Tichys Einblick
Mit der Berliner Republik der Niedergang

Oktober 1990 – von nun an ging’s bergab

Einheit wurde als Einheitlichkeit definiert - auf Kosten der Freiheit. Auf den gesamtdeutschen Konformismus und die zunehmenden Einschränkungen reagieren Ostdeutsche empfindlicher. Diktaturgeschädigt, aber doch nicht demokratieunfähig, schimpfen sie mehr und anders. Die ihnen versprochene Bonner Republik haben sie nie bekommen.

Mit dem Beitritt der DDR ging auch die Bonner Republik unter. Mit der Berliner Republik beginnt der Niedergang.

I.

Es ist wahrscheinlich der tiefere Grund dafür, dass nur 47 Prozent der Westdeutschen, weniger als die Hälfte, und 56 Prozent der Ostdeutschen laut einer repräsentativen Insa-Umfrage von Bild und Welt die „Wiedervereinigung“ für geglückt halten. Nach 32 Jahren ein ernüchterndes Ergebnis. Es hat wenig mit mit der Angleichung der Lebensverhältnisse zwischen West und Ost zu tun. Wenn überhaupt etwas „geglückt“ ist, dann ist es die gigantische Transferleistung. Sie wird jedoch überlagert von der Gewissheit, dass sich das eigentliche Ziel der gigantischen Operation erledigt hat, weil die prosperierende, liberale Bundesrepublik nicht mehr existiert.

II.

Gewiss sind in der mittlerweile stark individualisierten Bevölkerung der neuen Bundesländer die Mentalitäten noch immer anders verteilt als im Westen. Unterschiedliche Sozialisierungen sind mitunter langlebiger als politische Systeme. Die Sichtweisen auf das ehemalige Mutterland des Sozialismus und ihren neuen Zaren belegen es. Werden Marktwirtschaft und Demokratie im Osten tatsächlich weniger akzeptiert als im Westen? Oder sind nur Skepsis und Mißtrauen angesichts des real existierenden Zustands der Parteiendemokratie und des übergriffigen Staats größer? Die im Osten gemachten Erfahrungen machen hellhöriger. Der größte Fehler der sogenannten Wiedervereinigung war die Vorstellung, es müsse möglichst rasch, am besten von oben verordnet, eine „innere Einheit“ hergestellt werden, koste es, was es wolle. Einheit wurde im Sinne von Einheitlichkeit definiert – auf Kosten der Freiheit. Auf den gesamtdeutschen Konformismus und die zunehmenden Einschränkungen reagiert ein Teil der Ostdeutschen empfindlicher. Diktaturgeschädigt, aber doch nicht demokratieunfähig, schimpfen sie mehr und anders. Die ihnen versprochene Bonner Republik haben sie nie bekommen.

III.

Die Geschichte der Kanzler der Berliner Republik markiert den Verfall. Kohl blieb nur dank des Mauerfalls weitere acht Jahre im Amt, viel zu lange. Die erste gravierende Fehlentwicklung ging auf seine Kappe: die Einführung des Euro als Preis für die Einheit. Schröder löste zwar die Krise des Sozialstaats mit marktwirtschaftlichen Mitteln, aber die grünen Fundamentalisten kamen mit ihm ans Ruder. Atomausstieg, Energieabhängigkeit von Russland waren die Folge. Angela Merkel war die Rache der DDR. Sie tat nichts. Und wenn sie etwas tat, dann das Falsche aus den falschen Motiven. Sechzehn allzu lange Jahre lang ließ sie das Land verfallen: Infrastruktur, Bildung, Sozialsysteme. Sie zerstörte die Partei, in der sie Karriere machte, von innen heraus, und die das noch immer nicht einsehen will. Zweifellos verdankt auch die AfD Merkel ihre Existenz. Merkel fuhr das ganze Land an die Wand und manövrierte auch die EU auf einen verheerenden, zentralistischen Weg. Und jetzt Scholz: ein maues Echo der Merkeljahre, das sich bereits dem Ende nähert – ohne Hoffnung auf Besserung durch Regierungswechsel. Scholz ist ein Versehen, allein der regierungsunfähigen CDU geschuldet. Ein halbes Dutzend Krisen mausern sich zur Katastrophe.

IV.

Das in der deutschen Geschichte angelegte zentrale Missverständnis von Demokratie ist in den Krisen der Gegenwart erneut und verschärft zu beobachten. Die Streitkultur in einem beklagenswerten Zustand. Konformismus lähmt das Land. Parteien und Medien werden nahezu monochrom von eine grün-linken Gesinnung dominiert. Nur so konnte es zu den verheerenden Kollateralschäden der Corona-Politik, zur dramatisch verfehlten Energiewende, zur sich erneut zuspitzenden Migrationswelle, zum Staatsversagen einer außer Rand und Band geratenen Bürokratie und zur Ausgrenzung von allem kommen, was in der Berliner Republik als „rechts“ diffamiert wird. Damit einher geht die bizarre Verödung des Denkens und der Sprache durch eine inoffizielle, doch allgemein respektierte Sprach- und Denkpolizei. Innere Einheit eben. Die Debatten sind zäh, verbohrt und verklemmt. Berliner Verhältnisse. Großkotzigkeit gepaart mit Unvermögen. Ein verlottertes Gemeinwesen als neue Normalität. Ein desillusioniertes, verstörtes Volk, das sich eindeckt mit Kerzen, Pullovern und Waschlappen.

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