Tichys Einblick
Niemand hat ein Wahrheitsmonopol

Nichts als die Wahrheit. Und die Wahrheit der Geschichte.

Der große jüdische Geschichtsphilosoph Theodor Lessing hat Geschichte als „Sinngebung des Sinnlosen“ bezeichnet, als einen heilsamen Akt der Selbsttäuschung.

Trump, der No-Deal-Maker. Trump first, der sein Wohl mit dem seines Landes verwechselt. Der gar nicht Präsident werden wollte, sondern in der Kandidatur nur eine gigantische Kampagne im Dienste der Marke Trump sah. Der sich mit halbseidenen Gestalten umgibt, was immer Consigliere Cohen fabuliert, es fällt auf seinen Paten zurück. Und doch ist Trump nicht halb so unfähig wie jener George W. Bush, der unter Anleitung von Cheney und Rumsfeld den Orient im Zeichen einer Lüge in die Luft jagte. Die Wahrheit über Trump? Neu ist, dass der Begriff „Wahrheit“ derzeit völlig entwertet wird. Von Trump selbst und von allen, die ihn als Projektionsfläche benutzen, ob sie ihn verwünschen oder bewundern. Jede der vielen Wahrheiten ist relativ. Selbst die historische Wahrheit später einmal wird nicht objektiv sein.

I.

Die historische Wahrheit, die sich durchsetzt, ist die Wahrheit der Sieger. Der alte Fritz war nicht bloß eine Leuchte, sondern ein Kriegstreiber. Der eiserne Kanzler Bismarck hat Krieg gegen Deutsche geführt, Königgrätz ist sein Triumph und ein Desaster der deutschen Geschichte, der Ausgangspunkt eines Weges, der zu Hitler führte. Robert Blum und die gescheiterten 48er Revolutionäre dagegen, verbannt in eine Fußnote. Recht gehabt, aber nicht Recht bekommen. Kurt Eisner, der erste Ministerpräsident des Freistaats Bayern, als Revolutionär verfemt, noch nicht mal erwähnt von Söder, seinem selbstgerechten Nachfolger. Und Kohl: Nicht Euro-Kanzler, sondern „Kanzler der Einheit“ ist das Etikett, das ihm bleibt. Obwohl man trefflich darüber streiten könnte, ob er oder Merkel größeren Schaden angerichtet haben. Die historische Wahrheit ist am Ende von Geschichtsklitterung nicht mehr zu unterscheiden.

II.

Jede Art der Geschichtsvermittlung besitzt ihre eigene Wahrheit, also ihre eigene Lüge. Zum Beispiel steckt schon im Begriff „Nationalgeschichte“ eine Absicht, und damit eine Fälschung. Geschichte, die der Identität, der Ideologie des Nationalen dienen soll, kann nicht objektiv sein. Als im neunzehnten Jahrhundert die europäischen Nationalstaaten erfunden wurden, benötigte man überall nationale Mythen und erfand sie frei von historischer Wahrheit. Ob Herrmann, der Cherusker, oder Vercingetorix, es sind bestenfalls Geschichten, nicht Geschichte, Legenden – also Märchen, die im wahren Sinn des Wortes Ungeheueres bewirken. Verhängnisvoller Weise besitzt politisch instrumentalisierte Ideologie, die auf Geschichte baut, eine höhere Glaubwürdigkeit als die reine Erkenntnis.

III.

Aus der Perspektive von Nationalisten folgt Nationalgeschichte einem höheren Plan, einer Kraft, die stets das Gute will und doch das Böse schafft. Ein Geschichtsverständnis, das sich im Dienste des absolut Guten wähnt, ist totalitär. Es führt in den Kreuzzug, ob im Namen einer Religion, einer Nation, der vermeintlichen Gerechtigkeit oder von Mutter Natur. Deshalb spricht vieles dafür, die „Wahrheit“ nicht für unfehlbar zu halten, sondern sie permanent zu hinterfragen, ihr zu misstrauen. Früher nannte man das Aufklärung. Aber die Aufklärer wurden stets selbst Opfer von Wahrheiten, die sie für absolut hielten. Diese Geschichte wiederholt sich. Der große jüdische Geschichtsphilosoph Theodor Lessing hat Geschichte als „Sinngebung des Sinnlosen“ bezeichnet, als einen heilsamen Akt der Selbsttäuschung.

IV.

Natürlich gibt es Fakten und historische Gewissheiten, etwa die Zahl der ermordeten Juden, der Toten der Kriege. Es werden aber auch immer neue vermeintlich historische Wahrheiten erfunden, noch ehe sie überhaupt historisch sind. Wer ihnen nicht folgt, wird zum Leugner erklärt. Kausalitäten sind nie eindeutig. Niemand hat das Recht auf ein Wahrheitsmonopol, erst recht keine Regierung. Jeden Tag wird Geschichte benutzt. Wie neulich von Präsident Steinmeier, der gerade das Weimarer Verfassungsjubiläum für eine aktuelle Debatte instrumentalisierte, natürlich nur im Namen des absolut Guten, der Demokratie. Demokratie setzt aber die individuelle Freiheit voraus, im Rahmen unleugbarer Fakten, sich seine eigene historische Wahrheit zu suchen.