Tichys Einblick
Lockdown auch für Vernunft

Das Virus hoch, die Reihen dicht geschlossen

Wie immer die Sache ausgeht, wann und mit wie vielen Gefallenen auf dem Schlachtfeld Corona-Politik, "man" wird Recht gehabt haben - Politiker und Virologen und kritiklose Journalisten.

„Wir müssen die Arschbacken zusammenkneifen.“ (Prophylaxeempfehlung des RKI-Präsidenten.)
„Es wird sehr hart.“ (Der Bundesminister für Gesundheit.)
„Freiheit ist Disziplin“ (Der Chefvirologe der Charité.)
Mit Hilfe solch strammer deutscher Hauptsätze werden wir den Feldzug gegen das Leben gewiss erfolgreich gestalten. Zumal die Medien an vorderster Front mitkämpfen. Gefangene werden nicht gemacht.

I.

Der Befund ist längst auch wissenschaftlich untersucht: Die Medien folgen „sehr bereitwillig der politischen Rhetorik“ (Prof. Thomas Hanitzsch, LMU-München). In Zeiten von Corona gilt dies doppelt. Schart sich die Bevölkerung doch in Krisen ohnehin um die Regierenden. Es war in vergangenen Kriegszeiten nicht anders. Statt ihre Aufgabe als Korrektiv wahrzunehmen, reihen sich die Medien ein: Im Gleichschritt Marsch! Die Debatte über Folgen und Nebenwirkungen der „Maßnahmen“ kommt zu kurz, so wie auch die Auswahl der „Experten“ immer schmaler geworden ist. Normalerweise reagiert das Publikum darauf mit dem einschlägig beschriebenen „News-Fatigue-Phänomen“ – lähmender Ermüdung angesichts des Trommelfeuers der Kriegsberichterstatter. Das ist jetzt anders.

II.

Die Programmgewaltigen der Anstalten tanzen gerade ausgelassen auf den Tischen. Die Quoten steigen. Aber die Profiteure wollen nicht begreifen, dass das daran liegt, dass der in seinen eigenen Wänden isolierte Mensch abgesehen von Alkohol, Sex und einem Buch kaum eine andere Wahl hat, als vor der Glotze zu verdämmern. Die Propagandeure sehen das ganz anders: Sie nehmen die Quote als Zustimmung zur regierungsfrommen Hysterieproduktion. Sie haben alles richtig gemacht. Deshalb kommt vereinzelte interne Kritik an der höchst einseitigen Panikberichterstattung nicht gut an. Täglich werden Covidspätfolgenopfer dramatisch vorgeführt. Die Millionen, denen es an Lebenslust und Lebensmut gebricht, weil ihnen Lebensinhalt und Existenzgrundlagen genommen werden, kommen allenfalls am Rande vor. Es sind die, denen man empfiehlt, die Arschbacken zusammenzukneifen. Ein echter Zyniker weiß wenigstens, dass er andere verachtet. Die Zyniker in den Chefetagen der Medien aber halten sich für Gesandte im Auftrag des Guten und Wahren. Die wenigen selbstkritischen Kollegen werden mit dem Hinweis auf die Quote abgebürstet. Wer das nun schon über Monate erlebt, sieht den Sinn seiner so fruchtlosen wie karriereschädlichen Wortmeldung nicht mehr ein. Erst wagt man sich nicht mehr aus der Deckung, dann resigniert man und verstummt. Was wir in den Anstalten beobachten, ist die verschärfte Form der Schweigespirale, wie sie vor Jahrzehnten bereits die Kommunikationswissenschafterin Elisabeth Noelle-Neumann beschrieben hat. Der Prozess des Mundtotmachens funktioniert in einer Ausnahmesituation dreifach. Gegen die Abweichler sprechen Mehrheit, Moral und Medizin.

III.

Anders als zu Noelle-Neumanns Zeiten wird die Schweigespirale durch die Angstspirale verstärkt und beschleunigt. Angst denunziert jede Kritik an den Verursachern der Angst. Das ist der infame Mechanismus der Pandemiker. Wer auf die Kollateralschäden verweist, auf die Spätfolgen für die aus Bewegungsarmut und Existenzangst steif Gewordenen – auch für das Gesundheitswesen – wird erbarmungslos als Coronaleugner denunziert. Und weil er dabei auch noch gegen den Konformitätszwang verstößt, steht er automatisch da, wo er nicht sein will und auch nicht hingehört. Oder um ein altes deutsches Sprichwort zu kalauern: Rechts ist da, wo der Dumme link ist. Spätestens wenn die Pandemie abgeklungen ist, werden die Medien überlaufen von herzzerreißenden Stücken über die Massenarbeitslosigkeit, die heillose Schuldenkrise, den Niedergang der Kulturlandschaft, die Verzweiflung gescheiterter Existenzen und die bereits heute zunehmende Zahl an Suiziden. Aber auch dann wird man nichts falsch gemacht haben wollen.

IV.

Dabei wird doch alles nur noch unübersichtlicher. Ausgerechnet Herr Professor Streeck hält den zweiten Lockdown nunmehr für angemessen, allerdings nur für die nächsten Wochen. Dann weiß er auch nicht. Ausgerechnet Herr Professor Drosten findet neuerdings die Schließung der Gastronomie unsinnig! Dabei wäscht er seine Hände in Unschuld. Es sei nicht die Wissenschaft gewesen, sondern die Politik. Wo er doch der Chefguru der Politik ist. Er versucht, sich einen schlanken Fuß zu machen. Aber es ist ein Signal. Die Virologen möchten nicht mehr Schuld sein. Also beginnen sie, sich von sich selbst zu distanzieren und das Gegenteil des Gegenteils des Gegenteils zu behaupten. Wie immer die Sache ausgeht und wann und mit wie vielen Gefallenen auf dem Schlachtfeld, man wird Recht gehabt haben. Lässt sich nicht auch mal der Körperteil zwischen den Ohren zusammenkneifen?

Anzeige