Tichys Einblick
Das neue Mantra

Mit „Zuversicht“ ins neue Jahr

Zuversicht ist weit mehr als Hoffnung oder Optimismus. Hoffen ist nur ein Gefühl, Optimismus eine Haltung. Zuversicht dagegen ist die feste Erwartung an etwas Positives, das sich in naher Zukunft ereignen wird. Jeder weiß, dass es an echter Zuversicht mangelt wie an Fieberzäpfchen.

Man soll ja nicht ohne positive Gedanken ins neue Jahr gehen. Gottlob gibt es die deutsche Sprache. Soweit sie nicht gerade zwischen den Mühlsteinen des Zeitgeistes zermahlen wird, stellt sie wohlklingende, ehrwürdige alte Wörter zur Verfügung. Nehmen wie nur die in diesen Tagen auf allen Kanzeln, in Leitartikeln, Weihnachts- und Neujahrsansprachen eifrig verwendete Vokabel Zuversicht.

I.

Ist sie nicht von wunderbarer Ausdruckskraft? Zuversicht ist weit mehr als Hoffnung oder Optimismus. Hoffen ist nur ein Gefühl, Optimismus eine Haltung. Zuversicht dagegen ist die feste Erwartung an etwas Positives, das sich in naher Zukunft ereignen wird. Jeder weiß, dass es an echter Zuversicht mangelt wie an Fieberzäpfchen. Zuversicht ist dennoch das neue Mantra. Das Volk murmelt es, der Bundespräsident betet es vor. Denn Gesundbeten ist der neue Lieblingswintersport der Deutschen. Wie Skifahren ohne Schnee. Die behauptete Zuversicht ist allenfalls Kunstschnee. Glatt und hart wie Eis. Mehr Rutschen denn Gleiten. Erhöhte Sturzgefahr.

II.

Dieses Land versagt auf ganzer Linie. Dennoch gibt es – immer noch – reichlich blindes Vertrauen in das System, den Staat, die gewohnte Ordnung, in die vermeintliche Erfahrung, dass noch immer alles gut gegangen ist. Eine gefährliche Illusion. Was fehlt, ist die solide Grundlage jeder Zuversicht: Vertrauen. Wer Zuversicht verspricht, sollte erst um Vertrauen werben, besser noch Vertrauen erwerben. Mir fehlt die Zuversicht, dass das geschieht. Das Grundgefühl, alles in allem in guten Händen zu sein, ist verloren gegangen. Vertrauensseligkeit – auch ein schönes deutsches Wort – ist eine Form gefährlicher Beschränktheit. Leider ist nicht zu bezweifeln, dass ein großer Teil der Gesellschaft davon befallen ist. So ist am Ende die Beschwörung von Zuversicht selbst ein Symptom der Krise. Dafür, dass die Deutschen auf der Realität ausrutschen und fallen.

III.

So ist das auch mit einem anderen schönen deutschen Wort, das sogar zum Wort des verlöschenden Jahres gewählt wurde: Zeitenwende. Verkündet hatte der Bundeskanzler im Februar eine sehr spezifische Zeitenwende: Ein seit dem Ende des Kalten Krieges maßlos sorgloses, naives, von pazifistischen Illusionen beseeltes Deutschland sollte dank des russischen Angriffskriegs schlagartig erkennen, dass es sich mit einer kaputt organisierten und heruntergewirtschafteten Bundeswehr nicht verteidigen kann. Zeitenwende: Was für ein fettes Wort für die Rückkehr zur Normalität! Und dennoch wiederum nur ein hohles Wort. Die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr ist seither nicht besser geworden, sondern noch schlechter. Es fehlt an allem: an Munition, an Ausrüstung für die Soldaten, und die nagelneuen Puma-Panzer funktionieren nicht. Fast ein Jahr nach der Verkündung der Zeitenwende und der Ausrufung eines „Sondervermögens“ – noch so ein Rohrkrepiererwort – blieb nichts hängen als ein Wort.

IV.

Noch immer tun die Deutschen so, als läge ihnen das Militär am Herzen. Aber die jahrzehntelange Ignoranz und Dekadenz manifestiert sich noch immer in einer besonders verlogenen Form von Verachtung. Deutschland hat sein Militär in die Fänge der Bürokratie übergeben. Wahrscheinlich gibt es mehr Vorschriften als kampffähige Einheiten. Es handelt sich um eine verhängnisvolle Grundform deutschen Denkens. Auf fast allen Gebieten gegenwärtigen Versagens ist sie festzustellen. Die Deutschen halten umständlichen Regulierungswahn für eine Voraussetzung von Ordnung – und Ordnung wiederum für den natürlichen Zustand aller Dinge. Ordnung ist aber nicht einmal das halbe Leben, wenn dadurch die Vernunft suspendiert und Tatkraft und Führungsstärke an die wuchernde Verhinderungs-Bürokratie delegiert wird. Ordnung schützt nicht vor Missbrauch, nicht vor der Unfähigkeit der Politik und erst recht nicht vor dem Feind und allen anderen Herausforderungen. Dass in diesem Land alles seine Ordnung hat, ist das letzte, worauf es stolz ist, bevor es zur Hölle fährt.

V.

Das Wort, das die Deutschen wirklich charakterisiert, ist Verwaltung. Verwalten kommt von Walten, einem auch sehr schönen alten Wort für herrschen. Die Verwaltung ist ein unheimlicher Herrscher. Die Deutschen verwalten sogar die Zeitenwende und die Zuversicht. Sie verwalten sich zu Tode.