Tichys Einblick
Weder patriotisch noch demokratisch

Johnson und Trump. Über den Missbrauch der Nation.

Nationalismus ist die Behauptung einer Einheit von Land, Volk und Staat. Doch genau diese Einheit spaltet.

Es ist schon paradox, dass die allseits propagierte innere Einheit Deutschlands zu neuen inneren Rissen und Spaltungen geführt hat. Grund: Der Zwang zur Vereinheitlichung. Konsens als unerfüllbares, falsches Ideal. Nachdem wir also in dieser Woche so schön über die deutsche Einheit bepredigt worden sind, weiten wir wieder den Blick. Und erkennen, dass dieses Paradox auch anderswo zu beobachten ist. Ich spitze es auf die zugegeben steile These zu: Nationalismus ist die Behauptung einer Einheit von Land, Volk und Staat. Doch genau diese Einheit spaltet. Beispiele gefällig? Johnson und Trump.

I.

Trump verdankt seine Wahl keinem unbestreitbaren Volkswillen, nicht der Mehrheit der Stimmen, sondern dem eigenartigen Wahlsystem der USA. Johnson rebelliert gegen die Mehrheit der Volksvertretung mit der Behauptung, den Volkswillen zu vertreten. Das Plebiszit vor drei Jahren entschied mit Hilfe haltloser Lügen über die Vision eines Brexit – nicht aber über seine konkreten Bedingungen und realen Konsequenzen. Unter diesen Umständen war das Ergebnis zu knapp, um noch heute unbestreitbares Gesetz zu sein.

II.

Trump und Johnson halten sich für Megapatrioten. Sie nutzen und missbrauchen eine nationalistische Grundströmung, die gegen den Wandel der globalisierten Welt aufbegehrt, für ihren persönlichen Machtkampf. So weit, so schlecht.

III.

Die übelste Form von Nationalismus steckt in der Formel: Ein Reich, ein Volk, ein Führer. Man muss kein Nazi sein, um an diesem Machtprinzip Gefallen zu finden. Trump und Johnson sind gewiss keine Nazis, finden aber Gefallen an diesem Prinzip. Das ist vor allem daran zu erkennen, dass sie Kritik und politische Gegnerschaft als Verletzung des Volkswillens und damit als unpatriotisch verurteilen. Sie setzen ihren persönlichen Willen zur Macht gleich mit dem, was sie für unbestreitbare Interessen ihres Landes halten. Wer ihnen Böses will, will dem Land Böses, behaupten sie. Das ist jedoch weder patriotisch noch demokratisch. Denn es macht aus Kontrahenten Feinde, Volksfeinde. Trump und Johnson handeln und kommunizieren nur im Sinne der eigenen Anhängerschaft. Ja, man kann sagen, die Spaltung der Gesellschaft in Freund und Feind gehört zum Prinzip ihrer Herrschaft. Sie betreiben also nicht die Einheit ihrer Nationen, sondern deren Spaltung. Auch insofern ist die Bezeichnung Populist fragwürdig. Das ganze Volk existiert nicht für Trump, nur der Teil, der ihm folgt. America first bedeutet Trump first. Er versucht Systemfeinde wie China, die wahren Gegner der USA und der Freiheit auf der Weltbühne, für seinen inneramerikanischen Machtkampf zu instrumentalisieren. Entscheidend für ihn ist nicht, ob man Amerikaner ist oder nicht, sondern ob man ihm folgt oder nicht. Und Johnson riskiert sogar den Zerfall des United Kingdom.

IV.

Wer so denkt und handelt, kann die demokratischen Spielregeln nicht vorbehaltlos akzeptieren. Trump spricht von Putsch, wenn ihm die Gewaltenteilung nicht passt. Johnson ließ die Parlamentsdebatten in den entscheidenden Wochen der Brexitverhandlungen aussetzen und will nicht verstehen, dass er damit gegen das höchste Grundrecht der parlamentarischen Demokratie verstieß.

V.

Johnson behandelt seine Partei nicht wie eine in sich demokratische Organisation, die er leitet, sondern als persönliche Hilfstruppe. Wer abweicht, fliegt. Trump sieht in den Republikanern eine Art Palastgarde. Wenn inhaltlicher Streit auch in den eigenen Reihen als unpatriotisch denunziert wird, treten persönliche Angriffe als Mittel des Machtkampfs in den Vordergrund. Wer glaubt, er stehe über dem Gesetz, ist auch anfälliger für Affären. Nepotismus, Beleidigungen, Wutausbrüche dominieren dann die Debatte statt das Ringen um die besten Lösungen. Die demokratische Kultur erodiert.

VI.

Johnson ist ein Spieler, Trump ein Krieger. Beide sind hemmungslose Egomanen. Vergleichen Sie bitte nur einmal ihre Unterschriften auf offiziellen Schriftstücken. Riesige, ausufernde Kalligraphien, aggressiv gezackt beim einen, barock ausladend beim anderen. Man muss kein Graphologe sein, um die Großspurigkeit zu erkennen. Diese Machthaber halten sich für Vollstrecker des Volkswillens. Demokratie stört dabei nur. Merke: Ein blondierter Schopf auf einem Egomanenschädel macht noch keinen Patrioten.

PS.

Kleine Anmerkung zu Deutschland. Merkels Affärenlosigkeit bedeutet keineswegs, dass sie von demokratischerer Gesinnung wäre. Ihre stilistische Bedürfnislosigkeit wird auf deutsche Art kompensiert durch das unbedingtes Festhalten an Amt und Macht. Der seltsame Zauber des Regierens ersetzt in Deutschland den offenen Streit. Auch Merkel hat sich ihre Partei unterworfen. Auf kalte Weise. Und die Opposition durch Angleichung entkräftet. Merkel ist auch als Mensch kaum vorhanden. Sie gibt sich als eine Art protestantische Päpstin auf beinahe Lebenszeit. Aber das ist ein anderes Thema.

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