Tichys Einblick
Herles fällt auf

Die ARD und das Schlossgespenst

Die ARD bietet den besseren TV-Journalismus. Mehr Vielfalt, weil dahinter keine zentralistische Organisation steckt wie der Mainzelmännchengesangsverein auf dem Lerchenberg.

Die Ministerpräsidenten tagten. Sie wollten ARD und ZDF zu Reformen bewegen, behaupteten sie. Wo tagten sie? Auf Schloss Halberg, dem Sitz des Intendanten des Saarländischen Rundfunks. Das ist schon mal ein guter Witz.

I.

Der Herr Intendant hat ein Schloss mit angeschlossenem Sender. Die Länder Hamburg, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Sachsen, Thüringen, Brandenburg und Sachsen-Anhalt haben keinen eigenen Sender, sondern teilen sich ihre Rundfunkanstalten mit anderen Ländern. Saarland und Bremen, gewiss die Allergrößten, behalten dagegen ihre jeweils eigene Anstalt. Fusionieren? Davon ist auf Schloss Halberg natürlich keine Rede.

II.

Von Sachsen-Anhalts Medienminister kam jüngst der Vorschlag, das Gemeinschaftsprogramm der ARD einzustellen, auf Tagesschau und Tagesthemen zu verzichten. Das ZDF und seine heute- und heute-journal-Sendungen genügten als nationales Angebot. Auch dieser Vorschlag hatte auf Schloss Halberg  keine Chance. Meinem früheren Chef, dem ZDF-Intendanten Bellut, ist ausnahmsweise beizupflichten: „Ich bin klar für Vielfalt“, und für „Konkurrenz um bessere Qualität.“ Sagte er.

Ich korrigiere: Man müsste Bellut zustimmen, beschrieben seine Sätze die Wirklichkeit. Doch leider setzt das ZDF nicht zuerst auf Qualität, sondern ganz auf Quote. Zwischen ARD und ZDF geht es nur am Rande darum, wer die besseren Sendungen bietet, statt dessen vor allem darum, wer die Marktführerschaft erringt. Und eben deshalb kann auch von Vielfalt keine Rede sein. Immer mehr vom Gleichen lautet die Parole: Krimis, Krimis, Krimis, Talk, Talk, Talk. Und natürlich Fußball, der Garant der Marktführerschaft, wo gar kein Markt sein dürfte. Denn wozu gibt es Zwangsgebühren?

III.

Dazu kommt der Konformismus. Die Mainstreamparteien sitzen am Geldhahn und entscheiden über Karrieren. Deshalb gilt die Agenda der Politik. Themen, die die herrschenden Parteien aussparen – wie im Wahlkampf den EU-Reformbedarf  – kommen auch in den Programmen kaum vor. Wer sich dem Mainstream anpasst, hat nichts zu befürchten.

Konformismus ist aber auch eine Blüte des Quotenwahns. Vereinfachen, Personalisieren, Emotionalisieren, Skandalisieren. Es ist ein ständiger Schrei nach Aufmerksamkeit, auch und gerade in eigentlich journalistischen Formaten. Zuspitzen, Verdichten, Verkürzen: der Übergang zum Verfälschen ist dann fließend. „Vorfälle, Unfälle, Störfälle, Einfälle“ (Niklas Luhmann): daraus ist die Welt der Fernsehnachrichten nach wie vor zusammengesetzt. Und es muss permanent menscheln. Nur keine Überforderung durch Hintergrund, Analyse, Komplexität. Denn alles ist Entertainment. Soll man das Grundversorgung nennen?

IV.

