Tichys Einblick
Reformstau bis zum Horizont

Scholz, der Schleicher

Das unverhoffte Regieren scheint Scholz und seine Partei fassungslos vor Glück zu machen. Es lässt sein Gesicht glänzen wie einen satten Säugling. Sollen sich doch FDP und Grüne mit der Frage plagen: Wozu regieren?

Wir wissen bis heute nicht, was Olaf Scholz zum Kanzler befähigt. Er hat sich sein Amt ja nicht erkämpft, ist an allen vorbei ins Amt geschlichen. Er hat es ungewöhnlichen Umständen zu verdanken, nicht eigenen Verdiensten. Ein Merkel-Vasall hat vom Ende der Merkel-Ära profitiert, was ein Paradox ist. Aber deutsche Politik ist nur noch als Paradox zu begreifen. Olaf, der Schleicher, hat die Wahl nicht äußerst knapp gewonnen. Andere haben sie verloren: Laschet und Söder, zwei andere Vasallen. Und Merkel hat die Zerstörung der ihr einst nahestehenden Partei betrieben.

I.

Das kann man Scholz nicht vorwerfen. Das Schleichen ist seine Natur. Er bewegt sich niemals schnell, niemals überraschend, niemals unvorsichtig. Nur nicht anecken, ist seine Maxime. Die ihn irrtümlich für einen konservativen Sozialdemokraten halten, erinnert er hanseatischer Anklänge wegen an Helmut Schmidt. Dann könnte man ihn Schmidtchen-Schleicher nennen. Der mit den elastischen Beinen. „Wie der gefährlich mit den Knien federn kann …“ Wir wissen nicht, wovon sie so elastisch sind. Gewiss nicht wie im Schlager von den Bierchen nach jedem Tanz. Schleicher Scholz tanzt nicht und trinkt nicht. Scholzchen-Schleicher: So trocken wie er ist keiner. Jeder Satz staubt. Wenn die wandelnde Staubwolke vorbei gezogen ist, spürt man den zwischen die Zähne gewirbelten und in die Augen gestreuten Sand.

II.

Das kann man dem Amtsmann nicht zum Vorwurf machen. So ist er nun mal, es war bekannt. Könnte es sein, dass Scholz – diese Behauptung kommt in Deutschland immer, wenn sich einer ein paar Jahre lang grundlos im Amt gehalten hat – unterschätzt wird? Dann wäre die Frage, was genau an ihm unterschätzt wird. Er erinnert an den zwergenhaften Nibelungenkönig Alberich aus Wagners Ring. Ein Mann, der sich mit Hilfe seines Tarnhelms in eine Riesenschlange verwandeln kann, aber auch in eine Kröte. Der Wandelbare bevorzugt den Tarnhelm als Dienstbekleidung. Es wird dann sein Verhängnis.

III.

Wer wollte ihm das vorwerfen? Das unverhoffte Regieren scheint Scholz und seine Partei fassungslos vor Glück zu machen. Es lässt sein Gesicht glänzen wie einen satten Säugling. Sollen sich doch FDP und Grüne mit der Frage plagen: Wozu regieren? Sandstreuer Scholz verzichtet um des lieben Friedens in den eigenen Reihen willen mit äußerster Konsequenz auf die Richtlinienkompetenz, die nicht nur sein Recht, sondern seine im Grundgesetz verankerte Pflicht wäre. Statt Richtlinienkompetenz gilt Rücklehnkomfort. Scholz ist ein Apparatschik neuer Schule: einer Schule der Geschmeidigkeit. Zur Frage der Atomkraft in Europa: nur Leisetreterei. Die Frage sei ohne große Bedeutung, behauptet er. Was Covid angeht, lässt der Schleicher den Lauterbach machen, der gegen den internationalen Trend Maßnahmenverschärfungen ankündigt. Des Schleichers Ambition gilt jetzt schon allein der Wiederwahl.

IV.

Sie könnte – aus heutiger Sicht – sogar gelingen. Der Preis dafür ist allerdings hoch. Reformstau bis zum Horizont. Und was den Reformwahn der Grünen angeht, baut Scholz ganz darauf, dass die FDP ihn in Schach hält. Also die FDP: Das Dreikönigstreffen präsentierte vor (bei Phönix) schlammbrauner Wand Christian Lindner mit staatstragendem Schlips um die Gurgel als Sprecher der Regierung. Gestanzte Sätze. Der einst sich als leidenschaftlicher Liberaler Gebärdende ist rhetorisch auf Mainstream gebürstet. Atomkraft sei keine Option für Deutschland, verkündet er. Wer hat ihm die Gehirnwäsche verpasst? Einfach nur das Amt? Oder doch sein Charakter?

V.

Scholz hat nie mehr versprochen. Lindner dagegen ist ein Rosstäuscher. Die „Liebe zur Freiheit“ dieses Liberalen ist nur noch ein faseriges Lippenbekenntnis. Es genügt, da doch der Liberalismus in Deutschland generell im Koma liegt. Bei den Grünen wurde das Freiheitsbedürfnis vom Unkrautvernichtungsmittel paternalistischer Moral ausgerottet. Und der Liberalismus der CDU ist auch unter Friedrich Merz ante portas nur noch ein schlechter Witz. Weder in Sachen Corona noch in Sachen Energiekrise machen die Unionsparteien Anstalten, Opposition zu betreiben. Und sie verzichten sogar darauf, eine eigene Kandidatin für die zum hohlen Ritual degenerierte Bundespräsidentenwahl aufzustellen. Schönschwätzer Steinmeier steht für eine verdorrte Demokratur. Was die Unionsparteien gut finden. Der Schalterbeamte im Kanzleramt lächelt dazu leise.

VI.

Das Lied von Schmidtchen Schleicher endet so: „Dann liegen sie in seinen Armen, den weichen, und flüstern: Schmidtchen, ist das schön, mit dir zu schleichen.“

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