Tichys Einblick
Orientierungsloser Westen

Vom Aufstieg und Fall der großen Mächte

In der sogenannten Hauptstadt fährt man Tempo 30 auf sechsspurigen Hauptverkehrsadern, wg. „Luftreinhaltung“. Wäre es kein blöder Witz, könnte man es für eine perfekte Metapher halten, für die zutreffendste Umschreibung des bundesdeutschen Narzissmus. Selbstvergessenheitswahn.

Mir will zur deutschen Politik mal wieder nichts einfallen. Wahrscheinlich ein Schutzmechanismus. Aber dann fällt mir ein, dass ich ein weiteres Jahr lang diese Kolumne zu liefern habe. Vor mir etwa 800 leere Seiten, die Strecke von zwei Romanen. Bin ich des Wahnsinns? In der FAZ finde ich die gesammelten Ausreden des werten Kollegen Thomas Glavinic, der auch jeden Freitag eine Kolumne zu liefern hat. Am besten gefällt mir: „Ich bin heute Nacht offenbar ins Koma gefallen. Weiß nicht, ob ich Kolumne schaffe“.

I.

Das Koma kann auch vom Zeitungslesen kommen. Also vom Koma der deutschen Politik. In der sogenannten Hauptstadt fährt man jetzt mit Tempo 30 auf sechsspurigen Hauptverkehrsadern, Begründung „Luftreinhaltung“. Wäre es nicht ein blöder Witz, könnte man es für eine perfekte Metapher halten, für die zutreffendste Umschreibung des bundesdeutschen Narzissmus. Selbstvergessenheitswahn. Gut, woanders in deutschen Landen herrschen richtige Fahrverbote. Ich plädiere in diesem Kontext für die Abschaffung der Ampeln. Nachweislich produzieren die Brems- und Stoppvorgänge den meisten Feinstaub und verschwenden Kraftstoff.

II.

Paartherapie im Kloster: Das „Großereignis“ der CSU zu Beginn des Jahres interessiert außerhalb der Denkgrenzen dieses Landes (die einzigen noch funktionierenden Grenzen) niemanden. Wenn die CSU ihre selbst verdiente Bedeutungslosigkeit zelebriert, hat das weniger zu sagen als das Umfallen des berühmten Sacks Reis in China.

III.

Ein chinesischer Sack Reis ist mittlerweile ja wirklich von größerer Bedeutung als alle frei gewählten Säcke der deutschen Politik zusammen. China wächst, China investiert, China stößt technologisch an die Spitze vor, China bedroht den pazifischen Raum, China kauft die Bodenschätze der Welt systematisch zusammen. China ist schon heute das größte, und bald das mächtigste Land der Erde. Hat der Westen irgend eine Strategie zu bieten? Oder will noch jemand Trumps Handelskrieg für eine Strategie halten?

IV.

Trump. Sorry, wer diese Verkörperung des Niedergangs der Weltmacht USA noch für segensreich hält, dem ist nicht zu helfen. Mit der Weltmacht und Trump verhält es sich wie in Goethes Ballade mit dem Fischer (Weltmacht) und der blonden Nymphe (Trump). Da war´s um sie geschehen. Halb zog er sie, halb sank sie hin. Und ward nicht mehr gesehen. Das darf dann, wer sich gern den Kopf verdrehen lässt, America First nennen. Shut up wäre besser als Shut down. Mit Protektionismus und Isolationismus schafft sich die Weltmacht ab. Und damit das, was wir bisher den „Westen“ genannt und für eine Werte- und Verteidigungsgemeinschaft gehalten haben.

V.

Weder Trump noch die USA interessieren sich noch für den Rest dieser Gemeinschaft. „Ich kümmere mich nicht um Europa. Ich wurde von Amerikanern gewählt“, sagt die Nymphe und begeistert damit alle EU-Verächter. Trump interessiert sich nur für Zahlen. Die Europäer sollen bezahlen. Wie borniert ist dieses Weltbild! Die EU aber hat weder eine Antwort auf Trumps Amerika noch auf Xis China. Sie weiß noch nicht einmal, was sie selbst will, verweigert aber auch die Debatte. Es genügt nicht, den Zustand Rumäniens, das der EU derzeit vorsitzt, zu beklagen. Das Problem liegt darin, dass Rumänien überhaupt Mitglied in dieser „Wertegemeinschaft“ ist. Erweiterungs- und Vertiefungsautomatismen treiben den verhängnisvollen Strudel an, der die EU in weltpolitische Bedeutungslosigkeit und ins ökonomische Desaster zieht. Und ward nicht mehr gesehen.

VI.

Eine chinesische Raumsonde ist gerade unfallfrei auf der Rückseite des Mondes gelandet. Eine passendere Schlagzeile ist in dieser Woche nicht zu finden. Wenn wir jemanden auf den Mond schießen könnten, dann bitte auf die Rückseite.