Tichys Einblick
Sie ist nicht zufrieden, wir auch nicht

Merkel malt schwarz. Anmerkungen über das Unheil

Merkels religiöser Begriff „Unheil“ verrät viel über ihr Amtsverständnis. In Psalm 23 heißt es: „Auch wenn ich gehe im finsteren Tal, ich fürchte kein Unheil; denn du bist bei mir, dein Stock und dein Stab, sie trösten mich.“ Der Psalm Königin Merkels würde lauten: „Fürchtet euch, denn ich bin bei uns.“

Also sprach die Kanzlerin: „Ich bin nicht zufrieden; die Ergebnisse sind nicht hart genug, dass wir Unheil abwehren.“

I.

Klingt seltsam schroff, weil das „dass“ hier die falsche Konjunktion ist. „Um Unheil abzuwehren“, hätte es heißen müssen. Karl Kraus hätte eine halbe Fackel-Ausgabe mit diesem Lapsus gefüllt, weil er davon überzeugt war, dass Sprache nie Zufall ist. Die Frage, was die Wahl der falschen Konjunktion über die Sprecherin verrät, überlasse ich den Lesern. Vielleicht ist es auch nur eine ihrer heillosen sprachlichen Schlampereien. Vielleicht aber auch nicht. Sprachgefühl bringen wir der deutschen Regierungschefin zwar nicht mehr bei, aber wenn es darauf ankommt, weiß sie stets, ihren Standpunkt mit wenigen Silben in Worte zu fassen. „Unheil“. Dieser von ihr bewusst gewählte, zentrale Begriff verweist über das Politische hinaus ins Religiöse. Und er verrät viel über das Amtsverständnis dieser Politikerin.

II.

Vielleicht hat sie an den populären Psalm 23 König Davids gedacht, der ihr seit Kindheitstagen vertraut sein dürfte. Er beginnt so: „Der Herr ist mein Hirt, nichts wird mir fehlen.“ Merkel verdreht das jetzt. Keineswegs überlässt sie den Fortgang der Pandemie höheren Mächten. Im Gegenteil: Sie versteht sich als Oberhirtin ihrer Herde. Die Schafe, hofft sie, suchen ihr Heil in Gefolgschaft. In Psalm 23 heißt es jedoch: „Auch wenn ich gehe im finsteren Tal, ich fürchte kein Unheil; denn du bist bei mir, dein Stock und dein Stab, sie trösten mich.“ Bei der Kanzlerin ist es umgekehrt. Sie fürchtet das Unheil nicht nur, sie beschwört es geradezu herauf. Vielleicht, weil sie ahnt, wes Geistes Kind der Hirte ist. In leichter Sprache ließe sich der Psalm Königin Merkels etwa so übersetzen: „Fürchtet euch, denn ich bin bei uns.“

III.

Mit der Anrufung des Unheils bewegt sich die Kanzlerin jenseits des gewöhnlichen demokratischen Diskurses. Stock und Stab: Der Stab weist an, der Stock schlägt. Stock und Stab: Versprechen und Drohen, Belohnen und Bestrafen, Dirigieren und Sanktionieren: Es ist die Dialektik der Macht, die Merkel anführt. Bloß gelingt es ihr nicht mehr. Ihre Mittel – „nicht hart genug“ – versagen. Sie rechnet mit „Unheil“. Doch nur wer Unheil abwendet, taugt zum Hirten. Das ist Merkels Dilemma. Die Herde ist befremdet, der Hirt beleidigt. Man blökt sich gegenseitig an.

IV.

Wer über Unheil predigt, darf das Heil nicht außer Acht lassen. Es steckt im Wort heilig. Heilig ist, wer Wunder bewirkt, also in aussichtsloser Lage heilen, Linderung bewirken kann. Das ist weniger medizinisch gemeint, als spirituell. Heil ist ein anderes Wort für Erlösung. Der alte deutsche Gruß Heil bedeutet beides: Heil Dir, Führer! Aber auch: Heil uns durch dich, Führer. Es gab im Mittelalter das Königsheil. Legitimiert zur Führung war der, dem man Heil-Kraft zutraute. Ein wahrer König erlöst sein Volk von Übeln. Schafft er das nicht, hat er mit Machtverlust zu rechnen.

V.

In einer modernen, aufgeklärten Gesellschaft kann davon keine Rede sein. Niemand erwartet von der Kanzlerin Heilung. Manches Unheil ist selbst gemacht, gewiss, aber das Virus ist leider nicht zu verhindern. Mit den unvermeidbaren Folgen der Pandemie vernünftig umzugehen, wäre die Aufgabe. Dazu müssten die Folgen rational diskutiert werden. Alle Folgen, nicht nur die Folgen für die winzige Minderheit der schwerst Erkrankten. Es sind die Folgen für die geistige Gesundheit der allermeisten Menschen, die ökonomischen, sozialen und kulturellen Folgen für die ganze Gesellschaft. Die Unheils-Hirtin vom Dienst aber hat einen ganz engen Blick auf das wohl Unvermeidliche. Nur wer durch das „Unheil“ geht, kann es überwinden. Dass sich auf Dauer kaum jemand anstecken soll, ist Illusion, Wunderglaube, Heilserwartung. Solches Denken ist autoritär und hilflos zugleich. Es tut nur so, als sei es modern, wissenschaftlich und alternativlos.

VI.

Bezeichnend ist, dass Merkel das Infektionsgeschehen ausschließlich mathematisch definiert. Sie beziffert das „Unheil“, das sie beschwört, tut so, als ließe es sich damit objektivieren. Und wiederum lässt sie einen einzigen Wissenschaftler zu Wort kommen; diesmal ist es nicht einmal ein Arzt, sondern ein Physiker und Mathematiker. Noch immer kommt die Breite der wissenschaftlichen Debatte bei der politischen Entscheidung nicht zum Ausdruck. Auch das ist vormodern. Die Heillose könnte genau so gut ihren Hofastrologen im Kanzleramt referieren lassen.

VII.

Wenn die Anrufung des „Unheils“ wenigstens zu etwas gut sein könnte! Aber es taugt nur dazu, die Schafe in Angst und Panik zu versetzen, noch ehe es eintritt. Das Beherbergungsverbot ist mittlerweile verboten: also sollen sich die Leute aus Furcht selbst kasernieren. Dort, wo die „Maßnahmen“ am rigidesten sind, ist das „Unheil“ bisher jedoch mit am größten – nämlich in Bayern, wo Söder in seiner aufgeschäumten Sprache von einer „Jahrhundertherausforderung“ dröhnt und unverhohlen einen zweiten Lockdown androht. Geht es noch eine Nummer größer? Und fällt es nicht längst auf, dass die Apologeten des „Unheils“ selbst zur größten Bedrohung werden? In der Unheilsbeschwörung steckt kein Heil. Denn es zerstört notwendiges Vertrauen. Das Heil lässt sich nicht zwingen.

VIII.

Positiv ist anzumerken: AM ist nicht zufrieden. Da ist sie ganz bei uns.

Anzeige