Tichys Einblick
Wahlkampf-Wahnsinn

Den Ast absägen, auf dem man sitzt

Wie wäre es mit der realistischen Einsicht, dass nicht alles auf einmal zu haben ist: Wachstum, Wohlstand und die Rettung der Welt obendrein. Wie wäre es, wenn man die Automobilwirtschaft einfach dem Markt überließe? Geht in Deutschland nicht.

Es gibt grundsätzlich drei Methoden, ein angegriffenes, nicht mehr sehr haltbares, doch noch immer überlebensnotwendiges System zu ändern. Man kann, erstens, die Augen verschließen und den Ast, auf dem man sitzt, unter dem Hosenboden einfach vermodern lassen. Beispiel DDR. Wer zu spät kommt … Zweitens lässt sich der Ast, auf dem man sitzt, absägen. Deutschland versucht gerade eine Kombination. Die angemoderte Automobilwirtschaft soll dadurch gerettet werden, dass man ihr den Ast vorzeitig absägt.

I.

Es ist ja wahr. Das Automobil, Fundament unseres Wohlstands, ist umzingelt von Gegnern.

Erstens, der Zeitgeist, Abteilung Lifestyle. Das Auto hat seinen herausragende Statuswert verloren. Die Digitalisierung schafft neue Wege der Mobilität. Dagegen ist nichts zu machen.

Zweitens, der Zeitgeist, Abteilung grünes Bewusstsein. Wir haben es uns so lange um die Ohren hauen lassen, dass wir es bald selber glauben. Der Verbrennungsmotor in unserer Garage ruiniert die Atmosphäre und/oder erstickt Passanten. Kaum noch jemand widerspricht der Ansicht, nur Elektrofahrzeuge könnten das Problem lösen. Denn der Strom kommt bekanntlich schadstoffrei aus der Steckdose. Wenn es denn genügend Steckdosen gibt. Und unschädliche Batterien. Die deutsche Automobilindustrie soll, um im Bild zu bleiben, freiwillig gegen die Gesetze der Schwerkraft auf ein dünneres Ästchen hüpfen. Auf den dicken Ästen des neuen Zeitalters sitzen dann Chinesen und Amerikaner (Software).

Drittens: der Zeitgeist, Abteilung Populismus. Die Politik hat der Industrie Druck gemacht, ziemlich illusorischere Abgasgrenzen gesetzt. Der politische Wunsch ersetzte wieder einmal die Realität (siehe auch Einführung des Euro). Der vermeintliche Kampf gegen den Klimawandel rasierte die Vernunft ja auch schon bei der „Energiewende“.

Viertens: der Ungeist in der Industrie, die sich mit einem Zweisprung aus Kuschen und Mogeln zu retten versucht hat. Auch noch nach dem Motto, wenn wir zusammenhalten, kann uns keiner. Wir sehen fassungslos die Selbstdemontage der Industrie. Dummheit, Arroganz, Ignoranz, Größenwahn des Managements. Dessen Naivität zu glauben, es werde schon gut gehen.

II.

Der Druck der Behörden hat wenig gebracht, jedenfalls nicht für die Energiebilanz. Dazu kommt die sinnlose Hatz auf den Diesel, der zwar nicht so sauber verkauft wird, wie er sein könnte, aber immer noch sauberer ist als der Benzinmotor. Eine vielversprechende technologische Alternative von der Komplexität der Brennstoffzelle wurde kleinmütig verpennt, statt den Vorsprung durch Technik neu zu begründen. Der Vorsprung beim E-Mobil ist bereits unwiderruflich dahin. Und die Politiker tauchen ihre Hände in Unschuld. Nein, sie haben nichts damit zu tun. Falls es noch niemandem aufgefallen ist: Wir befinden uns gerade im Wahlkampf. Das Thema, das das Fundament des deutschen Wohlstands erschüttern wird, kommt praktisch nicht vor. Sind sich ja auch alle einig. Nein, wir haben nichts gegen deutsche Autos. Ja, wenn es ein Skandal ist, ist er wirklich skandalös. Überhaupt keinen Spaß verstehen die Deutschen, wenn es um die Moral geht. Da gehen sie notfalls über Leichen, wenn es sein muss sogar die eigene. Sie und ihre Politiker tun jetzt gern so, als sei es gar nicht mehr ihr Ast, an dem gesägt wird. Nur einen Tag, nachdem Verkehrsminister Dobrindt für seine unverzeihliche Milde eine ganze Seite Drei lang verspottet wurde, hat er einem Hassobjekt, der Villenbesitzerschleuder Porsche Cayenne die Zulassung entzogen. Welch ein Zufall. Schon gibt der Mautminister im Wahlkampfmodus den scharfen Hund.

III.

Die Mainstreammedien klären in dieser Situation nicht auf, sondern gefallen sich in der Rolle als Umerzieher der Autofahrernation. Ihre Urteile stehen fest, ehe die Fakten klar genug zu erkennen sind. Von der Sendung mit der Maus – man kann mit moralisierender Desinformation nicht früh genug beginnen – bis zum Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung für Deutschland. „Tod liegt in der Luft“ lamentiert dort der Leitartikler, ein gewisser Herr Reents, der Autos nur als Bürgersteige verstopfende Blechlawine sehen kann, mit der Leute tot gefahren werden können, falls sie nicht schon vorher erstickt sind. Er hält die Industrie tatsächlich für „gehätschelt“ von der Politik. Ja, das ist vielleicht einmal so gewesen. Eines nicht fernen Tages wird die Kanzlerin auch das Motorenverbot zur Gewissensfrage erklären. Dann schaffen wir den Verbrennungsmotor ganz demokratisch ab.

Ausgerechnet Frankreich und England gelten uns dann als Vorbild. Dort kommt der Strom aus Steckdosen, die überwiegend aus Kernkraftwerken gespeist werden. Der Ausstieg aus dem Verbrennungsmotorentechnik ist wie geschaffen dafür, die Marktführerschaft der deutschen Autoindustrie ein für alle mal zu beenden. Den europäischen Nachbarn aber dürfen wir uns nicht verweigern – das geht nur in der Flüchtlingsfrage. Wetten, dass Deutschland bald wieder an der Spitze des Fortschritts stehen will. Verbot des Verbrennungsmotors, nur ohne Kernenergie.
Kommentatoren wie Reents und der rot-rot-grüne Mainstream würden am liebsten nicht nur das Kind mit dem Bad ausschütten, sondern es vorsichtshalber vorher noch darin ersäufen. Man kann schließlich dem drohenden Tod auch durch Selbstmord entkommen.

IV.

Ach so, die dritte Methode: den Baum düngen, damit neue Zweige aus dem alten Ast wachsen können. Ihn stabilisieren. Und wie wäre es mit der realistischen Einsicht, dass nicht alles auf einmal zu haben ist: Wachstum, Wohlstand und die Rettung der Welt obendrein. Wie wäre es, wenn man die Automobilwirtschaft einfach dem Markt überließe? Geht in Deutschland nicht. Der Kunde ist nicht König, sondern Verbraucher. Also von Haus aus dumm wie Stroh. Man muss ihn zur Vernunft bringen.