Tichys Einblick
Merkels Schweigen dröhnt

Das Schweigen zur Lage der Nation

Die Mehrheit der Deutschen ist in Staatsgläubigkeit, Angst vor der Freiheit des Individuums und konformistischer Bequemlichkeit aufs innigste vereint. Soviel zur Lage der Nation.

Trumps Rede zur Lage der Nation war genau dies: ein Ausdruck der Lage der Nation. Ein Ereignis, das den Zustand der US-amerikanischen Demokratie dokumentierte, so unterschiedlich man ihn beurteilen mag. Trump brachte das, das ihn an der Regierung bewegt und was er bewegen will, in einen diskursfähigen Zusammenhang, zeichnete ein Big Picture und stellte es zur Debatte. Dies ist nicht bloß ein Ritual, sondern ein für jede Demokratie unverzichtbares Vorgehen. Sollte man meinen. Nicht in Merkels Deutschland. Sie gibt schon seit Jahren keine Rede zur Lage der Nation. Schlimmer noch: Niemand scheint diese Rede zu vermissen. Nicht einmal das Parlament klagt sie ein. Ihr Schweigen sagt viel, aber nicht alles.

I.

Es fällt auf, dass Merkels Schweigen immer dann besonders laut dröhnte, wenn fundamentale Richtungsänderungen zu begründen gewesen wären. In der Eurokrise, bei der Energiewende und in der Wir-schaffen-das-Euphorie. Heute schweigt sie über die hinfällige EU-Reform, die Verkehrspolitik, den Kohleausstieg, die Sozialstaatspolitik, die Ordnungspolitik und überhaupt dazu, wie es weiter gehen soll am Ende der fetten Jahre. Sie verweigert bilanzierende, richtungsweisende Auskünfte zur Lage der Nation. Selbst der eigenen Partei. An der Abarbeitung der Migrationspolitik nimmt sie demonstrativ nicht teil. Und die CDU lässt es sich gefallen.

II.

Andere aus ihrer Kamarilla reden, ohne dass klar würde, in welchem Maße und mit welcher Wirkung Hand ans Fundament dieser Republik gelegt wird. Peter Altmaier war noch nie das harmlos-gemütliche Schweinchen Schlau in Merkels Kuschelzoo. Sondern einer der unverfrorendsten Schwätzer der Talkshowrunden, der noch den größten Unsinn der Regierung schön färbte. Sein Amt als Merkels Kanzleramtsminister interpretierte er als Propagandaminister. Sozialisiert und in der Wolle gefärbt als Mitglied der hohen EU-Bürokratie, zieht er nun blank, schwafelt als Wirtschaftsminister nicht ohne Absicht über die Verstaatlichung von Schlüsselindustrien. Sein Konzept der Industriepolitik macht Ludwig Erhards Erbe endgültig den Garaus. Der Mittelstand, seit jeher wichtigste Säule der Prosperität in Deutschland, hat nichts zu erwarten, schon gar nicht die überfällige Deregulierung, Entbürokratisierung, oder gar Unterstützung für eine leistungssteigernde Steuerreform. Der Saarländer orientiert sich vielmehr an der erfolglosen Linie zentralistischer französischer Industriesteuerung. Die Kanzlerin, deren ökonomischer Sachverstand auf einen Bierdeckel passt, lässt ihn gewähren, weil es sie nicht interessiert (nach ihr die Sintflut), und schweigt. Vermutlich aber tut Altmaier nur das, was er immer getan hat als Hofschranze: Er exekutiert ihren Willen. Wir wüssten es gern genauer, werden es aber nie erfahren.

III.

Von ökonomischer Kompetenz ist auch bei anderen keine Spur zu finden. Exkanzler Schröder hat es gerade seiner Parteivorsitzenden Andrea Nahles bescheinigt, und hält sie deshalb nicht für kanzlertauglich. Sie selbst sich schon, vielleicht gerade deshalb. Von Wirtschaft hatten schließlich auch Willy Brandt und Helmut Kohl, zu dessen Erbe der Euro um jeden Preis zählt, kaum eine Ahnung, geschweige denn Angela Merkel. Für diese Kanzler zählte stets der Primat der Politik. Nahles gräbt am Fundament der sozialen Marktwirtschaft, weil sie ihn mutwillig überfordert. Sie modelliert am Sozialuntertan – einst Erhards Albtraum. Ihre Sozialstaatsreform lockt mit Bürgergeld, Grundrente, Recht auf Arbeit zuhause und jeden Tag mit einer neuen unausgegorenen Idee. Die Begünstigten müssen jetzt nur noch SPD wählen. „Die Kassen sind voll, das Geld ist da.“ Die Kanzlerin müsste der SPD sofort entschieden widersprechen. Doch sie schweigt.

IV.

Die Schwarze Null schweigt auch zur Abkehr von allen Steuersenkungsversprechen. Der Soli wird bis Sankt Nimmerlein bleiben. Ein zusätzlicher Steueraufschlag für Gutverdiener wird obendrauf kommen, wetten dass, denn die Jahre exorbitant wachsender Steuerüberschüsse gehen zu Ende. Dazu Gebührenerhöhungen, wohin man auch schaut, allein die „Energiewende“ sorgt dafür. Finanzminister Olaf Scholz will selbst Kanzler werden und sich die der SPD verloren gegangenen Wähler kaufen. In aller Bescheidenheit: Gemessen an Merkel kann sogar Scholz Kanzler.

V.

Nur, dass sich die SPD die Hoffnung abschminken kann. Falls die Koalition am Tempolimit, an der Steuerpolitik, an der Sozialpolitik, an der Energiewende, an Kreislaufschwäche oder sonst etwas doch noch vorzeitig dahinscheiden sollte – wird es schwarzgrün am Horizont. Also noch finsterer. Die Mehrheit der Deutschen ist in Staatsgläubigkeit, Angst vor der Freiheit des Individuums und konformistischer Bequemlichkeit aufs innigste vereint. Soviel zur Lage der Nation.