Tichys Einblick
Krisensucht

Besessen von Angst – Die prolongierte Hysterie

Die Dauerkrise kennzeichnet den Zustand der deutschen Demokratie. Dies ist der wahre Ausnahmezustand. Wir wollen ihn nicht beenden, weil wir ihn nicht beenden können. Corona hat diesen Zustand nur verschärft. Die meisten Deutschen sind süchtig nach Krise.

Selbst die offiziellen Zahlen signalisieren längst Entspannung. Dennoch wurde die „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ gestern ohne Not um drei Monate verlängert. Die Mehrheit des Parlaments bestätigte erneut die eigene Entmachtung und die weitere Beschädigung der Grundrechte der Bürger. Die Sonderbefugnisse des heillos überforderten Gesundheitsministers wurden prolongiert. Den Grünen ist zuzustimmen, wenn sie die „Stümperei“, den „regulatorischen Saustall“ und die Milliardenverschwendung der Regierung beklagen. Und dennoch stimmten auch sie der Verlängerung zu. Das kann nur eines bedeuten: Der Ausnahmezustand gilt nicht einer Sachlage. Er ist Selbstzweck geworden. Er gilt zwar offiziell erst einmal „nur“ bis kurz vor der Bundestagswahl, aber dann steht ohnehin die nächste Virensaison vor der Tür, und eine vierte Welle wird die Ängste steigern und die Regierung – welche auch immer – überre(a)gieren lassen.

I.

Der staatlich verfügte Dauerausnahmezustand entspricht dem mentalen Zustand einer hysterischen Gesellschaft. Untrügliches Kennzeichen einer hysterischen Gesellschaft ist, dass sie sich generell in einem Dauerausnahmezustand fühlt – im Krisenmodus. Politik und Gesellschaft entsprechen einander in dieser Hinsicht. Der versagende Staat braucht nichts dringender als Bürger, die sich aus Angst entmündigen lassen, sich nach Vater Staats Sicherheitsmaßnahmen regelrecht sehnen. Der hysterische Untertan ist der genehme Untertan. Er glaubt, was die Kanzlerin nun von sich gibt: Der Rückgang der Ansteckungszahlen bestätige die Richtigkeit aller Maßnahmen. Das ist nach den Regeln der Logik blühender Unsinn. Aus Angst, die er konsequent schürt, missbraucht der Staat seine Macht. Aus Angst begrüßt der Bürger die Unverhältnismäßigkeit des Ökonomie, Bildung, Kultur und Freiheit zerstörenden Notstandsregiments. Merkel lenkt ab vom Versagen der Politik nicht nur beim Bettenskandal und beim Impfmanagement. Und so erscheint dem hysterischen Untertanen am Ende der versagende Staat perverserweise als starker Staat. Als das, woran er sich klammert.

II.

Im Übrigen kann von einer Normalisierung des Lebens noch keine Rede sein. Stillschweigend hat sich die Koalition im Null-Covid-Lager verkrochen. Schikanöse Impfbürokratie, Testzwang nebst Testbürokratie und Testkosten (einer vierköpfige Familie werden nur für PCR-Tests für Hin- und Rückreise in einem einzigen Auslandsurlaub an die 800 Euro abgeknöpft), selbst der Theaterbesuch und der Einkaufsbummel werden einem nach wie vor schwer gemacht. Sinn solcher Vorschriften ist vor allem die Erzeugung eines moralischen Drucks. Vor Urlaub im Ausland wird ja bisher auch noch immer ausdrücklich gewarnt. Man soll die alte Freiheit allenfalls mit Angst vor Mutationen im Nacken in Anspruch nehmen. Das ist der wahre Dauerzustand: Leben in Angst. Nach Corona kommt Corona plus Klima. Die Dauerkrise kennzeichnet den Zustand der deutschen Demokratie. Dies ist der wahre Ausnahmezustand. Wir wollen ihn nicht beenden, weil wir ihn nicht beenden können. Corona hat diesen Zustand nur verschärft. Die meisten Deutschen sind süchtig nach Krise.

III.

Hier zeigt sich, was diese Kanzlerin über die Jahre so unantastbar hat werden lassen. Wer zum Beispiel das neue Buch des sehr genau beobachtenden Reporters Robin Alexander – „Machtverfall“- liest, wird zu keinem anderen Schluss kommen können: Merkel ist vor allem immer eins gewesen – besessen von Angst. Ihre „Leistung“ bestand darin, angstbesetzt zu handeln ohne angstvoll zu wirken. Der phobische Charakter der Dr. Merkel offenbart sich in der Corona-Krise, aber er war schon vorher evident. Sie ist eine Hysterikerin, die ihre Hysterie erfolgreich verbergen konnte. Aber auch schon der panische Kernenergieausstieg war hysterisch, und er war wiederum nur in einer phobischen Gesellschaft möglich.

IV.

Wir haben es hier vermutlich mit einem Dekadenzsyndrom mancher, wenn auch nicht aller westlicher Gesellschaften zu tun. US-Präsident Biden lässt noch immer keine Europäer ins Land. Mit Corona ist das nicht mehr zu rechtfertigen. Anderswo ist man zwar nicht leichtsinnig, doch trotz gemessen an Deutschland weit höherer Inzidenz bei weitem gelassener. Ich war gerade mal weg – in Griechenland, dessen traditionelle Gastlichkeit auch hinter Masken nicht geschrumpft ist. Leute reist! Auch wenn Merkel und ihre Drostens und Brinkmanns mit den Zähnen knirschen und Reisen kompliziert machen. Man kommt als ein anderer zurück und kann die neue „Normalität“ zuhause aus kynischer Distanz (eine Errungenschaft griechischer Philosophie) leichter ertragen. Bei mir hat die Therapie gewirkt. Blanke Wut hat sich in Gelächter verwandelt. Ich wusste, dieses Land war mir schon länger verloren gegangen. Aber jetzt gewinne ich auch noch Abstand. Mal sehen, wie lange das angenehme Gefühl trägt.