Tichys Einblick
Opferschutz vor Täterschutz

Rechtsstaat muss entschieden durchgreifen können, auch gegen straffällige Kinder und Jugendliche

Es ist jetzt an der Zeit, entsprechende Grundlagen durch die Herabsetzung der Strafbarkeit und durch die entschiedene Ausweisung straffällig gewordener EU-Bürger zu schaffen.

Es gibt keine totale Freiheit. Eine grenzenlose Freiheit ist eine reine Utopie, denn Freiheit braucht Grenzen und einen fest definierten Handlungsspielraum. Andernfalls schafft sich die Freiheit selbst ab und stirbt einen stillen und qualvollen Tod. Freiheiten sind gut, für sie haben unsere Urgroßväter und Urgroßmütter gekämpft. Freiheiten können aber auch etwas Ätzendes sein, wenn man mit diesen nicht umgehen kann.

Der Rechtsstaat hat die Aufgabe, die Freiheit in der Bundesrepublik Deutschland und eines jeden rechtschaffenden Bürgers dieses wunderbaren Landes zu schützen und zu verteidigen. Um dieser Aufgabe nachkommen zu können, sind aber die Gesetzgeber in der Pflicht, den Rechtsstaat mit starken Instrumenten und Werkzeugen auszustatten, damit dieser effektiv und hart durchgreifen kann gegen alle, die als Feinde der Freiheit Straftaten begehen und so unsere gemeinsamen Spielregeln, schlussendlich unsere Verfassung, herausfordern.

Ich fordere daher die Politik auf, den Ermittlungsbehörden, Richtern und Staatsanwälten bestmöglich unter die Arme zu greifen und sie durch weitreichende Befugnisse und die Möglichkeit zu konsequenten Urteilen „im Namen des Volkes“ zu befähigen, die Freiheit und Sicherheit unseres Landes bestmöglich zu verteidigen.

Jüngst löste ein Fall aus Mülheim an der Ruhr Diskussionen über ein solches rechtsstaatliches Instrument aus. Nach der mutmaßlichen Gruppenvergewaltigung an einem gerade einmal 18-jährigen Mädchen wird über die Herabsetzung der Strafmündigkeitsgrenze von vierzehn auf zwölf Jahre diskutiert. Im Fall der Mülheimer Gruppenvergewaltigung handelt es sich nach aktuellen polizeilichen Erkenntnissen um drei vierzehnjährige und zwei zwölfjährige Tatverdächtige.

Den beiden zwölfjährigen drohen jedoch keine rechtsstaatlichen Konsequenzen, denn sie sind nach geltendem Recht nicht strafmündig und können daher nicht strafrechtlich für ihre Taten belangt werden. Den beiden vierzehnjährigen Jungen droht bei einer zu erwartenden Verurteilung nach Jugendstrafrecht eine Höchststrafe von fünf Jahren Freiheitentzug.

Ich bin kein Jurist, aber meine Position in der aktuellen Debatte ist völlig klar: Wer wissentlich eine solche menschenverachtende Tat begeht, muss auch dafür einstehen, das gilt natürlich insbesondere bei Sexual- oder Gewaltdelikten. Dass 12-Jährige wegen ihres angeblich jungen Alters hier ohne Strafe davonkommen, ist in meinen Augen gleich aus mehreren Blickwinkeln unverantwortlich. Auch in jungen Jahren kann man die Folgen einer solchen Tat abschätzen. Der Grundsatz der unantastbaren Menschenwürde darf nicht für Kinder und Jugendliche gebeugt werden, um sie vor einer gerechten rechtsstaatlichen Strafe zu „schützen“, denn hierbei treten eine Reihe von Problemen auf:

Zum einen wird damit ein falsches Signal an Gleichaltrige und auch an die gesamte Gesellschaft gesandt: Unter 14-Jährigen können die Gerichte nichts anhaben und damit können diese ungestraft machen und tun, was sie wollen. Diese Signalwirkung wäre fatal und darf keinesfalls ausgesandt werden, denn unsere Freiheit kann nur bewahrt werden, wenn sie Grenzen kennt.

Zweitens muss für mich hier der eiserne Grundsatz „Opferschutz vor Täterschutz“ gelten. Der Rechtsstaat muss die Freiheit der Gesellschaft verteidigen, indem er diese vor weiteren Straftaten durch dieselben Täter bewahrt. Auch zu diesem Zweck dient die Gefängnisstrafe, die unter dem Fachbegriff Freiheitsentzug bekannt ist. Um die Opfer zu schützen, gilt es als verhältnismäßig, die Freiheit der Täter einzuschränken. Nichts desto trotz gilt es weiterhin ihre Resozialisierung anzustreben und den Menschen hinter dem Strafgefangenen mit seiner individuellen Geschichte, seiner unveräußerlichen Menschenwürde und seiner persönlichen Entwicklung in der Haft nicht aus dem Blick zu verlieren.

Zum Dritten hat eine rechtzeitige juristische Intervention, die selbstverständlich immer mit einer engen Begleitung durch die Jugendgerichtshilfe, mit der Unterstützung des Jugendamts sowie geschulter Pädagogen und begleitenden psychologischen Maßnahmen einhergehen muss, auch eine Schutzfunktion für die straffällig gewordenen Kinder und Jugendlichen. Es liegt hier in der Verantwortung des Staates, engmaschig die Resozialisierung der jungen Straftäter vorzubereiten und zu begleiten, aber auch die Familien entsprechend zu unterstützen, um der Entstehung krimineller Strukturen oder der Verwahrlosung der Kinder und Jugendlichen vorzubeugen.

