Tichys Einblick
Zivilisationsfeindlichkeit

Bleiben Sie gesund!? Warum wir längst alle krank sind.

Wir führen keinen Krieg gegen das Virus, sondern gegen unsere eigene Zivilisation.

In anderen Gegenden wird allmählich wieder ans Leben gedacht statt an Sterbeziffern. Nicht bei uns. Unsere Regierenden veranstalten Maßnahmenverlängerungsorgien. Die deutsche Virokratur ist vernagelt. Sie vernichtet Millionen Existenzen. Sie macht immer noch krank durch Freiheitsentzug und soziale und kulturelle Deprivation. Die Floskel „Bleiben Sie gesund!“ wird zum Hohn. Denn das angestrengte Gesundbleiben macht krank, macht mehr Menschen krank, als das Virus krank machen kann. Aber längst haben wir eine Zweiklassenmedizin. Es zählt nur Covid-19. Alle anderen Gebrechen – ob an Leib oder Seele – haben das Nachsehen. Und gegen die Krankheit, in die wir Gesundheitsanbeter die Zivilisation gestürzt haben, ist das Virus tatsächlich nur eine Grippe.

I.

Hätten die Urmenschen nicht mit dem Feuer gespielt, säßen wir noch heute in Höhlen und fräßen rohes Fleisch. Das Tier wurde zum Menschen, als ihm das Garen der Nahrung erlaubte, seine Energie statt überwiegend für´s Verdauen für´s Denken zu verwenden. Die Verwandlung der Materie mittels einer gefährlichen Technologie markiert den Anfang der Zivilisation. Der Mythos von Prometheus erzählt davon.

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Der Titan Prometheus, unter dessen Schutz die Menschen stehen, überlässt die besten Stücke der Opfertiere nicht den Göttern, sondern den Menschen. Zeus nimmt ihnen zur Strafe das Feuer. Prometheus raubt es und bringt es zurück. Deshalb wird er an den Fels geschmiedet, wo ein Adler von seiner Leber frisst, bis der Held Herakles ihn erschießt – Sohn einer Sterblichen. Ohne Auflehnung gegen die Natur und die Götter, ohne Helden und ohne Opfer ist Zivilisation nicht möglich. Die große Geschichte menschlicher Kultur ist eine Geschichte der Emanzipation von der Natur. Und Emanzipation ist immer Kampf.
II.

Dass gerade die Linken das vergessen haben, gehört zu den Paradoxien unserer Zeit. Lammfromm geben sie sich dem behütenden Obrigkeits- und Nannystaat hin und fressen ihm aus der Hand. Sie halten Wachstum, Entwicklung für verhandelbar. In der dekadenten Verachtung von Wohlstand ist ihnen das Virus willkommen. Ging ja nicht so weiter. Und hoffentlich wird es nie mehr so sein wie zuvor. Dass diese Einstellung auch die Kultur ruiniert, wird offenbar als Kollateralschaden akzeptiert. Warum sonst protestieren so wenige Künstler gegen das Notstandsregime? Kaum Ausnahmen: Der Regisseur Frank Castorff zählt dazu, der sich nicht von einer Kanzlerin vorschreiben lassen möchte, wie oft er sich die Hände wäscht. Ist es so abwegig, auf den Gebrauch des eigenen Verstandes zu bestehen?

III.

Nein, wir führen keinen Krieg gegen das Virus, sondern gegen unsere eigene Zivilisation. Gegen das Virus setzen wir nur auf Appeasement. Wir verstecken uns vor ihm. Weichen zurück in die Höhlen und nagen an den Knochen, den die Führer uns Feiglingen übrig lassen. Die Geschichte der Menschwerdung scheint in Vergessenheit geraten zu sein. Nicht nur, weil der Niedergang der Bildung achselzuckend hingenommen wird. Sondern weil die Menschheit offenbar auch vergessen hat, was Menschsein bedeutet. Das ist die schockierendste Erkenntnis der sogenannten Viruskrise.

IV.

