Tichys Einblick
„Mini-Wahr“

Heiko Maas, wollen Sie Orwells „big brother“ toppen?

Man kann nur hoffen, dass in Karlsruhe genügend Richter sitzen, die „1984“ kennen, und dass Maas jenseits seines hoffentlich bald endenden Ministeramtes endlich Zeit für Lektüre hat.

© Justin Sullivan/Getty Images

Heiko Maas und George Orwells „big brother“ – zwischen beiden kann es zwei mögliche Verbindungen geben. Erste Möglichkeit: Der amtierende „Bundesminister für Justiz und Verbraucherschutz“ – so seine offizielle Bezeichnung – hat Orwells Roman “1984“ gelesen und fälschlicherweise als Gebrauchsanweisung verstanden.  Zweite Möglichkeit: Maas kennt diesen Roman gar nicht, und er will ihn gar nicht kennen. Weil er keine Antenne dafür hat, was Überwachungsstaat und Totalitarismus sind.

Zur Erinnerung: Orwell – der frühere Kommunist und spätere antitotalitäre Aufklärer – hatte 1948 unter dem Eindruck stalinistischer Gewaltherrschaft die Dystopie „1984“ geschrieben. Diese Dystopie ist eine grässliche Utopie, die jeden Leser mit den im Roman praktizierten Methoden der „big-brother“-Totalkontrolle und der permanenten suggestiv-volkspädagogischen Gehirnwäsche erschaudern lässt.

Umkehr tut not
NetzDG und so weiter: „Die Gedanken sind frei“ – wie lange noch?
Die in Orwells Romanwelt vorkommenden Menschen müssen stets ein „Zwiedenken“ praktizieren: Sie sehen die Realität, und sie müssen das Gegenteil glauben. Sie werden manipuliert durch ein stets aktualisiertes Wörterbuch der „Neusprache“. An diesem Verzeichnis bastelt zum Beispiel der Sprachwissenschaftler Syme. Er sagt zur Hauptfigur des Romans, zu Winston Smith: „Wir geben der Neusprache ihren letzten Schliff … Wir merzen jeden Tag Worte aus – massenhaft zu Hunderten … Siehst du denn nicht, dass die Neusprache kein anderes Ziel hat, als die Reichweite der Gedanken zu verkürzen? … Es ist lediglich eine Frage der Wirklichkeitskontrolle. Aber schließlich wird das auch nicht mehr nötig sein. Die Revolution ist vollzogen, wenn die Sprache geschaffen ist … Es wird überhaupt kein Denken mehr geben … Strenggläubigkeit bedeutet: nicht mehr denken – nicht mehr zu denken brauchen. Strenggläubigkeit ist Unkenntnis.“ An anderer Stelle wird Winston Smith, in der Nähe des allgegenwärtigen „big-brother-Televisors stehend, beschrieben: „Er hatte die ruhige optimistische Miene aufgesetzt, die zur Schau zu tragen ratsam war.“

Folge dort – oder auch schon hier und heute: Wer nicht politisch korrekt schaut, denkt und spricht, wer im Orwellschen Sinn ein „Gedankenverbrecher“ ist, wird zur Zielscheibe wüster Zensur, der „Gedankenpolizei“, er wird der „Herrschaft des Verdachts“ (Hegel), vor allem des Faschismusverdachts unterstellt, oder er wird im Sinne des „big brother“ einfach „vaporisiert“, verdampft, das heißt, er findet in der Meinungsbildung nicht mehr statt.

Kommt Ihnen da etwas bekannt vor, Herr Bundesminister? Macht Sie von der Großen CDU/CSU/SPD-Zensur-Koalition das nachdenklich? Sie haben doch im Bundestag eben erst das „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“ des Heiko Maas durchgewunken und damit unter anderem etwas möglich gemacht, was kein noch halbwegs bei Sinnen befindlicher Jurist für möglich halten kann: nämlich dass die Jobs der Gedankenpolizei sogar noch privatisiert werden, etwa dank Amadeu-Antonio-Stiftung mit der in Sachen Bespitzelung erfahrenen früheren Stasi-Mitarbeiterin Anetta Kahane an der Spitze. Dort also sitzen nun die Orwellschen „Verifikatoren“. Sie bilden das Orwellsche „Ministerium für Wahrheit“, das von Orwell bewusst zweideutig mit „Mini-Wahr“ abgekürzt wird. Da war Orwells „big brother“ ja noch rechtsstaatlich besser aufgestellt. Er hat die Bespitzelung wenigstens nicht gänzlich privatisiert.

Aber was zählt schon Rechtsstaatlichkeit, was zählt schon das Grundgesetz, wenn es um die richtige Gesinnung geht, also nicht um eine „rechte“ oder vermeintlich rechte, sondern um „linke“? Was zählt schon das Grundgesetz, demzufolge es Meinungsfreiheit gibt und die Gesetzgebung im Bereich der Medienregulierung nicht in die Kompetenz des Bundes, sondern der deutschen Länder fällt? Was zählt schon ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages, mit dem die Verfassungswidrigkeit des Maas’schen Zensurgesetzes festgestellt wird?

Man kann nur hoffen, dass in Karlsruhe genügend Richter sitzen, die „1984“ kennen, und dass Maas jenseits seines hoffentlich bald endenden Ministeramtes endlich Zeit für Lektüre hat. Orwells düstere Vision sollte auf seiner Lektüreliste ganz oben stehen. Selbst wenn ihm wahrscheinlich auch dann keinerlei Einsicht kommt. Oder, Herr Verbraucherschutzminister?