Zwei zufällige Beobachtungen aus dieser Woche: Der ARD-Tatort am vergangenen Sonntag mit mehr als zehn Millionen Zuschauern war ein ausgewachsener Skandal, der die Öffentlichkeit und die Ministerpräsidenten jedoch so gut wie kalt ließ. In der Jubiläumswoche des Terrors von 1977 ergab sich dieser Krimi der längst widerlegten Verschwörungstheorie hin, wonach der Geheimdienst die Terroristen Baader, Ensslin und Raspe in Stammheim ermordet haben soll. Eine linksradikale Verblödungsaktion aus dem Hause Südwestrundfunk.

V.

Und hier eine einzige, beliebige Stichprobe aus dem Nachrichtenflaggschiff des ZDF: Die heute-Sendung am vergangenen Dienstag enthielt zwei Fußballvorberichte ohne jeden Newswert, ferner einem Reklamefilm für das eigene XY-ungelöst-Format, das 50 Jahre alt wurde, sowie einen weiteren ausführlichen Trailer-Film fürs das ZDF-Magazin Frontal am selben Abend. Kein Wunder, dass für wichtige Nachrichten kein Platz blieb. Die FAZ zum Beispiel machte am nächsten Morgen auf mit „Paris will härter gegen kriminelle Ausländer vorgehen“. Die Süddeutsche titelte jeweils vierspaltig: „Bundesamt verunsichert Online-Nutzer“ und „Misstöne vor Jamaica-Sondierung“ mit Lindners Attacke gegen die CDU. Nichts davon in der Hauptnachrichtensendung des ZDF.

VI.

Unter dem Strich bietet die ARD den besseren Fernsehjournalismus. Mehr Vielfalt in einem Programm, weil dahinter keine zentralistische Organisation steckt wie der Mainzelmännchengesangsverein auf dem Lerchenberg. Vom Bayerischen Rundfunk bis zum WDR gibt es eine natürliche Vielfalt von Meinungen. Journalismus hat in der ARD doch noch einen höheren Stellenwert als im Unterhaltungs-Dampfer ZDF. Da darf sich kein Entertainer wie Markus Lanz unentwegt mit politischen Gesprächen überfordern und blamieren. Da machen sich verschiedene politische Magazine gegenseitig Konkurrenz – nicht bloß über die Quote. Deshalb müsste man, wenn überhaupt, über die Zukunft des ZDF nachdenken, dem Spezialkanal für Krimiserien. (Der sich gleich noch einen zweiten Spezialkanal für Krimis hält: ZDF neo.) Eine Kompanie von guten und sehr guten Redakteuren resigniert und hockt frustriert herum, weil ihre Sendungen dauernd ausfallen, dem Fußball oder „Feiertagsprogrammierungen“ weichen müssen. Und weil sie gezwungen werden, massenkompatiblen Mist zu produzieren. Dokus über die Weltmächte Aldi und Lidl etwa, statt über China und die USA.

VII.

8 Milliarden Gebühren im Jahr werden den Bürgern abkassiert, damit sie in die Lage versetzt werden, dem politischen Diskurs zu folgen und sich daran zu beteiligen. 8 Milliarden, damit es Medien gibt, die sich nicht den Narreteien des Marktes und dem politischen Opportunismus unterwerfen, die nicht auf Quoten achten müssen. Doch der gesellschaftliche Auftrag der Sender steht im Hintergrund eines sinnlosen Wettbewerbs der Gefallsüchtigen. Die Sender auf ihren Auftrag zu verpflichten, wäre die einzig wahre Reform. Statt dessen wurde nur über Gebühren gequatscht, wurden „Synergien“ angemahnt. Betriebswirtschaft statt Qualitätskontrolle. Und die Sender dürfen sich im Netz noch mehr ausbreiten. Es ist zum … Abschalten.

 


Wolfgang Herles ist Schriftsteller und (TV-) Journalist, er schrieb mehrere Romane und zahlreiche politische Sachbücher, zuletzt Die Gefallsüchtigen in dem er das Quotendiktat der öffentlich-rechtlichen Medien und den Populismus der Politik attackiert. Sie erhalten es in unserem Shop: www.tichyseinblick.shop