Tichys Einblick
Wir können weder Englisch noch Deutsch

Bayern drängt die deutsche Sprache aus den Hochschulen hinaus

„Academic pidgin English“ und „Bad Simple English (BSE)“ jetzt auch im Freistaat auf dem Vormarsch?

Ministerpraesident Dr. Markus Soeder mit Staatsminister fuer Wissenschaft und Kunst: Bernd Sibler, MdL

imago images / Sven Simon

Man fasst es nicht: Bayern, ausgerechnet Bayern drängt die deutsche Sprache mehr und mehr aus dem Hochschulbetrieb hinaus. Nicht etwa um der bairischen Dialekte wegen, nein, sondern des Englischen wegen. Und das auch noch auf rechtlich wackeliger Basis.

Wie? Bayerns Wissenschaftsminister Bernd Sibler (CSU, 48) hat am 30. September 2019 die Präsidenten aller Hochschulen des Freistaates angeschrieben und ihnen folgendes ans Herz gelegt bzw. in Aussicht gestellt (das Schreiben liegt TE vor): Sibler will rein englischsprachige Bachelorstudiengänge jetzt ohne jede Einschränkung möglich machen. Er folgt damit artig seinem Chef, Ministerpräsident Markus Söder (CSU), der soeben verkündete, dass der technologische Bereich der Hochschulen komplett internationalisiert wird, indem entsprechende Studiengänge künftig durchweg englischsprachig sein sollen. Bislang waren rein englischsprachige Bachelorstudiengänge nur möglich, wenn es sich um einen sog. Zwillingstudiengang zu einem bereits bestehenden deutschsprachigen Bachelorstudiengang handelt. Sibler meint, die bisherige Regelung sei „nicht mehr zeitgemäß“ und bringe Wettbewerbsnachteile mit sich.

Dass eine jede nationale Sprache zugleich Wissenschafts- und Lehrsprache sein muss, wird damit beiseite gewischt. Durch die Verwendung der National-/Landesprache aber werden Wissen und Wissenschaft demokratisiert. Die Verwendung der Nationalsprache als Wissenschafts- und Lehrsprache ist insofern keine Frage des Nationalstolzes, sondern eine der Demokratie.

Nun aber stellt Sibler den Hochschulen Bayerns „anheim, bereits im Vorgriff auf die beabsichtigte Gesetzesänderung fremdsprachige Studiengänge auch im grundständigen Bereich einzuführen.“ Als Zugangsvoraussetzung, so Sibler, könnten bei den Studenten aber keine Fremdsprachenkenntnisse verlangt werden. Und weiter: „Insoweit muss zur Gesetzesänderung auf die Selbsteinschätzung der Studienbewerberinnen und -bewerber vertraut werden.“ Im Klartext heißt das: In die englischsprachigen Studiengänge können auch Leute gehen, die nicht einmal rudimentäres Englisch sprechen bzw. verstehen bzw. die sich dies allenfalls einbilden. Und das in einer Zeit, in der immer mehr Hochschulen Liftkurse für Studienanfänger einrichten müssen, weil diese nicht mehr an Wissen und Können mitbringen, was sie aus der Schule mitbringen müssten!

Zur rechtlichen Bewertung: Minister Sibler will ein Gesetz vorwegnehmen, das noch nicht einmal im Entwurf vorliegt und wohl (bzw. hoffentlich) nicht beschlossen wird. Dazu ist er nicht befugt. Er kann die Hochschulen nicht von der Verpflichtung befreien, die sie nach Gesetz und Verfassung haben. Wenn sie seiner „Erlaubnis“ folgen, handeln sie auf eigene Gefahr, und der Minister selbst verletzt seine Amtspflichten in der Rechtsaufsicht über die Hochschulen.

Aber zum Grundsätzlichen: Hier greift ein „Academic pidgin English“ um sich. „The language of good science is bad English.“ Das sagte einer der renommiertesten Anglisten in Deutschland, Ekkehard König. Manche Kritiker nennen es auch „Bad Simple English“ (BSE). Jedenfalls praktizieren Wissenschaft und Hochschule mehr und mehr die englische Sprache oder was sie dafür halten.

