Tichys Einblick
Dort ist der Wechsel möglich, hier nicht

Man nennt es Demokratie

Den Amerikanern bleibt die beruhigende Gewissheit, dass die Demokratie stärker ist als die Person im Präsidentenamt. In Deutschland ist ein Politikwechsel derzeit nicht einmal vorstellbar. Das ist der wahre Unterschied zu den USA.

Trump ist hierzulande eine Projektionsfläche. Die einen irritiert, dass aus der Abwahl keine Abrechnung geworden ist. Die anderen jubeln, weil der mediale Mainstream die Wahl doch nicht überzeugend „gewonnen“ hat. Am Ende bleibt die beruhigende Gewissheit, dass die Demokratie stärker ist als die Person im Präsidentenamt.

I.

Für Karl Popper ist Demokratie bekanntlich nicht die Herrschaftsform der Besten. Der Wille der Mehrheit ist weder von höherer Einsicht noch von höherer Moral getragen. Das Beste an der Demokratie ist vielmehr der gewaltfreie Wechsel der Herrschenden. Trumps Versuch, die Macht auf dem Rechtsweg zu verteidigen, ist legitim, selbst wenn er mit Verschwörungstheorien operiert. Zu glauben, die von Trump ausgewählten Richter des Supreme Court würden ihm automatisch folgen, ist selbst eine Verschwörungstheorie. Trump kann nicht putschen. Er kann nicht einmal das Amt beschädigen, nur noch sich selbst. Dass er Fakten und Fake systematisch vertauscht, macht ihn lächerlich, nicht die Demokratie. Er kann die Auszählung nicht stoppen. Seine Betrugsbehauptung ist unlogisch. Das sehr gute Abschneiden der Republikaner bei den Wahlen zum Senat und zum Repräsentantenhaus widerlegt ihn. Biden wird also nicht durchregieren können. Auch dies nennt man Demokratie. Trump benimmt sich wie ein kleines Kind, das die Mensch-Ärgere-Dich-Figuren vom Spielbrett wischt und wütend abdampft, weil es nicht verlieren kann. Die Befürchtung, er werde seine bewaffneten Anhänger aufhetzen und das Land in einen Bürgerkrieg stürzen, ist Alarmismus. Und selbst, wenn Trump die Wahl verblüffender weise doch noch für sich entscheiden könnte, müsste er spätestens in vier Jahren gehen, unwiderruflich. Die amerikanische Demokratie würde auch das überleben – nur hierzulande würden manche das Ende des Abendlandes ausrufen.

II.

Es gibt nicht den geringsten Grund, sich moralisch über die USA zu erheben. Deutschland hat weder das bessere Modell noch eine bessere Politik. Die meisten Deutschen glauben es jedoch mit religiöser Inbrunst. Die USA wählen nach vier Jahren regulär einen Präsidenten ab. Hierzulande hat eine mittlerweile vier mal so lange zunehmend autokratisch regierende Kanzlerin selbst bestimmt, wie lange sie noch im Amt bleiben will. Die amerikanische Regel, dass nur eine einzige Wiederwahl möglich ist, garantiert nicht nur einen friedlichen Wechsel, sondern verhindert auch, dass weite Teile der Bevölkerung resignieren, weil sich gegen den Mainstream ja doch nichts machen lässt. Die hohe Wahlbeteiligung in den USA beweist, wie lebendig diese Demokratie ist. In Deutschland weiß der Wähler nicht einmal, ob er die Regierung und den Kanzler auch bekommt, dem er seine Stimme gibt. Das wird hinterher von wenigen Funktionären ausgehandelt. Ist das demokratischer als die Wahlen in den USA? Deutschland leidet an der Konsens-um-jeden-Preis-Krankheit. In Wahrheit gilt dieser Konsens jedoch nur für den Mainstream. Es ist nicht zu übersehen, dass Regierungshörigkeit und Untertanengeist noch immer die deutsche Demokratie kontaminieren.

III.

Die Spaltung ist in vielen Demokratien auch Ausdruck der Sehnsucht nach einfachen Lösungen immer komplexerer Probleme. Das Merkel-Lager, zu dem die grüne Schein-Opposition zählt, handelt seit langer Zeit gegen den Willen eines großen Teils der Bevölkerung. Sie wird dabei weit weniger durch Gewaltenteilung und demokratische Wahlen gebremst als Trump in den USA. Dieser „legale“ Missbrauch der Demokratie verhindert pragmatische politische Entscheidungen. Weltanschauung geht vor Rationalität. Es werden nicht etwa alle Anstrengungen darauf gerichtet, wie mit der Pandemie gelebt werden könnte, sondern man klammert sich an den Irrglauben, das Virus sei mit rigorosen Maßnahmen zu besiegen, koste es, was es wolle. So ist es auch beim Klimawandel. Nicht den unvermeidlichen Folgen der Erderwärmung wird entschieden vorgebeugt. Man glaubt, sie verhindern zu können. So regieren Katastrophenängste statt Vernunft. Bürger werden als unmündige Verbraucher abgestempelt, ihr Leben Schritt für Schritt eingeengt und reguliert. Die ökonomischen Mittel werden etwa für eine grundfalsche Energiepolitik verschwendet. Die Kompromisslosigkeit der Regierenden spaltet das Land. Sie sind in einem geschlossenen Weltbild gefangen. Man könnte die herrschende „Theologie“ so auf einen Nenner bringen: Ob Corona, Klima oder islamischer Terror – die westliche Lebensweise, das Freiheitsbedürfnis, die Bedürfnisse der Menschen sind an allen Problemen schuld. Also kann die Lösung nur in Sühne, Buße, Umkehr liegen. Wer es anders sieht, wird moralisch abqualifiziert. Dieses Denken spaltet das Land. Ob einem der Wechsel gefällt oder nicht: Man nennt ihn Demokratie. In Deutschland ist ein Politikwechsel derzeit nicht einmal vorstellbar. Das ist der wahre Unterschied zu den USA.

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