Tichys Einblick
Schröders Porträt im Kanzleramt abhängen

CSU für Cancel Culture

Wäre Schröder ein Römer, würden die Gerechten und Selbstgerechten über ihn die damnatio memoriae verhängen und die Erinnerung an ihn verbieten. Die Methode hat schon in Rom nicht funktioniert. All die Verdammten sind unvergesslich geworden. Heute gibt es diese Strafe wieder: Man nennt sie Cancel Culture.

Jetzt ist es soweit. CSU-Sheriff Alexander Dobrindt möchte Gerhard Schröders Porträt im Kanzleramt abhängen. In Wahrheit ruft er „hängt ihn höher!“ Politische Lynchjustiz im verwilderten Westen. An dieser Stelle ist die Floskel „Spaß beiseite“ leider völlig unangebracht. Handelt es sich doch um eine Farce von shakespearescher Wucht. Marcus Antonius lässt grüßen:

Mitbürger! Freunde! Deutsche! hört mich an!
Denn eines ist ganz klar: Der Schröder ist kein ehrenwerter Mann.

I.

Was ist der Unterschied zwischen Gerd Schröder und seinem Zeitgenossen und Kollegen Bill Clinton? Schröder hat seine Freundinnen immer gleich geheiratet. So ist er, das ist sein Charakter. Wenn er von etwas überzeugt ist, dann richtig. Niemals zurückschauen und aus Erfahrungen lernen. In Putin hat er sich einst heillos verliebt, die Mitgift kassiert und Treue geschworen: in guten und in schlechten Tagen. Vielleicht hat er dessen totale Rücksichtslosigkeit bewundert. Putin hatte eben nie eine Partei am Hals, mit der er sich hätte herumschlagen müssen. In Putin hat Schröder einen Mann erkannt, der er in seinen feuchten Träumen selbst gern gewesen wäre. Er hat sich also diesmal gewissermaßen selbst geheiratet, also zumindest sein Wunschbild. Narzissten unter sich. Und deshalb will er die Scheidung diesmal nicht aussprechen. Schröder kann sich ja schlecht von sich selbst trennen. Das ist die Dialektik der Schröder-Putin-Beziehung.

Doch Schröder ist kein ehrenwerter Mann!

II.

Warum hängen die ehemaligen Kanzler im Kanzleramt? Wegen ihrer moralischen Reinheit wie die Heiligen in der Kirche? Wegen ihrer Verdienste um das Vaterland? Wegen ihres Nachruhms, ihrer historischen Bedeutung? Ernsthaft? Sie hängen einzig und allein an der Wand, weil sie einmal Kanzler gewesen sind. Ihre Bilder sind keine Auszeichnungen, keine Ikonen, sondern einfach nur die Darstellung von Geschichte.

Doch Schröder ist kein ehrenwerter Mann!

III.

Wäre Schröder ein Römer, würden die Gerechten und Selbstgerechten über ihn die damnatio memoriae verhängen und die Erinnerung an den Reformkanzler verbieten. Die Methode hat schon im Römischen Imperium nicht funktioniert. All die Verdammten sind unvergesslich geworden. Heute gibt es diese Strafe wieder. Man nennt sie Cancel Culture. Stücke der Geschichte werden in der Tiefsee der Moral versenkt. Neu ist gerade, dass sich selbst ehemals Konservative wie Dobrindt zu Scharfrichtern der Geschichte berufen fühlen. Warum lässt man Schröder nicht einfach Geschichte sein? Er ist es im doppelten Sinne.

Doch Schröder ist kein ehrenwerter Mann!

IV.

Wer ist als nächster dran? An Franz Josef Strauß führt kein Weg vorbei. Strauß hat sich genau wie Schröder gern im Licht von Tyrannen gesonnt, ob in Südafrika (Botha), Chile (Pinochet) oder Bulgarien (Schiwkow). Materiell geschadet hat es ihm bekanntlich auch nicht. Gemessen an der gegenwärtig herrschenden Moral hätte er ungefähr siebzehn Mal zurücktreten müssen. Stattdessen hat man einen Flughafen in der Nähe von München nach ihm benannt, und besagter Dobrindt richtet täglich vor dem Zubettgehen Fürbitten an ihn. Heiliger Franz Josef, hilf!

Doch Schröder ist kein ehrenwerter Mann!

V.

Eine innere Stimme flüstert mir zu, dass hinter der wütenden Empörung, mit der Mächtige und Medien dieses Landes gerade unisono über Schröder herfallen, noch etwas anderes steckt. Der ausgestreckte Zeigefinger soll vom eigenen Versagen ablenken. Von der Inbrunst, mit der fast die ganze politische Klasse den perfekt parlierenden, gebildeten und kultiviert dünkenden Herrscher aller Russen bewundert und mit ihm Geschäfte gemacht haben. Er passte ideal in das Traumbild vom ewigen Frieden ohne Waffen. Auf solchen Schmonzes verzichtete Schröder; ihm ging es direkt um Kohle, beziehungsweise Gas. Noch einmal Marcus Antonius:

Doch Schröder sagt, dass Putin frei von Herrschsucht war, ein lupenreiner Demokrat.
Und Schröder ist kein ehrenwerter Mann, was er geleistet hat – es ist Verrat.

VI.

Warum nicht gleich auch noch Angela Merkel aus der Galerie der Kanzler entfernen? Die Gründe dafür aufzuzählen, würde diese Kolumne sprengen. Ach so, sie hat sich noch gar nicht abpinseln lassen. Dann könnte man das Geld dafür gleich auch noch sparen. Zusammen mit den Ausgaben für das Exkanzlerinnenbüro mit neun Beamten und Angestellten auf Staatskosten. Für alle Exkanzlerbüros – für immer.

Denn Schröder ist kein ehrenwerter Mann!

VII.

Erster Bürger: Wir wollen Rache, Rache!
Zweiter Bürger: Steckt des Schröders Haus in Brand!
Marcus Antonius: Nun wirk’ es fort! Unheil, du bist im Zuge:
Nimm, welchen Lauf du willst!

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