Tichys Einblick
„Muttersprachlicher“ Unterricht und „Konsulatslehrer“

Biedermänner

Alles in allem fragt man sich schon, wie weit die Literaturkenntnisse deutscher Politik reichen. Denn bisweilen verhält sich die politische Klasse wie Jakob Biedermann in Max Frischs Einakter „Biedermann und die Brandstifter“ von 1958.

© Felix Kayser / EyeEm

In acht deutschen Ländern geben rund 500 Lehrer der türkischen Konsulate an öffentlichen Schulen „muttersprachlichen“ Unterricht. Diese „Konsulatslehrer“ werden zum Großteil vom türkischen Staat finanziert; die Lehrinhalte bestimmen die türkischen Generalkonsulate, eine Aufsicht durch deutsche Schulaufsichtsbehörden findet nicht statt. Da dieser Unterricht freiwillig ist, gibt es keine ganz exakten Zahlen, wie viele Schüler daran teilnehmen. Die FAZ geht aktuell von deutschlandweit 40.000 Schülern aus, davon etwa 25.000 in Baden-Württemberg. Das Ländle zahlt dafür übrigens 1,1 Millionen Euro pro Jahr an die Konsulate von insgesamt 14 Nationen, die ähnlichen Unterricht anbieten.

So weit, so gut, so weit, so schlecht. Was den seit 40 Jahren etablierten „muttersprachlichen Unterricht“ betrifft, so konnte man immer geteilter Meinung sein und durchaus vermuten, dass dieser Unterricht eigentlich antiintegrativ ist und dem Entstehen von Parallelgesellschaften Vorschub leistet. Aber nun gut: Türkischstämmige Schüler sollten der Sprache ihrer Eltern und Großeltern nicht entfremdet werden. Wenn der Unterricht denn politisch neutral stattfindet! Hier sind allerdings erhebliche Zweifel angebracht. So stehen etwa die türkischen Generalkonsulate in NRW unter Verdacht, türkischstämmige Lehrer und Eltern zum Bespitzeln von Erdogan-Kritikern aufgefordert zu haben. Mit den Konsulatslehrern hat das zunächst nichts zu tun. Aber der nicht unbegründete Verdacht zeigt, welcher Geist in den türkischen Konsulaten herrscht. Insofern ist es gut, wenn Baden-Württembergs Kultusministerin Susanne Eisenmann, derzeit auch amtierende Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), ihre Regierungspräsidien und Schulämter angewiesen hat, die Entwicklung in diesem Bereich von Unterricht kritisch zu beobachten. Immerhin hat sie bereits über einzelne Schulämter von „tendenziösem Unterricht“ berichtet bekommen.

Wachen die Bildungspolitiker auf?

Wenn Frau Eisenmann zudem ankündigt, sie werde das Thema „Muttersprachlicher Unterricht“ auf die Tagesordnung der KMK setzen, dann sollte sie dies zugleich mit dem Wirken von DITIB tun. DITIB ist die Abkürzung für Diyanet İşleri Türk İslam Birliği, auf Deutsch: Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V. DITIB untersteht unmittelbar der staatlichen türkischen Religionsbehörde Diyanet. Nicht wenige deutsche Länder verhandeln mit DITIB seit Jahren über die Ausgestaltung des islamischen Religionsunterrichts. Sogar Staatsverträge kamen – nicht selten begleitet vom Wohlwollen der großen christlichen Kirchen – zustande, in Hamburg etwa im September 2012 unter dem Titel „Vertrag zwischen der Freien und Hansestadt Hamburg, dem DITIB-Landesverband Hamburg, SCHURA – Rat der Islamischen Gemeinschaften in Hamburg und dem Verband der Islamischen Kulturzentren“, in Bremen ähnliches 2013. Auf Eis gelegt hat man dergleichen – wiewohl bereits in der Endphase des Vertragsabschlusses befindlich – erst einmal in Schleswig-Holstein und Niedersachsen. In Schleswig-Holstein macht man sich Sorgen ob der im Mai 2017 anstehenden Landtagswahl. Niedersachsen hatte die Verhandlungen im Januar 2017 ausgesetzt. Grund: Die Türkei hatte Imame geschickt, um mutmaßliche Gülen-Anhänger auszuforschen.

Alles in allem fragt man sich schon, wie weit die Literaturkenntnisse deutscher Politik reichen. Denn bisweilen verhält sich die politische Klasse wie Jakob Biedermann in Max Frischs Einakter „Biedermann und die Brandstifter“ von 1958. Darin nisten sich bei dem Haarwasserfabrikanten Jakob Biedermann der Ringer Josef Schmitz und der Kellner Eisenring im Dachboden ein. Biedermann will die Gefahr der Brandstiftung selbst dann noch nicht wahrhaben, als Schmitz und Eisenring Benzinfässer und Zündschnüre in den Speicher schleppen und bereits Nachbarhäuser brennen. Biedermann bietet sogar Streichhölzer an. Er will die Realität nicht wahrhaben: „Blinder als blind ist der Ängstliche, / Zitternd vor Hoffnung, es sei nicht das Böse, / Freundlich empfängt er`s, / Wehrlos, ach, müde der Angst, / Hoffend das Beste . . . / Bis es zu spät ist.“