Die Deutschen sorgten ohne Not auch dafür, dass man das Diplom auf dem Altar der Globalisierung opfert und man jetzt sagt: Bachelor welcome; dass deutsche (!) Fachhochschulen sich University of Applied Sciences nennen und – wenn sie besonders dick auftragen wollen – Best practice Hochschule; dass Informationsbroschüren für Studienanfänger „Roadmap ins Studium“ heißen; dass Hochschulen Humboldt mit seiner Idee der zweckfreien Bildung des Menschen über Bord schmeißen und dann frech schreiben: Humboldt meets Bologna.

Gewiss verfügen viele deutsche Wissenschaftler über gute Englischkenntnisse, ihre Studenten jedoch bei weitem nicht immer. Vor allem gilt: Komplexe Sachverhalte können in einer Fremdsprache niemals so nuanciert und bildhaft wiedergegeben bzw. verstanden werden, wie das in der Muttersprache möglich ist. Die Folgen sind Missverständnisse, eine Verflachung des inhaltlichen Niveaus und die Unterdrückung kontroverser Diskussionen.

Eine wachsende Zahl von Wissenschaftlern ist über diese Entwicklung besorgt. So veröffentlichte der „Arbeitskreis Deutsch als Wissenschaftssprache (ADAWIS)“ bereits 2005 ein Thesenpapier zur deutschen Sprache in der Wissenschaft, das von Hunderten Persönlichkeiten und vom Autor dieser Kolumne mitunterzeichnet wurde. Siehe http://adawis.de/start/ ADAWIs fordert, dass die akademische Lehre in Deutschland generell auf Deutsch erfolgen soll.

Der Münchner Molekularimmunologe und ADAWIS-Initiator Prof. Ralph Mocikat hatte zudem eine kleine empirische Untersuchung angestellt. Es wurden insgesamt 14 Seminare mit ausschließlich deutschsprachigen Teilnehmern verfolgt und die Zahl der Diskussionsbeiträge durch die Teilnehmerzahl dividiert. Die Diskussion war hoch signifikant eingeschränkt (um den Divisor 6,3), wenn man gezwungen war, die Fremdsprache zu benutzen. Die Teilnehmer der untersuchten Seminare waren wohlgemerkt etablierte Wissenschaftler, die glaubten, das Englische zu beherrschen.

Analoge Erfahrungen wurden aus Schweden berichtet, einem Land, dessen Bewohnern fundierte Englischkenntnisse nachgesagt werden. Hier wurde gezeigt, dass in naturwissenschaftlichen Vorlesungen das Verständnis seitens der Studenten erheblich zurückbleibt, wenn die Vorlesungen auf Englisch gehalten wurden. Der Biophysiker und Wissenschaftsjournalist Stefan Klein berichtete in der FAZ vom 6. Juli 2007 unter der Überschrift „Dümmer auf Englisch – Deutsch als Sprache der Wissenschaft gerät in Vergessenheit – Die Folgen sind verheerend“ von Untersuchungen in Schweden und den Niederlanden. Deren Ergebnis lautete: Universitärer Unterricht in Schweden und den Niederlanden auf Englisch senkt das Leistungsniveau. Auch der dänische Sprachrat hat festgestellt, dass an den Universitäten, die fast vollständig auf Englisch lehren, das fachliche Niveau sinkt.

Ansonsten rächt sich jetzt, dass es die staatstragenden Parteien nicht geschafft haben, die deutsche Sprache qua Grundgesetz verfassungsrechtlich zu verankern.
Im Gegensatz zu Ländern etwa wie Österreich und Schweiz hat die deutsche Sprache in Deutschland aber immer noch keinen Verfassungsrang. Frage also: Warum schaffen es unsere verfassunggebenden Organe nicht, als neuen Absatz 3 im Artikel 22 des Grundgesetzes (GG) festzuhalten: „Die Sprache der Bundesrepublik ist deutsch.“ Warum scheitert ein solches Anliegen trotz entsprechender Parteitagsaufträge bereits an der CDU bzw. an Angela Merkel? Die Verankerung der deutschen Sprache im GG könnte jedenfalls helfen zu vermeiden, dass wir auch sprachlich immer mehr auf Parallelgesellschaften zustreben. Und es wäre dies eine Stärkung der deutschen Sprache zumal in der Zeit nach dem Brexit, wenn es in der EU nur noch fünf Millionen englischsprachige „native speakers“ gibt.

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