Tichys Einblick
Zweifache Verschwörungsphantasie

Nancy und der Prinz: Ein Schwank aus dem Verschwörungsstadl

Die Verschwörungsphantasie des Prinzen ist eine Verschwörungsfarce wie aus dem Komödienstadl, für das früher das Königlich Bayerische Amtsgericht zuständig gewesen wäre. Aber es sind andere, humorlosere Zeiten, vollgepackt mit Hysterie und Panikmache als Mittel der Politik.

Ein Hoch den deutschen Sicherheitsbehörden! Ohne sie hätten wir nicht einmal gespürt, wie die Grundmauern der deutschen Demokratie zittern. Eine Großrazzia mit 3000 Beamten verhütete das Schlimmste: das Ende der Berliner Republik.

I.

Wir sind seit jeher umzingelt von Verschwörungstheorien. Von der angeblich getürkten Landung auf dem Mond bis zur Existenz des Leibhaftigen. Er heißt übrigens, falls sie noch daran zweifeln, Bill Gates und regiert die Welt, unterstützt von Reptilien, die nur so aussehen wie zum Beispiel Angela Merkel. Eigentlich sind Verschwörungstheorien also keine Theorien (nämlich Systeme wissenschaftlich begründeter Aussagen zur Erklärung bestimmter Tatsachen), sondern Verschwörungsphantasien. Manchmal sind es auch ausgewachsene Verschwörungsmythen, bestenfalls Verschwörungshypothesen. Schriftsteller wie Dan Brown leben bestens davon. Manchmal auch Politiker wie Donald Trump – oder die deutsche Innenministerin.

II.

Diese Unterscheidung ist notwendig bei der Betrachtung der aktuellen Verschwörung. Wir haben es hier im Grunde gleich mit einer zwiefachen Verschwörungsphantasie zu tun. Die eine steckt in den Köpfen von Reichsbürgern, die die Existenz der Bundesrepublik für eine Verschwörung halten. Die andere bewegt die zuständige Chefverteidigerin dieser Republik, Innenministerin Nancy Faeser, die davon phantasiert, ein Staatsstreich unter Leitung des Heinrich XIII Prinz Reuß habe unmittelbar bevor gestanden. Es fällt nicht ganz leicht, zu entscheiden, bei welchem der Genannten mehr Latten am Zaun abhanden gekommen sind.

III.

Bewiesen ist, dass Verschwörungsphantasien nicht nur in rechten, sondern auch in linken Köpfen nisten können, sobald sie dafür Verwendung finden. Kein Zweifel, den zwei Dutzend verhafteten Männern und Frauen wäre es ohne Weiteres zuzutrauen gewesen, ins Allerheiligste der deutschen Demokratie, in den Reichstag (hier bekommt die üblich gewordene falsche Bezeichnung des Bundestags endlich einen Sinn) einzudringen und womöglich den einen oder auch die andere Parlamentarierin (Katrin Göring-Eckardt) in Angst und Schrecken zu versetzen; doch in einen „Abgrund terroristischer Bedrohung“ hat bisher nur die Innenministerin geschaut. Selbst die RAF, die etwa achtzig Köpfe starke terroristische Vereinigung, die zwischen 1977 und 1991 mehr als dreißig Morde sowie Geiselnahmen, Banküberfälle und Sprengstoffattentate mit mehr als 200 Verletzten verübte, und die mit ausländischen Terrororganisationen vernetzt war, hatte es nicht geschafft, dieses Land auch nur an den Rand eines Umsturzes zu bringen. Man blickt in einen Abgrund von Geistesverwirrung, wenn nun von einem Putschversuch schwadroniert wird. Die Demokratie ist nicht so leicht umzubringen, aber sie kann sehr leicht auch von Demokraten missbraucht werden.

IV.

Die Verschwörungsphantasie des Prinzen ist eine Verschwörungsfarce wie aus dem Komödienstadl, für das früher das Königlich Bayerische Amtsgericht zuständig gewesen wäre. Aber es sind andere, humorlosere Zeiten, vollgepackt mit Hysterie und Panikmache als Mittel der Politik (siehe Corona). Und selbst die Spitzen der Sicherheitsorgane spielen mit. Es ist wohl die typische Déformation professionelle. Geheimdienste leben nun einmal von Verschwörungshypothesen. Sie sind ihr Kerngeschäft. Es ist aber auch blinder Gehorsam und politischer Opportunismus, der führende Beamte und sogar den Generalbundesanwalt ihren Verstand an der Garderobe der Ministerin abgeben lässt. Sie üben sich damit in bester deutscher Tradition. Und die meisten Medien machen in einer Mischung aus Sensationslüsternheit und Staatsgläubigkeit kritiklos mit.

V.

Verschwörungshypothesen sind so erfolgreich, weil sie Unerklärliches wie mit einem Blitz erhellen. Erleuchtungen dieser Art sind geschlossene Systeme, die keine andere Erklärung zulassen, deshalb kommt niemand gegen sie an. Jeder Einwand dient nur zur Bestätigung. Also zum Beispiel kann meine Skepsis an der Verschwörungsphantasie der Ministerin nur der Beweis dafür sein, dass auch ich rechts, also gefährlich bin. Hinter Verschwörungsmythen stecken krankhafte Feindbilder. Das gilt für den Hass des potenziellen Reichsführers Prinz Reuß gegen die Demokratie wie für den Hass der Bundesdemokratin Faeser gegen alles, was irgendwie rechts sein könnte. Also so ziemlich gegen alles, was nicht links ist. Der Glaube allerdings, den Bürgern bliebe vor Schreck der Schokoladennikolaus im Halse stecken, ist grotesk. So neurotisch sind nicht einmal die Deutschen.