Neu ist diese Erkenntnis nicht. Vor allem Deutschland hat schon länger beschlossen, das Feuer nicht weiter zu zähmen. Es hat aus einem Seebeben vor Japans Küste geschlossen, die deutschen Kernkraftwerke seien ein nicht länger zu verantwortendes Risiko. Das ist zwar hirnrissig – doch mehrheitsfähig. Seither ist es ein ganz blödes, wenn auch tausendfach wiederholtes Argument, unsere Kanzlerin sei – Gottseidank – Naturwissenschaftlerin. Prometheus hat es mit den Göttern aufgenommen. Wir aber erheben Virologen zu Ersatzgöttern. Und Klimaforscher. Unterwerfen uns ersatzweise und ohne weitere Diskussion Studien und Statistiken, als seien es in Stein gehauene Gesetzestafeln, die Moses Merkel seinem geschundenen Volk um die Ohren schlägt. Wie lächerlich wir sind!

V.

Zerstören gilt offenbar als gesund. Wir glauben an die gleichsam päpstliche Unfehlbarkeit von Wissenschaftlern, die nur wissen, wie wenig sie wissen. Aber das nützt ihnen nichts. Da kommen sie nicht mehr heraus. Die Unfehlbarkeit der Wirrologen ist nun Gesetz. Dem setzen verwirrte Politiker noch die Krone auf, indem sie den Opfern – und das sind WIR alle – den Irrglauben predigen, die materielle Basis unserer Zivilisation, die Realwirtschaft, sei versicherbar. Wenn die Wirtschaft nichts mehr abwirft, gehen wir alle vor die Hunde. Nicht nur unser Wohlstand – auch die geistige Basis der Zivilisation, die Kultur.

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Es glaube doch niemand, um nur ein Beispiel zu nehmen, dass von den mehr als hundert Opernhäusern im deutschsprachigen Raum auch nur die Hälfte übrig bleibt, wenn die Häuser auf nicht absehbare Zeit geschlossen sind, und sich danach systematisch verängstigte Risikogruppen nicht mehr hinein wagen. Warum überlässt man es nicht der Verantwortung des Individuums, ob es in ein Konzert gehen muss oder nicht. Ja: Muss. Es gibt menschliche Wesen, die das für ihre Gesundheit brauchen wie Vitamine. Aber vom Substanzverlust abendländischer Kultur spricht niemand in den Talkshows. Es scheint irrelevant zu sein. Hauptsache jeder bleibt gesund. Das aber ist krank. Es ist die tödliche Krankheit, die unsere Zivilisation erfasst hat.
VI.

Wie ist dieser Wertewandel zu begreifen? Wir halten es für human, wenn die körperliche Unversehrtheit einer kleinen, gefährdeten Minderheit mehr zählt als der zivilisatorische Ruin der Mehrheit. Aber dann bitte konsequent! Noch immer sterben Menschen, weil die Mehrheit der potentiellen Organspender darüber selbst entscheiden darf. Wenn die Entmündigung, die Enteignung, die Suspendierung grundlegender Rechte im Falle der Epidemie unwidersprochen akzeptiert wird, weil die Gesundheit jedes einzelnen mehr zählt als die Freiheit aller, dann müsste noch viel mehr verboten werden: Autofahren, alkoholische Getränke, Auslandseinsätze der Bundeswehr, Blasmusik …

VII.

Zivilisation ist der Begriff, der für die Befreiung des Menschen von der Unterdrückung durch Kräfte der Natur steht. Weil das so ist, ist Freiheit nicht ohne Risiko zu haben. Risiken sind die Bedingungen für Freiheit. Doch statt dessen herrscht in diesem Land moralisierende Zivilisationsfeindlichkeit. Das ist des Pudels Kern: Wir kämpfen nicht mehr für unsere Errungenschaften, wie suspendieren sie, stellen sie in Frage und halten das am Ende für die Blüte unserer Humanität. Wir wollen nicht mehr Menschen sein, sondern Geschöpfe, angepasst an die Bedingungen jener Natur, zu der das Virus zählt. Hätten unsere Vorfahren nur gesund bleiben wollen, hätten sie nicht mit dem verzehrenden Feuer gespielt. Wir Heutigen müssen es wieder lernen.

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