Tichys Einblick
Nur keine schlafenden Hunde wecken

Antisemitismus an Schulen – gibt’s nicht, oder doch?

Lehrpläne und Schulbücher behandeln das Thema Antisemitismus eher nur historisierend, das heißt, im Zusammenhang mit der NS-Zeit, nicht aber mit islamistischen und rechts- bzw. linksextremen Anfeindungen.

Berlin, Juli 2017 - Vorstellung Projekt Antisemitismus & Salafismus Modellprojekt Demokratie staerken! Aktiv gegen Antisemitismus und Salafismus!

imago/Christian Ditsch

Im November 2017 hat der soeben verstorbene Modezar Karl Lagerfeld im französischen Fernsehsender C8 einen analytischen Hammer losgelassen: Nach dem Mord von Nazi-Deutschland an Millionen Juden, so Lagerfeld, könne die Bundesregierung heute nicht „Millionen der schlimmsten Feinde“ der Juden ins Land holen. Das saß, es hat ihm aber kaum mehr als schweigende Verachtung bei der politischen und medialen „Elite“ eingebracht.

Denn nach wie vor dominiert die Auffassung, der Antisemitismus komme überwiegend aus der rechten oder auch aus der linken Ecke. Von einem importierten Antisemitismus will man nichts wissen, will zumindest ungern darüber reden. Hier gilt, was Christian Morgenstern (1871 – 1914) in seinen „Galgenliedern“, konkret als Schlussstrophe im Gedicht „Die unmögliche Tatsache“, reimte: „Und er kommt zu dem Ergebnis: Nur ein Traum war das Erlebnis. Weil, so schließt er messerscharf, nicht sein kann, was nicht sein darf.“

In der Kriminalstatistik schlägt sich ein erheblicher Teil antisemitischer Taten bzw. Äußerungen ohnehin nicht nieder, weil sie von Minderjährigen bzw. Strafunmündigen in Schulen ausgehen. Eine Quantifizierung nach rechtsextrem/linksextrem/islamistisch ist zudem schwierig. Folgt man einer Studie des „American Jewish Committee“ (AJC) vom Juli 2017, so äußert sich Antisemitismus jedenfalls vor allem unter Jugendlichen aus muslimischen Ländern. So die 33 Seiten starke AJC-Dokumentation über „Salafismus und Antisemitismus an Berliner Schulen.“ 

Die „Welt“ zitiert aktuell daraus: „Du Jude“, sei zum üblichen Schimpfwort auf vielen Schulhöfen geworden. Andere Kinder würden mit dem dicken Edding-Stift Israel im Erdkundeatlas schwärzen. Viele Schüler würden sagen, wenn es um dieses Thema geht: „Ja, ja, Deutschland unterstützt Israel immer, aber diesem Treiben werde bald ein Ende gemacht.“ Das berichtet laut „Welt“ eine Lehrkraft. Und eine andere Lehrkraft zitiert Schüler mit den Worten: „Wenn wir erst einmal in bestimmten Positionen sind, dann ist damit Schluss. Dann wird’s genau umgekehrt sein.“ 

Die Schulen selbst schwanken angesichts dieses Problems zwischen Ohnmacht und Lethargie. Lehrpläne und Schulbücher behandeln das Thema Antisemitismus eher nur historisierend, das heißt, im Zusammenhang mit der NS-Zeit, nicht aber mit islamistischen und rechts- bzw. linksextremen Anfeindungen. Lehrer wollen hier ungern „schlafende Hunde“ wecken, wie die „Welt“ berichtet.

Interessant und alarmierend ist zugleich, was Fachleute laut „Welt“ zu dieser Entwicklung sagen. Tonio Oeftering, Vorsitzender der Deutschen Vereinigung für Politische Bildung und Professor an der Universität Oldenburg, meint: „Die Bildungspolitiker hatten lange die Vorstellung, dass die Demokratie soweit gefestigt ist, dass es einer ausführlichen Behandlung demokratiegefährdender Entwicklungen nicht bedürfe.“ Dirk Sadowski vom Georg-Eckert-Institut für internationale Schulbuchforschung sagt: „Der islamistische Antisemitismus und der linksextremistische Antisemitismus wurden in den untersuchten Schulbüchern nicht thematisiert.“

In Schulbüchern scheine es Antisemitismus »nur in der politischen Rechten (und auch fast nur historisch) zu geben, kritisieren auch die Forscher Samuel Salzborn und Alexandra Kurth (TU Berlin und Universität Gießen) in ihrem aktuellen Gutachten „Antisemitismus in der Schule“. Antisemitismus erscheine als „Konstrukt, das ‚plötzlich‘ (mit dem Nationalsozialismus) da war und ebenso ‚plötzlich‘ wieder verschwunden scheint«. Felix Klein, Antisemitismusbeauftragter der Bundesregierung, kritisiert: „Die Schulbücher informieren unzureichend oder gar nicht über jüdisches Leben in Deutschland heute sowie über aktuellen, vor allem israelbezogenen Antisemitismus … Es wird oftmals der fatale Eindruck erweckt, dass mit dem Ende der NS-Herrschaft der Antisemitismus in Deutschland der Vergangenheit angehört.“

Das sind ernstzunehmende Stimmen! Ob die Politik, nicht nur die Schulpolitik, sie hört und Konsequenzen zieht? Ob das Raumschiff namens Kanzleramt davon Kenntnis nimmt?