Tichys Einblick
Keine Kür ohne Pflicht

Der neue deutsche Sport: Kanzlerkandidatenkandidatenkür

Symptomatisch für den Niedergang der Volksparteien ist inzwischen die Schwierigkeit, überhaupt geeignete Kandidaten zu finden. Die Bundestagsfraktion sollte das natürliche Reservoir für Ambition und Talent sein. In Wahrheit sitzen da Parteifunktionäre.

Demokratie war noch nie die Staatsform, die garantiert hätte, dass die Besten an die Spitze kommen. Karl Popper hat es auf den Punkt gebracht, als er sinngemäß anmerkte, Demokratie sei nur die Staatsform, mit der die Regierten schlechte Regierungen am problemlosesten wieder los werden könnten. Wenn sie denn wollten. Und wenn es denn so einfach wäre. Symptomatisch für den Niedergang der Volksparteien ist inzwischen die Schwierigkeit, überhaupt geeignete Kandidaten zu finden.

I.

Die in die Selbstblockade gestürzte Westminsterdemokratie in London bietet ein Schauspiel sondergleichen. Immerhin bewarben sich um Theresa Mays Nachfolge gleich zehn Members of Parliament. Über die Qualität der Kandidaten lässt sich streiten, aber wenigstens gibt es sie. Erst bestimmen nur die Abgeordneten, am Ende allein die Parteimitglieder, wer in 10 Downing Street einziehen wird.

II.

Immer noch besser als die deutschen Zustände. Angenommen, allein die CDU/CSU-Bundestagsfraktion dürfte aus ihrer Mitte Kanzlerkandidatenkandidaten küren. Wir stellen uns mal ganz naiv und zählen bis zehn. Sie lachen? Scherz beiseite: Es ist ein Armutszeugnis. Die Bundestagsfraktion sollte das natürliche Reservoir für Ambition und Talent sein. In Wahrheit sitzen da Parteifunktionäre. Natürlich gibt es die eine oder andere Ausnahme, auch am Kabinettstisch. Aber werden sie sich auch bewerben? (Spahn zum zweiten?)

III.

Der Fraktionsvorsitzende sollte der natürliche Bewerber Nummer Eins sein. Schmidt, Kohl, Merkel standen ihrer Fraktion vor, ehe sie Kanzler wurden. Mit Kanzlerin Merkel war der Fraktionsvorsitzende nur noch Manager einer Vasallentruppe. Sie hat wesentlichen Anteil am Niedergang der parlamentarischen Streitkultur und der programmatischen Entleerung ihrer Parteien. Der Fraktionsvorsitzende Ralph Brinkhaus hat zwar seinen Vorgänger Volker Kauder besiegt, aber profiliert hat er sich nicht. War Kauder merkelhörig, ist sein Nachfolger schon jetzt ein AKK-Untertan. AKK sei selbstverständlich die nächste KK und deshalb „ist das ihre Entscheidung, was der beste Weg dafür ist.“ Hat der Mann auch nur eine blasse Vorstellung von Demokratie?

IV.

Und jetzt denken Sie bitte an den Zustand der SPD-Bundestagsfraktion. Sie hätte es leichter, wäre sie nicht eine Stütze Merkels. Um die nicht bloß kommissarische Nachfolge von Andrea Nahles bewerben sich auch keine zehn Abgeordneten, auch nicht neun oder acht … sondern niemand. Wäre die SPD noch eine stolze Partei, wäre der Fraktionsvorsitzende automatisch der Schattenkanzler. Und auch jeder Minister würde diese Aufgabe einem Kabinettsamt vorziehen. Scholz, Heil, Maas würden natürlich den Fraktionsvorsitz anstreben. Sie lachen ja schon wieder! Haben sie vergessen, was die parlamentarische Demokratie auch in diesem Land einmal bedeutet hat? Die Krise der Demokratie ist immer auch eine Krise des Parlaments.

V.

Die Deutschen erwarten Führerschaft. Die herausragende Superfigur aber gibt es nicht. Es kann sie unter den herrschenden Rekrutierungsbedingungen nicht geben. Es bleibt nichts anderes übrig, als sich mit kleineren Talenten zu begnügen. Auch Merkel hatte nie Charisma. Ihr Talent reichte nur für eine spezielle Spielart von Machiavellismus in einer saturierten Stimmungsdemokratie. Aber sie hat es gewagt. Andere haben nur zugeschaut, sich gewundert und sie dann machen lassen.

VI.

Nein, das ist kein Plädoyer für das Kleintalent Armin Laschet, der sich nur als Verlängerer des Systems Merkel zu profilieren versucht, während AKK verzweifelt eine eigene Linie zu suchen beginnt. Es ist zu begrüßen, dass er sich bewirbt. Merz sollte es ebenfalls tun. Auch die Union benötigt eine Urwahl. Auch die CDU braucht klare Alternativen, auch wenn sie so klar nicht sind, wenn man an AKK denkt. Deren größtes Handicap ist die Tatsache, dass sie von Merkel selbst als Nachfolgerin propagiert wird. In Großbritannien wäre das ein großer Makel. Man stelle sich vor, Theresa May würde sich ins Nachfolgerennen einmischen. Sie lachen ja schon wieder!