Tichys Einblick
Neues Buch von Nassim Nicholas Taleb

Warum Politiker den Kopf verlieren, wenn sie ihn nicht hinhalten

Für die Wirtschaft gilt wie für die Politik: Nur wer seine eigene Haut riskiert, wer den eigenen Kopf hinhält, ist glaubwürdig und fähig, Risiken einzugehen - also Zukunft zu gestalten.

Heute habe ich schon wieder keine Lust, Sie und mich mit Tagespolitik zu behelligen. Mit dem Großen und Ganzen der Politik aber schon. Ich traf in Berlin Nassim Nicholas Taleb – den Universalgelehrten, Risikoforscher, Finanzmathematiker, Philosophen, früheren Optionshändler (und libanesischen Christ), berühmt geworden durch seinen Weltbestseller „Der Schwarze Schwan“. Er hat die Finanzkrise vorausgesagt und erklärt. Wir aßen Wiener Schnitzel. Er sprach, war mit dem Schnitzel dennoch schneller fertig als ich. Danach verschlang ich sein neues Buch. Der Originaltitel „Skin in the Game“ (der schlechtere deutsche Titel: Das Risiko und sein Preis“) enthält die Kernthese, die für die Wirtschaft ebenso gilt wie für die Politik. Nur wer seine eigene Haut riskiert, wer den eigenen Kopf hinhält, ist glaubwürdig und fähig, Risiken einzugehen – also Zukunft zu gestalten.

I.

Inkompetente Piloten, die nicht aus Erfahrung lernen, stürzen ab. Schlimm genug, aber wenigstens sind sie dann keine Bedrohung mehr. Anders bei Politikern. Die gehen Risiken ein, für die sie nicht selber haften. Frau Merkel ist längst Vergangenheit, wenn andere dafür bezahlen müssen, dass sie in Systeme eingreift, obwohl sie keine Vorstellung vom Resultat hat. Die Eliten, so Taleb, sind bevölkert mit „Leuten von wahnhafter Veranlagung, mit buchstäblich Geistesgestörten, deren Störung schlichtweg darauf zurückzuführen ist, dass sie für die Folgen ihres Handelns nie einzustehen haben und einfach nur permanent modernistische Slogans wiederholen.“ Merkels Slogans sind allseits bekannt. Taleb: „Menschen, die kein persönliches Risiko eingehen, sollten nie mit Entscheidungen betraut werden.“ Und wenn sie sich hinterher auf einen Schwarzen Schwan herausreden, ist das keine Entschuldigung.

II.

Zur Politik kommt die Bürokratie. Taleb definiert sie so: „Bürokratie ist ein Mechanismus, durch den eine Person von den Folgen ihres Handelns abgetrennt wird.“ Banker wie Politiker sind Meister darin, die Verantwortung für Risiken abzuschieben – und wenn es schief geht, die Boni zu behalten – oder die fetten Pensionen. Die Risiken werden auf die Sparer und Steuerzahler übertragen.

III.

Das erklärt ein anderes Prinzip, an das sich in Europa niemand hält. Was ist dagegen zu tun, dass ein zentralisiertes System zwangsläufig von Leuten dominiert wird, die den Folgen ihrer Irrtümer nicht unmittelbar ausgesetzt sind. Antwort: Dezentralisieren. „Dezentralisieren beruht auf der simplen Formel, dass es leichter ist, Makrobullshit zu produzieren als Mikrobullshit.“

IV.

„Der Fluch der Modernität besteht darin, dass es immer weniger Menschen gibt, die besser erklären können als verstehen.“ Und handeln. So kommt ein verhängnisvoller Mechanismus hinzu, die Taleb „Minderheiten-Regel“ nennt. Vereinfacht ausgedrückt, setzten sich Minderheiten durch, solange die Mehrheit tolerant ist. Dies ist ein Grundwiderspruch demokratischer Systeme. Talebs ungemütliche Schlussfolgerung: „Eine intolerante Minderheit kann die Demokratie unter ihre Kontrolle bringen und zerstören. Und faktisch wird sie irgendwann unsere ganze Welt zerstören. Wir müssen also mit gewissen intoleranten Minderheiten mehr als intolerant sein. (…) Im Moment ist der Westen dabei, Selbstmord zu begehen.“

V.

„Die schlimmste Bedrohung einer Demokratie ist die schiefe Ebene, die beim Versuch entsteht, dieses Recht mit dem Hinweis darauf zu beschneiden, dass die Gefühle bestimmter Menschen verletzt werden könnten. Solche Einschränkungen kommen nicht unbedingt vom Staat selbst, sie gehen eher vom mächtigen Establishment einer intellektuellen Monokuktur aus, die sich durch eine hyperaktive Gedankenpolizei in den Medien und im kulturellen Leben durchsetzt.“

VI.

Mit diesen wenigen Kostproben aus Talebs Buch soll es genug sein. Alles in allem versucht der Autor, die Vernunft vom Kopf auf die Beine zu stellen. Das Handfeste gegen das Abstrakte, das Logische gegen das Emotionale zu verteidigen. Denn „das Allgemeine, das Abstrakte hat die Tendenz, selbstgerechte Psychopathen anzuziehen …Tatsächlich zielt die eigene Botschaft dieses Buchs auf die Gefahr von Universalismus, der zwei bis drei Schritte zu weit getrieben wurde.“

VII.

Taleb, der die Bezeichnung „Intellektueller“ mittlerweile für eine Beleidigung hält, ist gleichwohl ein intellektueller Flaneur, der sich in Ökonomie und Philosophie, Geschichte und Theologie, Psychologie und Genetik auskennt, Erkenntnisse aufgreift, in Beziehung setzt und zuspitzt. Ein brillanter Rundumschlag, nicht frei von Hochmut, nicht immer einfach, anregend, voller Witz und scharfem Verstand.


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