Tichys Einblick
Herles fällt auf

Aufruf zum Bullshitfasten

In diesem Jahr war der Aschermittwoch der erste Wahlkampfhöhepunkt. Das rhetorische Duell hieß: Schulz gegen Seehofer. Geld ausgeben gegen Steuern senken. Witz haben gegen Witz sein. Es ist nicht unbedingt dasselbe.

„Die größte Gefahr für die Wahrheit ist nicht die Lüge, sondern der Bullshit.“ Norbert Bolz hat Recht, weshalb es mehr Bullshit als Lügen gibt. Ich füge hinzu: Nicht die Unwahrheit ist die größte Gefahr für die Demokratie, sondern die allgemeine Akzeptanz des Unsinns.

I.

Bis zum Aschermittwoch schwieg die politische Klasse und überließ die Politik den Narren. Schon aus Verwechslungsgefahr. Die Narren „erledigten“ die Politik. Um es positiv auszudrücken: Politiker haben unter dem Strich mehr Humor als die Humoristen. So einfältig wie die „Themenwagen“ der Rosenmontagsumzüge und die meisten Büttenreden der Fernsehsitzungen Politik abgehandelt haben, ist sie denn doch nicht. Merkel, die Trump enthauptet: Das ist ungefähr so komisch wie der Spruch von Katja Kipping, Seehofer sei der Trump Bayerns. Mit dem Witz ist es wie mit Fake News. Beide dürfen die Realität nicht ganz verfehlen. Ab Aschermittwoch wird zurückgeschossen. Jetzt halten uns wieder die Politiker zum Narren. Ist auch nur selten zum Lachen. Eine gute Aschermittwochsrede sollte nicht mit Gepolter für alkoholisiertes Bierzeltpublikum verwechselt werden. Polemisieren ist eine hohe Kunst, die leider kaum noch jemand beherrscht.

II.

Die in Niederbayern noch lebendige Tradition geht zurück auf die barocke Bußpredigt, für die etwa der schwäbische Augustinermönch Abraham a Santa Clara steht, bürgerlich Johann Ulrich Megerle, der es mit seiner Sprachgewalt zum Wiener Hofprediger brachte, und – kein Gegensatz – zu einem Hauptvertreter der sogenannten Narrenliteratur, der satirisch übertreibenden Auseinandersetzung mit menschlichen Schwächen wie Völlerei und Habgier. Predigt als Satire. Worte wie Geißelhiebe, nur dass der Schmerz zugleich zur Lust wird. So sollte es auch auf der politischen Aschermittwochbühne sein. Wie zu Zeiten von Franz Josef Strauß. Wie weit die CSU sich von diesen Wurzeln entfernt hat, ist schon daran zu erkennen, dass ein Privat-Fernseh-Moderator engagiert werden musste, um die Show in Schwung zu bringen. Sic transit gloria mundi.

III.

In diesem Jahr war der Aschermittwoch der erste Wahlkampfhöhepunkt. Das rhetorische Duell hieß: Schulz gegen Seehofer. Geld ausgeben gegen Steuern senken. Witz haben gegen Witz sein. Es ist nicht unbedingt dasselbe. Bei Seehofer bin ich mir noch nicht sicher. Er kenne niemand, der geeignet sei fürs Kanzleramt außer Angela Merkel, rief er, nachdem er eine Stunde lang ihre Politik kritisiert hatte. Seit Merkel nach Worten sucht, ist alles, was Töne spuckt, schon Musik. Davon profitiert Martin Schulz. Ein zündender Redner ist er nicht. Aber er wirkt authentisch, also mit sich selbst eins. Auch das hat nichts zu sagen seit Merkel, die mit nichts eins ist als mit sich selbst. Sie hat den einst hohen Wert des Authentischseins diskreditiert. Besser wäre ein Kanzler, der seine Rolle begreift. Irgendwo im Nordosten tönte auch sie herum, nur hörte niemand genau hin.

IV.

Fastenzeit. Wir werden jetzt jeden Tag zum Verzicht aufgefordert. Auf alles, was uns lieb sein könnte wie zum Beispiel Autofahren. Ich schlage vor: Bullshitfasten. Wenigstens bis Ostern. Auf die komplette Produktion zu verzichten, wäre zu viel verlangt. Schon einmalige Sättigung wäre hilfreich. Politiker schlagen jede zweite Talkshow aus. Sie verzichten hilfsweise darauf, auf ihr Gewissen zu verzichten. Fraktions- und Parteidisziplin sind während des Bullshitfastens suspendiert. Und wir lüften unsere Echokammern zum Frühjahrsputz, entrümpeln unsere Köpfe von abgestandenen Denkschablonen.

V.

Es waren mehr Leute bei Schulz als bei Seehofer. Noch mehr Zuhörer hätte auf deutschem Boden derzeit nur Erdogan. Merkel würde ihm einen Wahlkampfauftritt in Deutschland nicht verweigern. Ihren Regierungssprecher ließ sie ausrichten, dass die Versammlungsfreiheit das höhere Gut sei. Wie wäre es mit einem Hinweis auf die Versammlungs- und Meinungsfreiheit in der Türkei? Darf in Deutschland Propaganda für die Abschaffung der Demokratie und gegen Menschenrechte gemacht werden? Und der Wahlkampf eine anderen Landes? Nur weil es im Fall der Türkei offenbar Gewohnheitsrecht geworden ist? Realpolitik oder Schwäche? Es zeigt sich das Dilemma, in das die Kanzlerin ihr Land manövriert hat. Nicht bloß moralisch. Das Problem werden bald die türkischen Flüchtlinge sein, denen Europa politisches Asyl kaum verweigern kann. Und es wird immer noch getan, als stünde die Integration der Türkei in die EU zur Debatte. Sie ist längst kein Druckmittel mehr. Das Problem reicht weiter: Wie soll eine Diktatur Mitglied der NATO, also der westlichen Wertegemeinschaft bleiben können?