Eine Herabsetzung des Alters für die Strafbarkeit wird unter anderem auch von der Deutschen Polizeigewerkschaft gefordert, die in den vergangenen Jahren einen starken Anstieg der Verbrechen bei unter 14-Jährigen zu verzeichnen hatte. Die Polizeiexperten gehen sogar davon aus, dass gerade clanartig organisierte Kriminelle diese „Schwäche“ des deutschen Rechtsstaates gezielt für ihre Zwecke ausnutzen. Dies gilt nicht nur für die organisierte Kriminalität, auch die Extremisten und Dschihadisten greifen vermehrt auf noch nicht strafmündige Kinder zurück, um in ihrem Namen Verbrechen zu verüben.

Auch Jugendliche werden eingespannt, da die Bedrohung durch das Jugendstrafrecht höchst gering ist. Dem muss dringend ein Ende gesetzt werden: Hier darf es keinerlei „Narrenfreiheit“ geben. Keineswegs dürfen Kinder die Polizeireviere durch die Vordertür in Handschellen betreten und durch die Hintertür der Strafunmündigkeit ungestraft wieder verlassen, schon gar nicht bei schweren Delikten, Gewalt- oder Sexualverbrechen. Auch eine Anpassung der Strafmaße im Jugendstrafrecht und eine Veränderung der Anwendbarkeit dieser ist für mich dringend zu prüfen.

Eines möchte ich jedoch betonen: Den verurteilten Kindern und Jugendlichen muss selbstverständlich eine andere Behandlung zukommen als erwachsenen Straftätern. Das gilt wie bereits betont für den Prozess, in dem eine Jugendgerichtshilfe für mich obligatorisch ist, das gilt ebenso für begleitende Maßnahmen für Straftäter und Familie, das gilt für Resozialisierungsbemühungen und zu guter Letzt selbstverständlich auch für die gegebenenfalls notwendige Haft, die nur in speziell ausgelegten Kinder- und Jugendhaftanstalten angetreten werden kann. Für mich ist klar: Kinder sind unsere Zukunft. Die Zukunft dürfen wir auch Straftätern nicht verbauen, jedoch muss der Rechtsstaat auch seine Verantwortung gegenüber der Zukunft der Gesellschaft und der Kinder und Jugendlichen wahrnehmen können.

Eine weitere „Schwäche“ unseres Rechtstaates folgt aus einer großen Stärke der Europäischen Union. So ist die Freizügigkeit auf dem gesamten Gebiet der EU zugleich eine der größten Errungenschaften, aber auch eine Möglichkeit für Kriminelle, ihren gerechten Strafen zu entgehen. Auch im Fall der Mülheimer Vergewaltiger handelt es sich bei den Tatverdächtigen allesamt um nicht-deutsche EU-Bürger aus Bulgarien.

Meinen Standpunkt in dieser Frage habe ich schon oft erklärt: Eine Ausweisung straffällig gewordener EU-Bürger aus unserem Land muss in Fällen schwerer Gewalttaten, bei Kapitalverbrechen oder auch bei der Vorbereitung terroristischer Anschläge, insbesondere durch die radikalislamische Szene, gängige Praxis sein.

Wieder gilt: Opferschutz vor Täterschutz. Wer die europaweite Reisefreiheit für kriminelle Zwecke missbraucht, muss ausgewiesen werden. Diese Personen haben ihr Aufenthaltsrecht in unserem Land eigenverantwortlich verwirkt, müssen in ihr Heimatland zurückkehren und dort unter Strafe gestellt werden.

Die Kommune Gelsenkirchen hat hier 2018 vorbildlich gehandelt: Eine rumänische Familie, die ohne Arbeit in Deutschland lebte, wurde ausgewiesen, nachdem ein Familienmitglied durch Betrug im großen Stil aufgefallen war. Für mich sollte dies ein Beispiel sein und keineswegs ein Einzelfall bleiben. Nochmals: Die Freizügigkeit darf nicht für kriminelle Zwecke missbraucht werden. Im Übrigen sieht das EU-Recht vor, dass das Recht zur freien Einreise und zum freien Aufenthalt in allen 28 EU-Staaten verloren geht, wenn ein EU-Bürger die öffentliche Ordnung, die Sicherheit oder Gesundheit „tatsächlich und hinreichend schwer“ gefährdet.

Das EU-Recht sieht die persönliche Verhaltensweise als Maßstab für eine Ausweisung. Beispielsweise darf ein französischer ISIS-Anhänger, der in Deutschland lebt und hier einen Anschlag vorbereitet, wegen seiner persönlichen Verhaltensweise umgehend ausgewiesen werden. Meiner Meinung nach sollten wir diese EU-rechtskonforme Ausweisung, wann immer juristisch möglich, konsequent und ohne kulturell oder religiös begründete Rabatte anwenden.

Deutschland muss allen EU-Bürgern und potenziellen Straftätern ein klares Signal senden: Unser Rechtsstaat wird die Freiheit unseres Landes und unserer Bürger entschieden verteidigen. Deshalb ist es jetzt an der Zeit, entsprechende Grundlagen durch die Herabsetzung der Strafbarkeit und durch die entschiedene Ausweisung straffällig gewordener EU-Bürger zu schaffen. Es gilt: Freiheit braucht Grenzen, Freiheit braucht Sicherheit und Freiheit braucht immer wieder neu Bürger, die eintreten, diese zu verteidigen.