Tichys Einblick
Ordnungsphobie

Ein Blick in die Kanzlertasche

Die Krisenbewältigungsversuche in der Kanzlertasche symbolisieren und spiegeln die Krisenbewältigungsversuche der Regierung.

Es ist gesichertes Erfahrungswissen, dass nichts mehr über das Wesen einer Frau verrät, als der Inhalt ihrer Handtasche(n). Eine TV-Kamera erlaubte in dieser Woche einen Blick in die Handtasche und damit in die Seele der Bundeskanzlerin.

I.

Zutage förderte die Kanzlerin aus ihrer Ledertasche zwei großzügig dimensionierte transparente Plastiktaschen. (Wir können im Rahmen dieser kleinen Betrachtung leider nicht auf das Etui-in-Hülle-in-Täschchen-in-Beutel-in-Tasche-Syndrom eingehen. Der so hilf- wie heillose Versuch, Subordnungen im Chaos zu schaffen, verrät die Not der ewig Ordnenden – also ewig Suchenden. Zurück zur Kanzlerin.) In die erste Untertasche steckte sie ihre Mund-Nase-Bedeckung. Aus der zweiten zog sie eine frische. Frau Merkel führt nach vorsichtiger Schätzung permanent zwischen einem und zwei Dutzend Mund-Nase-Bedeckungen mit sich.

II.

Bevor Sie sich mit Verweis auf den Morbus Trump aufregen: Es geht hier nicht darum, DASS Frau Merkel Masken trägt, sondern darum, WIE sie damit hantiert. Zwischen Trumps sich selbst gefährdende Ignoranz und Merkels das ganze Land in einen zweiten Stillstand stürzende Pedanterie liegt das weite, doch weithin unbeackerte Feld des common sense.

III.

Was können wir den Taschen – außer den Mundschutz selbst – entnehmen? Davon ausgehend, dass Maskentausch und Taschenblick nicht inszeniert waren: Frau Merkel ist – erstens – von Umsicht, Vorsicht, Rücksicht geradezu paralysiert. Oder sagen wir es einfacher: Sie ist tatsächlich gepeinigt von Furcht. Und sie scheint in dieser Furcht Halt zu finden. Man kann das sehen: Wie sorgfältig sie die Schutzmasken-Taschen verschließt und glatt streicht, sie beinahe so liebevoll behandelt wie einen heimlich in den Bundestag geschmuggelten Mini-Chihuahua. Zweitens scheint sie besessen von der Idee der Ordnung an sich. So gehen Paranoia und Ordnungsphobie ein inniges Bündnis ein. Und offensichtlich hält sie das, was sie in ihrer Tasche bereit hält, für angewandte Wissenschaft.

IV.

Phobien dieser Art sind verwandt mit dem häufig auftretenden Waschzwang (aus dem in Zeiten der Pandemie ohnehin eine Waschpflicht geworden ist), mit weit verbreiteten Kontaminationsängsten und Kontrollzwängen, die aus der Angst kommen, durch Versäumnisse Katastrophen auszulösen (vergleichbar der krankhaften Angst vor dem Anlassen der Herdplatte). Zwangsvorstellungen dieser Art sind für den Betroffenen zwangsweise alternativlos. Auf diese Weise kontrolliert Frau Merkel offenbar nicht nur das ihr anvertraute Land, sondern auch ihr Leben. Genau darin besteht der Zwang: Sie vertraut ausschließlich ihrem eigenen Ordnungssystem. Wie absurd das ist, zeigt die neulich keineswegs aus Papieren des Herrn Professor Drosten, sondern lediglich aus der dünnen Luft ihrer eigenen Vollkommenheit gegriffene Panikzahl, mit der Frau Merkel versucht, eine Weihnachtsfeierphobie im Land zu erzeugen. Umfragen und überall zu beobachtendes Verhalten zeigen: Die meisten Deutschen lassen sich nach sanften Lockerungen erneut in eine Angstpsychose treiben.

V.

(Söder dagegen, der sich Merkel bedingungslos anschließt, neuerdings in Sachen Flüchtlingskrise sogar nachträglich, ist nicht von Zwangsvorstellungen gepeinigt – abgesehen vom eigenen Größenwahn – , vielmehr von niederen Beweggründen. Er hat die Zahl Merkels seinerseits sofort erhöhen müssen. Als Panikmacher lässt er sich ebensowenig übertreffen wie als rücksichtsloser Krisenmanager.)

VI.

Man kann nicht davon ausgehen, dass Frau Merkel absichtlich und krisenpopulistisch die staatsgläubige Untertanenmentalität ihrer Wähler:innen bedient. Denn sie tritt mit einiger Wahrscheinlichkeit als Kanzlerkandidatin nicht mehr an. (Eher setzt sie auf eine zusätzliche Amtszeit als amtierende Kanzlerin, falls die Unionsparteien bei den Wahlen auf dem Boden der nachmerkelschen Tatsachen aufschlagen, und es lange zu keiner Regierungsbildung kommen sollte. Wollen wir es nicht verschreien.) Dennoch bewirkt sie nichts anderes als eine zweite weitgehende Suspendierung des sozialen Lebens. Es bleibt die so nüchterne wie beunruhigende Erkenntnis, dass dieser Frau die Führung ihres Landes auf dieselbe Weise gelingt, wie das permanente Bemühen, ihr eigenes Leben bloß nicht außer Kontrolle geraten zu lassen. Oder anders formuliert: Die Krisenbewältigungsversuche in der Kanzlertasche symbolisieren und spiegeln die Krisenbewältigungsversuche der Regierung. Der Glaube, das Heil in Disziplin und Zucht zu finden, ist in diesem Land seit Jahrhunderten verbreitet. Ein Land im symbolischen Waschzwang. Im Hygienewahn. In Kontrollphobien. Dagegen gibt es leider keine Herdenimmunität.

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