Tichys Einblick
Kulturlos

Das missbrauchte Steak. Oder: Söder medium rare

In Deutschland gilt es als dekadent, für gutes Essen viel Geld auszugeben. Genau hier liegt der Hase im Pfeffer. Es wird der Fleischverzehr nicht bloß moralisch verurteilt. Esskultur und Geschmack als solche werden diskriminiert.

Der dämlichste Beitrag zur dämlichen Debatte um die steuerliche und generelle Diskriminierung von Fleisch kam vom bayerischen Ministerpräsidenten. Vermutlich war er gar nicht als ein solcher gedacht, aber der Kontext macht ihn dazu. Söder postete auf Instagram ein Bild von seinem Teller. Und dazu den Text: „Heute was Besonderes gegönnt: ein tolles Steak.“

I.

Man darf generell am Verstand von Politikern zweifeln, die soziale Netzwerke mit solch infantilen Botschaften fluten. In diesem Fall handelt es sich um einen Fall von Anbiederung. Doppelter Anbiederung. Nach der einen Seite winkt Söder mit der Botschaft: Ich schere mich nicht um den grünen Ökowahn, sondern lasse es mir ungeniert schmecken. Nach der grünen Gegenseite signalisiert er genau das Gegenteil: Nur ausnahmsweise gönne ich mir ein Stück Fleisch. Dahinter wiederum steckt widerwärtige protestantische Doppelmoral. Das schlechte Gewissen kommt dialektisch verbrämt zum Vorschein. Kein Genuss ohne Reue. Der Sünder stellt sich am liebsten selbst an den Pranger und kokettiert dabei mit seiner Todsünde: Völlerei in Tateinheit mit Klimazerstörung und Tierquälerei. Diese Scheinmoral aber wird durchschaut und ist damit vollkommen ungenießbar. Sie führt beim Konsumenten zum Erbrechen.

II.

Witzigerweise bei Konsumenten verschiedenster Art. Unter den zahlreichen Kommentaren im Netz: „Ein Stück Fleisch zu posten von einem gequälten Tier, was leben wollte, und das als Politiker, ist wirklich nur noch unterirdisch.“ Ich füge meinerseits hinzu: Ein Stück Fleisch zu posten, ist immer unterirdisch. Dieses Verhalten ist international als Foodporn bekannt. Foodporn ist im Netz ebenso verbreitet wie gewöhnliche Pornografie. Mehr als sechzig Prozent der Deutschen fotografieren ihr Essen, im Restaurant und noch häufiger auch Selbstgekochtes. Jeder vierte Knipser stellt die Fotos auch ins Netz. Mehr als die Hälfte der Befragten gibt an, die Fotos dienten vor allem der Selbstdarstellung. Zu was auch sonst? Ich zeige dir, was ich esse, und du siehst, wer ich bin. Exhibitionismus gehört zu jeder Art von Pornografie. Ist es nicht peinlich, in den sozialen Netzwerken Smartphonefotos von fetten Tortenstücken oder Steaks zu posten? Es ist nichts peinlich genug. „Essen ist das perfekte, nonverbale (und damit international verständliche) Symbol zur Inszenierung der eigenen Persönlichkeit, deshalb funktioniert es in sozialen Medien so gut“, meint Internetexperte Sascha Lobo. Dem schließt sich Söder an. Er schließt sich derzeit allem an, damit alle sich ihm anschließen. Söder kennt keine Peinlichkeitsgrenze. Auf diesem Gebiet ist er schmerzfrei.

III.

Typisch deutsch daran ist etwas anderes. In der anschwellenden Debatte um richtiges und korrektes Essen wird so getan, als gehe es allein um die Zurverfügungstellung von Nährstoffen für den deutschen Volkskörper. Essen ist jedoch mehr als Ernährung. Franzosen, Chinesen, Japaner, fast alle Völker auf der Welt wissen das. Aber die Deutschen tun so, als habe Ernährung vor allem höheren Zielen zu dienen, dem Klima, dem Tierschutz, allenfalls noch der Gesundheit. Die Frage des Geschmacks, Essen als wichtiger Bestandteil deutscher Leitkultur – dabei geht’s nun einmal auch um die Wurst – spielt kaum noch eine Rolle. Die kulinarische Dimension von Essen tritt in Deutschland ohnehin in den Hintergrund. Tierwohl und Fleischqualität sind aber nicht voneinander zu trennen. Wie Tiere gehalten werden, lässt sich schmecken. Hierzulande ist Geiz geil, auch an der Fleischtheke im Supermarkt. Deshalb ist der Versuch, mit der Steuerschraube zu arbeiten, hirnrissig. Die Deutschen würden nur noch mehr auf Billigprodukte achten. Bewusstsein für Qualität zu entwickeln, müsste Bildungsauftrag und Kern der Debatte sein. Leute, esst gutes Fleisch! Im Zweifel lieber weniger, dafür besseres.

IV.

Das mangelnde Bewusstsein für Qualität unterscheidet zum Beispiel Deutsche und Franzosen. In Frankreich ist Fleisch im Schnitt teurer und besser. In Frankreich ist es aber auch nicht lebensgefährlich, wenn Politiker sich als Feinschmecker outen oder gar ungeniert Gänseleberpastete und Hummer mögen. Sie haben sich hierzulande gefälligst zu Currywurst und Kartoffelsuppe zu bekennen. In Deutschland gilt es als dekadent, für gutes Essen viel Geld auszugeben. Genau hier liegt der Hase im Pfeffer. Es wird der Fleischverzehr nicht bloß moralisch verurteilt. Esskultur und Geschmack als solche werden diskriminiert.

PS.

Dieses Thema beschäftigt mich seit Jahren. Dazu erscheint im Oktober mein Buch über deutsche Esskultur: Vorwiegend festkochend. Kultur und Seele der deutschen Küche im Penguin Verlag. Eine Kultur- und Mentalitätsgeschichte. Sie schließt die Frage ein, wie sich die Esskultur verändert von der kleinen Eiszeit am Ende des Mittelalters bis zur Klimahysterie heute. Demnächst mehr dazu an dieser Stelle.

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