Tichys Einblick
Die Unkultur der Duckmäuser

Wie sich eine „Kulturnation“ ihrer wertvollsten Tradition beraubt 

Wir werden regiert von kulturlosen Banausen. Und niemand fällt ihnen in den Arm. Nicht das Bildungsbürgertum, das es offenbar nicht mehr gibt, oder das nicht aufzumucken wagt, und nicht einmal die Künstler selbst. Das ist das Schlimmste: Die Unkultur der Duckmäuser.

Wer glaubt, große, klassische und romantische Orchestermusik lasse sich kurzerhand suspendieren oder coronatauglich bearbeiten, braucht sie nicht. In der Maßnahmenkrise steht Deutschland blank da: Die historisch bedeutendste und weltweit einzigartige  Errungenschaft seines Kulturlebens gibt es praktisch nicht mehr: Konzerte und Opernaufführungen. Das, was nun allmählich wieder erlaubt ist, ist nur die für eine winzige Minderheit angerührte, stark verdünnte Brühe und weder künstlerisch noch ökonomisch lebensfähig. Sie beweist: Wir werden regiert von kulturlosen Banausen. Und niemand fällt ihnen in den Arm. Nicht das Bildungsbürgertum, das es offenbar nicht mehr gibt, oder das nicht aufzumucken wagt, und nicht einmal die Künstler selbst. Das ist das Schlimmste: Die Unkultur der Duckmäuser.

I.

Die Wissenschaft gehört leider dazu. Neuester Beweis: In der Charité herrscht Unterwürfigkeit gegenüber der Politik, und der Diktatur eines einzigen Virologen, dessen Namen mir gerade nicht einfällt. Es ist der ohne Kamm, der Bier nur aus der Flasche säuft. So einer braucht keine Kultur. Die Leute glauben, er sei Pop. Merkel folgt ihm. Oder folgt er Merkel? Nun empfehlen gleich zwei Institute der Charité – das für Sozialmedizin und Epidemiologie sowie das für Hygiene und Umweltmedizin, alle Plätze in Konzertsälen wieder mit Zuhörern zu besetzen, wenn auch mit Maske, und Orchester in gewohnter Aufstellung spielen zu lassen. Dafür erhalten sie schwere Rüffel. Die Studie sei nicht mit dem Klinikvorstand abgestimmt, sie gebe nicht die Position der Führung wieder. Jetzt wissen wir also, wie unabhängig an der berühmten Charité Wissenschaft betrieben werden darf. Es gilt das Führerprinzip. Was man dem federführenden Mediziner, dem international angesehenen Institutsdirektor Professor Stefan Willich vorwirft, ist absurd: Er dirigiert in seiner Freizeit ein Ärzteorchester. Blöderweise sieht er die Sache nicht so wie befohlen und weiß auch noch von der Bedeutung der Musik.

II.

Nur, warum geben sich von der Berliner bis zur Bayerischen Staatsoper, von den Berliner Philharmonikern bis zu den Bamberger Symphonikern, Weltklasseinstitutionen allesamt, die Verantwortlichen mit Brosamen zufrieden? Warum verweisen sie nicht auf den fulminanten Erfolg der Salzburger Festspiele? Dort wird noch immer vor tausend maskenlosen Zuschauern gespielt und musiziert. Niemand ist bisher davon krank geworden. Aber vielleicht seelisch erfrischt, weil das Leben nicht länger aufs ängstliche Überleben reduziert wird. Gesundheit ist mehr als bloßes Überleben in Angst.

III.

Merkel, die offenbar nur so getan hat, als würde sie sich tatsächlich für Musik interessieren, sonst wäre sie ihr nicht so herzlich schnuppe, hat in dieser Woche weiteren Lockerungen eine Absage erteilt. Das trifft vor allem die Konzertkultur und die Opernlandschaft. Zur Erinnerung: Im  deutschsprachigen Raum gibt es etwa so viele Opernhäuser wie im Rest der Welt. Es glaube doch niemand, diese ohnehin auf hohe Subventionen angewiesen Branche werde unbeschadet überleben, wenn das Virus, obwohl es in Deutschland kaum noch Menschenleben kostet, bis ins nächste Jahr oder länger hysterische Restriktionen auslöst. Die nun folgende Rekordverschuldung auch der öffentlichen Hand wird nicht wenige Opernhäuser und Orchester hinwegfegen. 

IV.

Eine Gesellschaft, die ihre eigene Kultur nicht wertschätzt, schätzt sich selbst nicht wert. Es geht nicht darum, Künstler mit Almosen über Wasser zu halten. Es gilt der Kunst selbst. Insofern ist der Lockdown für Opern eng verwandt mit der Cancel Culture. Die Corona-Maßnahmen bewirken genau das Gleiche, nämlich die besinnungslose Entwertung der eigenen über Jahrhunderte gewachsenen Kulturleistung. Es grassiert ein Pazifismus der Schwäche. Keine Zivilisation ist lebensfähig, die sich von einem Virus matt setzen lässt und kampflos die wichtigsten Güter aufgibt..

V.

Wenn Söder sich noch selbst ernst nähme, und wahrscheinlich ist es das letzte, wozu er fähig ist, dann müsste er jetzt seinen Innenminister Joachim Herrmann entlassen. Den sah ich gerade gut gestimmt bei den Salzburger Festspielen ohne Maske in unmittelbarer Nähe anderer Musikliebhaber. Die Salzburger Festspiele sind eine trotzige Demonstration gegen die Virokratie Bayerns, gegen die Stilllegung Bayreuths, und die letzte Hoffnung für alle Musikliebhaber, die sich nicht mit digitalem Abklatsch abspeisen lassen. Hat Bayerns Innenminister etwa mitdemonstriert? 

VI.

Da mögen die Intendanten noch so kuschen. Richtig bleibt, was Salzburgs mutige Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler flehentlich so formuliert: „Aber wir können doch nicht aufhören zu leben.“ Sie durfte spielen lassen. Die Deutschen dürfen es nicht. Und keine Partei hierzulande wagt zu widersprechen. Alle nehmen die Zerstörung hin. Wer Wagner und Strauß nicht mehr aufführen mag, (oder wie an Berlins Deutscher Oper nur in Schmalspurfassung auf einem Parkdeck) kann auch gleich den Kölner Dom anzünden. Der einzige Unterschied: Das Feuer im Dom würden alle mitkriegen. Was in den Konzerthäusern und Musiktheatern auf unabsehbare Zeit gerade alles nicht los ist, kümmert  dagegen keinen Schwanz.

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