der seit Jahrzehnten der CDU angehörende Ockenfels jetzt unter anderem auch die der AfD nahestehende Desiderius-Erasmus-Stiftung als deren Kuratoriumsmitglied berate, um ihm das Etikett eines „Rechtspopulisten“ oder „Rechtsextremen“ anzuheften. Der irritierte Leser der „Erklärung“ wüsste aber doch gerne, welche Äußerungen und Beiträge denn dieses Etikett rechtfertigen. Sonst entsteht unweigerlich der Eindruck einer üblen Nachrede.

Pauschalisierung und Vorverurteilung

An den Pranger gestellt werden neben Ockenfels aber auch alle anderen Autoren der „Neuen Ordnung“. Denn es wird nicht dargelegt, warum und wie viele der rund 140 Beiträge, die allein seit 2016 in der Zeitschrift erschienen sind, den „wissenschaftlichen“ bzw. gesinnungsmäßigen Ansprüchen der Damen und Herren Sozialethiker nicht genügen. Durch das nicht konkretisierte Verdikt, „vielen Artikeln“ fehle die wissenschaftliche Substanz, werden tendenziell alle Autoren abgewertet und ausgegrenzt. Zudem stellt sich die Frage, warum den Autoren die angeblich „rechtsextreme“ Schlagseite der Zeitschrift bisher nicht aufgefallen ist und sie in diesem Fahrwasser mitgeschwommen sind, warum ihnen erst durch Belehrung der AG der Sozialethiker die Augen geöffnet werden müssen?

Es geht hier ganz offenbar um das Anschwärzen einer Vielzahl renommierter Persönlichkeiten aus verschiedenen Wissenschaften, aus Kirche, Gesellschaft und Politik. Dazu gehören die beiden langjährigen Direktoren der Katholisch-Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle der Deutschen Bischofskonferenz in Mönchengladbach, Prof. Dr. Anton Rauscher SJ und Prof. Dr. Peter Schallenberg, der frühere Präsident der Universität Erfurt und der Görresgesellschaft Prof. Wolfgang Bergsdorf, die Kardinäle Prof. Walter Brandmüller und Paul Josef Cordes, die Politiker Dr. Norbert Blüm, Prof. Christoph Böhr und Christine Lieberknecht, der Staatsrechtler Prof. Josef Isensee (Bonn), das Mitglied des Deutschen Ethikrates Prof. Franz-Josef Bormann (Tübingen), der Wirtschaftswissenschaftler Prof. Alfred Schüller (Marburg), der Kommunikationswissenschaftler Prof. Hans Mathias Kepplinger oder der Moraltheologe Prof. Johannes Reiter (beide Mainz) etc. Sind diese Autoren alle nachhilfebedürftig, und sollten sie ein gesinnungsethisches Proseminar bei den Leuchten der „AG Christliche Sozialethik“ aufsuchen?

Die Beiträge der „Neuen Ordnung“ sind übrigens seit dem Jahrgang 1998 im Internet frei zugänglich, so dass jeder – selbst ein in strenger Quellenarbeit ungeübter Sozialethiker der AG – sich durchaus ein fundiertes Bild über die Themenvielfalt, die Art und den Inhalt der unterschiedlichen Beiträge wie auch über die Vielzahl der Autoren hätte machen können, bevor er diese mit einem in nichts belegten Rundumschlag zu vernichten sucht.

Skandalisierung und Effekthascherei

Stattdessen macht die „AG Christliche Sozialethik“ mit ihrer Resolution geradewegs das, was sie der „Neuen Ordnung“ anhängen möchte: ohne wissenschaftliche Substanz betreibt sie eine „Politik der Skandalisierung und Empörung“, der „Ausgrenzung und Abwertung“, bedient „Stereotypen und Ressentiments“ und stellt sich damit „außerhalb der Grenzen eines seriösen Fachdiskurses“ und der Wissenschaft. Mit einer von der AG reklamierten Diskussionskultur „robuster Zivilität“ und einer substantiellen Auseinandersetzung hat das nichts zu tun. Die AG streitet nicht inhaltlich konkret, sondern kanzelt ab, stigmatisiert. Diese Art und Weise des Vorgehens, die in einem peinlichen Boykott-Aufruf gipfelt, ist beschämend.

Hier greift der Gesinnungsfuror einer neuen Inquisition um sich, die sich statt auf Dialog und nachvollziehbare Begründung auf Diskreditierung und Boykott gründet. Die „Antifa“ dürfte ihre helle Freude daran haben. Was für ein Niveau-Verlust, was für ein Sittenverfall – und das unter katholischen „Sozialethikern“! Aber nicht nur das. Die AG schickt sich mit dieser „Erklärung“ unter den Auspizien des Kampfes gegen „Rechtspopulisten“ an, die Bedingungen der Freiheit der Wissenschaft, einer offenen Gesellschaft und unserer pluralistischen Demokratie zu untergraben. Mit solchen katholischen Sozialethikern ist wahrlich kein Staat zu machen.