Tichys Einblick
Die „Verifikatoren“ haben wieder zugeschlagen

Das Wort „Unwort“ ist der Unsinn und das Unwort des Jahres

Eine Jury gibt den Meinungszensor und scheidet die Korrekten von den Unkorrekten. Was gewinnt man, wenn zugespitzte Formulierungen geächtet werden?

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Eine sich gern als „big brother“ fühlende „Jury“ mit fünf Profianstoßnehmern hat sich mal wieder in Szene gesetzt. Wie jedes Jahr im Januar tun die fünf politisch-korrekt Aufrechten dies mit der „Kür“ des „Unwortes des Jahres“. Letzteres soll offenbar eine Jahresdosis an moralischem Reinigungsmittel für das Volk sein. Der medial großmächtigen Inszenierung können sich die fünf „Verifikatoren“ stets sicher sein.

Was war aktuell los? Trotz wahrlich höchstbrisanter Themen, trotz der dramatisch zugespitzten Brexit-Debatte im britischen Unterhaus, trotz Schneechaos in den Alpen, trotz drohender Überschwemmungen, trotz zeitlich verkürzter Nachrichten in der Pause eines Handballspiels usw. meinten die öffentlich-rechtlichen Volkserzieher, uns unbedingt behelligen zu müssen, welches Wort diese Anti-Unwort-Sprach- und Gewissenselite diesmal für 2018 gekürt hat.

Und die prächtige Ausbeute? Auf das Wort „Anti-Abschiebe-Industrie“ ist die Wahl der vier Sprachwissenschaftler (oder „Sprachwissenschaftler“?) und des beigezogenen Journalisten gefallen. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrinth hat diesen, nunmehr quasi-amtlich mit einem Igittigitt belegten Begriff im Mai 2018 verwendet. Laut Jury suggeriere der Begriff unter anderem, es würden Asylberechtigte „produziert“. Aha, das wussten wir nicht. Bislang verließen wir uns auf amtlich Daten, denen zufolge mehr als 95 Prozent der „Asyl“ Reklamierenden keinen anerkennungswürdigen Asylgrund haben. Also doch etwas von Beschäftigungswunder? Immerhin leben Zigtausende an Anwälten, an notwendigerweise zusätzlich eingestellten Beamten, an Sozialpädagogen und so weiter davon.

Für anstößig hält die Jury auch den Begriff „Menschenrechtsfundamentalismus“, den der grüne Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer im Zusammenhang mit der Flüchtlingsdebatte verwendete. Der Ausdruck zeige laut Jury in erschreckender Weise, dass es in Deutschland diskutabel geworden zu sein scheint, ob ertrinkende Menschen gerettet werden sollen oder nicht. Nee, liebe Jury, davon war bei Palmer nie und nimmer die Rede. Aber man kann es ihm ja mal unterjubeln, wenn es um die eigene Anti-Unwort-Publizität geht. Und Palmer ist ja schon mal von eigenen Leuten der „grüne Sarrazin“ genannt worden.

Wie Orwellsche „Verifikatoren“ jedenfalls führen sich die fünf „Unwort“-Juroren auf. „Verifikatoren“ – das ist eine Berufsbezeichnung in Orwells „big-brother-Wahrheitsministerium“. In Anlehnung an das Wort „Kulturschaffender“ wäre „Verifikator“ wohl am treffendsten zu übersetzen mit „Wahrheitschaffender“. Zur Erinnerung: In George Orwells düsterer Utopie „1984“ sagt der stündlich und täglich am Wörterbuch der „Neusprache“ bastelnde Sprachwissenschaftler Syme zur Winston Smith, der Hauptfigur des Romans : „Wir merzen jeden Tag Worte aus – massenhaft zu Hunderten … Siehst du denn nicht, dass die Neusprache kein anderes Ziel hat, als die Reichweite der Gedanken zu verkürzen? … Die Revolution ist vollzogen, wenn die Sprache geschaffen ist … Strenggläubigkeit bedeutet: nicht mehr denken – nicht mehr zu denken brauchen. Strenggläubigkeit ist Unkenntnis.“

Hätte Orwell bereits im Jahr 1948 die Anti-Unwort-Heroen gekannt, er hätte es nicht für möglich gehalten, wie viele moralisierende Gruppen und Grüppchen sich sogar in „freien“ Gesellschaften als „Mini-Wahr“ (als Ministerium für Wahrheit) mit dem Ziel gerieren, das Denken und Sprechen mittels politisch korrekter Sprache zu reglementieren.

Wie endet dies im „big-brother“-Regime? Dort wird der „Gedankenverbrecher“ von einer „Gedankenpolizei“ aufgespürt und einfach „vaporisiert“, verdampft, das heißt, er findet nicht mehr statt. Nur im Roman? Nein, realiter ist in diesem unserem Lande längst eine Art linker McCarthyismus entstanden. Wer nicht politisch korrekt denkt und spricht, wird zur Zielscheibe wüster Zensur, er wird der „Herrschaft des Verdachts“ (Hegel), vor allem des Faschismusverdachts unterstellt. So einfach ist das.

Naive Frage zum Schluss: Warum eigentlich gibt es nicht längst eine „Jury“, die „Unwort“ zum Unwort erklärt? Denn was hier vermutlich mit Wohlwollen der politischen und medialen „no-borders“- und „Willkommenskultur“-Elite geschieht, ist volkspädagogische Gehirnwäsche pur. Und warum gibt es nicht längst eine Jury, die die „Plattitüde“, also den „Wortfladen“ des Jahres“, kürt? Zum Beispiel „Respekt“, „Achtsamkeit“, „Toleranz“, „Diversity“, „Vielfalt“, „Bereicherung“, „Einzelfälle“, „Kultursensibilität“, „Islamophobie“, „Homophobie“, „Xenophobie“ usw.