Tichys Einblick
Überforderung?

Desaströse Personalplanung der Schulminister mehrerer Bundesländer: „Setzen, SECHS!“

Kein Wirtschaftsunternehmen hat personalpolitisch so eindeutige Planzahlen, wie sie Kultusminister haben. Während Unternehmen konjunkturellen Entwicklungen unterliegen, ist beim Lehrerbedarf alles relativ gut planbar: fünf Größen, die den Lehrerbedarf ausmachen, sind auf längere Sicht bekannt bzw. politisch gesetzt.

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Es gibt drei Berufe, in die offenbar jeder sofort einsteigen kann: die Berufe des Politikers, des Journalisten und des Lehrers (selbstredend „m/w“ mitgedacht). Was dabei herauskommt, belegen Politiker bis hin zu Ministern und Regierungschefs tagtäglich. Und auch die Journalisterei ist personell längst nicht mehr das, was sie sein sollte. „Irgendwas mit Medien“ möchten viele junge Leute machen. Das Ergebnis wird stündlich sichtbar, vor allem wenn bis in die „höchsten“ Höhen von Journalistik, also in den zwangsgebührenfinanzierten, Gesinnung vor Urteilskraft rangiert.

Nun „kann“ offenbar auch jeder Lehrer resp. Lehrerin werden. Beispiel: Weniger als 40 Prozent der zum neuen Schuljahr in Berlin neu eingestellten Lehrer haben in diesem Schuljahr eine reguläre Lehrerausbildung. Der Rest sind Quereinsteiger oder „Lehrkräfte ohne volle Lehrbefähigung“, sogenannte LovLs.

Warum dieses Desaster, das man nicht nur in Berlin, dort allerdings besonders krass, sondern auch in Sachsen-Anhalt, Sachsen, Niedersachsen usw. beobachten kann?

Ganz einfach: Erstens weil kein junger Mensch bei halbwegs realistischer Betrachtung und klarem Verstand, Lehrer in einer zur gesellschaftstherapeutischen Omnipotenz verdonnerten, multikulturellen, inklusiven, sozialpädagogisierten Schule werden möchte. Und zweitens, weil die meisten Kultusminister mit ihrer Personalplanung restlos versagt haben.

Bleiben wir bei letzterem: Kein Wirtschaftsunternehmen hat personalpolitisch so eindeutige Planzahlen, wie sie Kultusminister haben. Denn Unternehmen unterliegen konjunkturellen Entwicklungen. Beim Lehrerbedarf ist das anders, hier ist alles relativ gut planbar, denn alle fünf Größen, die den Lehrerbedarf ausmachen, sind auf längere Sicht bekannt bzw. politisch gesetzt.

Größe 1: Jeder Schulminister kennt die Zahl seiner Lehrer – differenziert nach Schulform, Unterrichtsfach und Alter. Er weiß also exakt – plus minus ein bis zwei Jahre – wie viele Lehrer wann aus Altergründen aus dem Dienst ausscheiden und wie der Ersatzbedarf ist.

Größe 2: Jeder Schulminister kennt auf zwei Schülergenerationen hinaus, die Zahl der Schüler in seinem Land. Die Schüler weiterführender Schulen der Jahre 2028 bis 2034 plus Abiturienten des Jahres 2036/2037 sind schon geboren; die Berufsschüler der Jahre 2034 bis 2037 in spe, sind ebenfalls schon da.

Größe 3: Der Lehrerbedarf hängt sodann von der Zahl der Unterrichtsstunden pro Woche ab, die eine bestimmte Klassenstufe bekommen soll. Ob das 24 oder 28 oder 34 sind, ist eine politische Setzung.

Größe 4: Der Lehrerbedarf hängt ebenfalls von der Zahl der Unterrichtsstunden pro Woche ab, die ein Lehrer einer bestimmten Schulform zu halten hat. Ob das 23 oder 26 oder 29 sind, ist auch eine politische Setzung.

Größe 5: Der Lehrerbedarf hängt schließlich von der durchschnittlichen Größe der Klassen in bestimmten Klassenstufen bzw. deren Obergrenzen ab. Ob das 20 oder 25 oder 30 oder 34 sind, ist ebenfalls eine politische Setzung.

Die meisten Kultusminister können damit nicht umgehen. Klar doch, sie sind meistens nicht vom Fach, also ebenfalls Seiteneinsteiger: Nur drei von 16 Kultusministern verfügen über Unterrichtserfahrung; nur fünf ihrer Amtschefs haben eine solche. Das Problem ist ferner (oder gerade deshalb), dass sich so manche Kultusminister bzw. ihre Landesregierungen durch Manipulationen an den Größen 3, 4 und 5 über die Runden einer horizontbegrenzenden Legislaturperiode gerettet haben: Erhöhe ich die Unterrichtsverpflichtung der Lehrer um eine Wochenstunde, reduziere ich die Wochenstundenzahl pro Klasse um eine Stunde und erhöhe ich die durchschnittliche Klassenstärke um einen Schüler, so habe ich etwa zehn Prozent des Lehrerbedarfs retuschiert.

Solche Tricks haben sich nach mehrmaligem Gebrauch erschöpft. Deshalb bricht das Problem vor allem in Berlin „volle Kanne“ auf. Dort kommt hinzu, dass die miserablen beruflichen Bedingungen (Status, Besoldung) eine Flucht vieler Lehrer aus Berlin in andere deutsche Länder provozierten. Aber macht ja nix: Berlin – arm, aber sexy! Oder doch eher: Berlin – doof, aber sexy?


Josef Kraus war Oberstudiendirektor, Präsident des deutschen Lehrerverbands, wurde mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet und als „Titan der Bildungspolitik“ bezeichnet. Er hat Bestseller zu Bildungsthemen verfasst und sein jüngstes Werk Wie man eine Bildungsnation an die Wand fährt erhalten Sie in unserem Shop: www.tichyseinblick.shop