Tichys Einblick
Kommunikation geht offline besser

Frankreich verbietet Mobiltelefone in den Schulen

Gewiss muss Schule medienmündige junge Menschen heranbilden. Aber Schule darf nicht auch noch der Gefahr Vorschub leisten, dass hier ein neues, bereits massenhaft vorhandenes Suchtverhalten verharmlost oder gar befördert wird.

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Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat angeordnet, dass die Schulen in seinem Land ab September 2018 frei von Handys und Smartphones werden, auch in den Pausen und auf dem Schulhof. Macron hatte dies schon im Wahlprogramm versprochen: Neben Investitionen in Bildung hatte er angekündigt, Mobiltelefone aus allen Primar- und Sekundarschulen verbannen zu wollen. Frankreichs Bildungsminister Jean-Michel Blanquer bestätigte soeben das Verbot für den Start ins Schuljahr 2018/2019. Absicht sei es, dass sich Schülerinnen und Schüler in den Pausen mehr bewegen, dass sie spielen und miteinander reden, statt auf Displays zu starren. Wörtlich: „Heute spielen die Kinder nicht mehr in der Pause, sie stehen nur noch vor ihren Smartphones, und das ist aus pädagogischer Sicht ein Problem“, sagte Blanquer in einem Interview. Und weiter: Es sei eine Frage der „öffentlichen Gesundheit“, die dysfunktionale Nutzung von privaten, mobilen Geräten in der Schule zu reglementieren. Bei der Bildung liege der Fokus in Frankreich ansonsten eindeutig auf mehr Personal und direkter Betreuung. Lehren und Lernen funktioniere nun mal über Personen und Beziehung, und nicht über Mobiltelefone, Handys oder Smartphones.

Während Frankreich die Notbremse zieht und private Geräte wegen ihres Ablenkungspotentials aus den Schulen verbannt, geht Deutschland offenbar den umgekehrten Weg. Klar doch: Macron lässt sich von seiner Frau beraten. Diese hat über 30 Jahre an Schulen unterrichtet hat. Sie weiß zu gut, was sich dort abspielt. Deutschlands (kommissarisch noch amtierende) Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) hat andere Berater. Unter anderem holte sie sich August-Wilhelm Scheer ins Beraterteam. Scheer war mehrfach Mitglied im Aufsichtsrat des Softwareherstellers SAP AG; von 2007 bis 2011 war er Präsident des IT-Branchenverbandes Bitkom. Zusammen mit Frau Wanka ist er Vorsitzender der vom Wanka-Ministerium gegründeten IT-Gipfel-Plattform „Digitalisierung in Bildung und Wissenschaft“, die den „Digitalpakt#D“ verantwortet. Scheer ist zugleich einer der Autoren des Saarbrücker Manifest von 2016, in dem gefordert wird, Datenschutzbestimmungen zu ändern, wenn IT-Projekte durch gesetzliche Vorgaben erschwert würden. Ein Schelm, der Böses dabei denkt.

Jedenfalls scheint es im Wanka-Club nicht um Bildung, sondern um Märkte zu gehen. Dabei ist noch nicht einmal berücksichtigt, was als neueste „pädagogische“ Innovation vor der Tür steht: die Schul-Cloud. Mit ihr sollen Hardwareverwaltung, Updates und IT-Pflege ausgesourct werden. Das Motto heißt am Ende dann nicht mehr nur „Big Brother is watching you“, sondern „Big Brother is teaching your Children.“

Zurück zur Frage nach Handys im Unterricht: Die deutschen Länder und auch die Einzelschulen eiern da herum. Progressive Lehrer und Eltern meinen, es sei nicht mehr zeitgemäß, Handys in Schulen zu verbieten. Welch schwache Argumentation!

Eine Analyse des Status Quo
Gewinner und Verlierer der Digitalisierung
Vernünftig – weil nicht puristisch – ist die Regelung, die man in diesem Fall klug vorausschauend schon vor Jahren ins Bayerische Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG), konkret in den Artikel 56, hineingeschrieben hat, nämlich dass Mobilfunktelefone und digitale Speichermedien in der Schule und auf dem Schulgelände auszuschalten sind. Es sei denn, sie werden zu Unterrichtszwecken verwendet oder eine Lehrkraft gestattet Ausnahmen. Das gibt den Schulen Rechtssicherheit und den Schülern Orientierung. Diese Regelung ist somit bereits eine gelockerte Vorgabe, denn sie schließt die unterrichtliche Nutzung dieser Geräte zum Zwecke der Medienerziehung ausdrücklich mit ein. Vor allem aber bewahrt sie die jungen Leute davor, auch noch in der Schule im Daddeln, Surfen, Cybermobbing, SMSen sowie in Facebook, Youtube, Twitter, Instagram und WhatsApp zu ersaufen.

Schule ist ein kommunikativer Prozess des „vis-à-vis“. Die Heranwachsenden sollen nicht nur im Unterricht, sondern auch zum Stundenwechsel, in der Mittagspause und auf dem Pausenhof erfahren können, dass die Kommunikation von Angesicht zu Angesicht die interessanteste, aufschlussreichste und sozialste ist. Die sogenannten sozialen Netzwerke mit ihren oft genug a-sozialen Auswüchsen sind es nicht.

Wer heutzutage über einen Schulhof geht, sieht die Befürchtung von Günter Anders bestätigt. Dieser hatte lange vor dem Aufkommen digitaler Medien prognostiziert, dass der Mensch sich zuungunsten differenzierten Denkens und ausdrucksstarker Sprache immer noch mehr in einer Ikonomanie, einer Sucht nach Bildern, verheddert. Günter Anders hatte auch befürchtet, dass der Mensch durch die neuen Medien mehr und mehr zum Masseneremiten wird.

Gewiss muss Schule medienmündige junge Menschen heranbilden. Aber Schule darf nicht auch noch der Gefahr Vorschub leisten, dass hier ein neues, bereits massenhaft vorhandenes Suchtverhalten verharmlost oder gar befördert wird. Und es ist zudem nicht notwendig, dass Drohneneltern während der Schulzeit ständig für ihre Kinder – und umgekehrt – erreichbar sind.

P.S.: Der Verfasser dieser Kolumne hat eine Streitdebatte der Bayerischen Staatszeitung um eine Lockerung des Handyverbots mit seinem Plädoyer für strenge schulische Handy-Regeln soeben mit 71,3 zu 28,7 Prozent für sich entschieden. „Gegnerin“ war die Vorsitzende des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes (BLLV) Simone Fleischmann.


Josef Kraus war Oberstudiendirektor, Präsident des deutschen Lehrerverbands, wurde mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet und als „Titan der Bildungspolitik“ bezeichnet. Er hat Bestseller zu Bildungsthemen verfasst und sein jüngstes Werk Wie man eine Bildungsnation an die Wand fährt erhalten Sie in unserem Shop: www.tichyseinblick.shop