Tichys Einblick
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Liberal? Offen bis zum Exzess, beziehungsweise Exitus

Das Einzige, was Christian Lindner noch mit einem Liberalen gemeinsam hat, sind die ersten beiden Buchstaben. Die FDP hat nichts zu bieten als Anschlussfähigkeit nach allen Seiten. Die selbsternannten Liberalen sind in diesem Land vor allem als Zünglein an der Waage geübt. Deshalb gehört eine gespaltene Zunge zu ihrer Anatomie. Sie taugt nicht zum rettenden Sprung aus der Ampel.

Das Verharren in der Ampelregierung um jeden Preis bedeutet für die FDP Selbstmord aus Angst vor dem Tod.

I.

Das Einzige, was Christian Lindner noch mit einem Liberalen gemeinsam hat, sind die ersten beiden Buchstaben. Das stimmt zwar, ist aber selbst für einen Aschermittwochsbierzeltredengag von zu bescheidener Zündkraft. Kaum jemand in diesem Land, außer vielleicht der eine oder andere „Liberale“ selbst, scheint die FDP noch für eine liberale Partei zu halten. Was auch daran liegt, dass es die liberale Sache in Deutschland von jeher schwer hat. Die meisten verstehen unter „liberal“ eine Eigenschaft, die es zulässt, fast alle irgendwie herrschenden Meinungen achselzuckend zu akzeptieren. Liberalität verwechseln sie mit Indifferenz, Toleranz, Nachgiebigkeit. Mit Schlauheit statt Überzeugung. Die sogenannten Liberalen erwecken den Anschein, als seien sie nicht nur unentschieden, sondern auch anpassungsfähig bis zur Farblosigkeit. Anders ausgedrückt: Sie haben nichts zu bieten als Anschlussfähigkeit nach allen Seiten, oder wie Hubert Aiwanger das vielleicht ausdrücken würde, den Oasch offen.

II.

Das ist derzeit sehr schön am „liberalen“ Justizminister Buschmann zu sehen. Er hält vermutlich das anything goes der neuen Geschlechtervielfalt für erzliberal, und merkt nicht, dass er mit dem Selbstbestimmungsgesetz dem gesunden Menschenverstand abschwört. Jedermann/jedefrau/jedeses soll so oft er/sie/es mag sein/ihr Geschlecht ändern können, und selbst schon Pubertierende auf Wunsch gefährliche medizinische Umwandlungen an sich vornehmen lassen. Das ist nicht liberal sondern grotesk. Das Gesetz verbietet zudem die Offenlegung früherer Geschlechtseinträge oder Namen gegen den Willen der Betroffenen. Wer dagegen verstößt, wird bestraft. Auch das ist das Gegenteil von liberal. Die aktuellen Bemühungen, die deutsche Staatsbürgerschaft im Handumdrehen erwerben zu können, kommen ebenfalls als Liberalisierung daher. Der wahre Liberale würde die Fundamente der rechtsstaatlichen Gesellschaft gegen eine menschenrechtsfeindliche Parallelgesellschaft robust verteidigen. Aber so ist die FDP in der Ampel: Sie setzt dem gezielten Umbau, das heißt, dem Abbau der freiheitlichen Gesellschaft, nichts entgegen. Auch nicht dem Demokratiefördergesetz, das nichts anderes im Schilde führt als die massive Einschränkung des demokratischen Diskurses. Und was hat die Verhunzung der deutschen Sprache mit Freiheit zu tun, wenn die Genderei zur amtlichen Norm erhoben wird? Die offene Gesellschaft muss verteidigt werden. Aber die Lindner-Liberalen halten offenbar die offene Gesellschaft für so etwas wie einen … siehe Aiwanger.

III.

Die selbsternannten Liberalen sind in diesem Land vor allem darin geübt, als Zünglein an der Waage zur Verfügung zu stehen. Deshalb gehört eine gespaltene Zunge zu ihrer Anatomie. Das war im Prinzip nie anders, weshalb keine Partei länger mitregiert hat als die FDP. Als Bundeskanzler Helmut Schmidt 1982 über die Linken in seiner eigenen Partei in Sachen Nachrüstung und Kernenergie stürzte, hatte die FDP nichts Besseres zu tun, als sich möglichst rasch nach einer Alternative umzusehen. Die stand mit offenen Armen schon bereit und hieß Helmut Kohl. Genscher und Co. blieben an den Honigtöpfen der Macht, ließen es aber geschickterweise so aussehen, als gehorchten sie lediglich ihrem Gewissen und ihrer grundliberalen Festigkeit. Gewiss, sie brachten sich mit ihrer Wendigkeit selbst in Gefahr – ein Drittel der „sozialliberalen“ Mitglieder verließ damals die Partei -, aber der Partnerwechsel war damals alternativlos.

IV.

Heute ist die Situation anders. Der FDP steht gar keine Alternative zur Verfügung. Das Trostlose – oder sollte man besser sagen: das Tröstliche – an der Geschichte ist, dass der Verbleib in der Ampel auch keine Lösung für die FDP im freien Fall aus den Parlamenten ist. Damit hätte sich dann auch ihre einzige Existenzberechtigung, nämlich die als Zünglein, verabschiedet. Die Partei hätte nur dann passable Zukunftsaussichten, wenn sie sich endlich nicht nur auf Machterhalt, sondern auf liberale Grundsätze stützen würde. Davon ist Lindner, der Alleinherrscher der Truppe – was an sich schon liberalen Grundsätzen widerspricht – (noch) weit entfernt. Er hat weder die Buschmänner im Griff, noch kann er in der Ampel ökonomische Vernunft auch nur ansatzweise durchsetzen. Selbst nach dem epochalen Urteil des Verfassungsgerichts gelingt es ihm nicht, den von Transformationsfuror zerfressenen Kollegen Habeck zur Einsicht zu bringen. Als der neulich einen „hunderte von Milliarden“ schweren Schuldentopf für die staatsgelenkte Industrie forderte, fielen ihm dazu nur die Adjektive „interessant“ und „ungewöhnlich“ ein. Die FDP ist zum rettenden Sprung aus der Ampel nicht in der Lage. Dabei würde ihr die Dankbarkeit dafür, der Ampel endlich den Strom abgestellt zu haben, vielleicht im Herbst 2025 bei den Bundestagswahlen sogar den Hals gerade noch einmal retten. Es wäre ihre letzte vage Hoffnung. Die, die zuletzt stirbt.