Tichys Einblick
Die Staatskrise

Ampelkoalition im Streckbetrieb

Staatskrise ist ein mildes Wort. Eigentlich müsste die FDP raus aus der Regierung. Hier konkurriert Selbstachtung gegen Selbsterhaltungstrieb. Also regiert die Partei mit der nostalgischen Bezeichnung „Die Liberalen“ lieber schlecht als gar nicht mit. Doch selbst, wenn sie ausstiegen – was wäre die Folge?

Das allseits hochgelobte „Machtwort“ des Kanzlers scheint nicht mal auf eigenem Mist gewachsen zu sein. Die Kontrahenten Lindner und Habeck hatten es mit ihm vereinbart, vielleicht sogar darum gebeten, um sich ihrerseits nicht länger mit der Causa herumschlagen zu müssen. Tatsache ist, dass das Basta des Kanzlers zu spät kam und vorgaukelt, es sei eine zukunftstaugliche Lösung gefunden worden.

I.

Tatsächlich bestätigt der Kanzler nur das vermeintlich endgültige Aus der Kernenergie zum denkbar unsinnigsten Zeitpunkt – mitten in der Energiekrise ohne Aussicht auf deren Ende und noch vor dem Winter 2023/24. Aus ein paar Wochen Streckbetrieb von drei Meilern machten die Ampelparteien einen Popanz. Die Grünen mussten trotz anders lautender Nebengeräusche der hauseigenen Gespenster kaum zurückstecken. Den Liberalen nimmt die gekünstelte Zufriedenheit niemand ab. Es ist nichts gewonnen, nur ein paar Wochen Zeit mehr sind verschwendet. Die Ampelkoalition befindet sich bereits ein Jahr nach der Wahl im Streckbetrieb. Neue Brennstäbe für das Unternehmen sind nirgends in Sicht.

II.

Der Beifall für den Richtlinienkompetenztrick (ein Kaninchen zaubert sich selbst aus dem Hut) steht in Widerspruch zur Lage. Diese Lage wird durch den Trick zwar noch besser erkennbar (das Kaninchen nimmt sofort wieder im Hut Deckung), doch das schert das Publikum nicht. Die Parteien des Ampelbündnisses sind so ineinander verhakt, dass sie nicht mehr auseinander kommen, ohne sich dabei selbst zu verletzen, aber auch ohne den sich beschleunigenden Verfall des Landes aufhalten zu können. Es geht schon längst nicht mehr nur um den Atomstreit, sondern darum, dass eine einst führende Industriegesellschaft aus überwiegend eigener Unfähigkeit verkommt. Es ist nur leider zu bezweifeln, dass das Publikum mitbekommt, dass es dem eigenen Niedergang applaudiert.

III.

Für diesen Befund ist Staatskrise ein mildes Wort. Eigentlich müsste die FDP aus der Regierung aussteigen. Hier konkurriert die Selbstachtung gegen den Selbsterhaltungstrieb. Also regiert die Partei mit der nostalgischen Bezeichnung „Die Liberalen“ lieber schlecht als gar nicht mit. Doch selbst, wenn sie aussteigen würde – was wäre die Folge? Friedrich Merz könnte dann nur mit den Grünen eine neue Regierung bilden. Der FDP wäre es schlechterdings verwehrt, mit der Partei, die sie zum Ausstieg veranlasst hat, weiter zu koalieren – eben bloß mit einem anderen Kanzler. Das Land käme vom Regen in die Traufe. Oder anders formuliert: Der Schwanz würde nur mit einem anderen Hund wackeln.

IV.

Mit dem Ausscheiden der FDP würde Scholz immerhin die Mehrheit verlieren. Und er hätte auch zusammen mit Grünen, Restlinken und einigen versprengten fraktionslosen Abgeordneten keine Kanzlermehrheit. Das heißt: Bis zur regulär nächsten Wahl im Herbst 2025 würde dieses Land in sich dramatisch verschlechternder Lage mehr oder weniger unregierbar sein. Ist es mit der Ampel ja auch. Bestenfalls gelänge Scholz eine Art Minderheitsinterregnum, das von Fall zu Fall um Mehrheiten ränge. Die Zustimmung der Wählermehrheit hat Scholz ohnehin bereits verloren. Wenn am Sonntag Wahlen wären … Wahlen scheut die Ampel wie der Teufel das Weihwasser. Siehe Berlin.

V.

Neuwahlen würden die Lage ja auch nur verbessern, wenn die Grünen dabei drakonisch bestraft und verlieren würden. Danach sieht es trotz aller Habeckiaden nicht aus. Offenbar ist es immer noch allzu schön, zuzusehen, wie er erklärt, was er nicht versteht. Dramatische Einbußen drohen den Grünen nur, falls sich im kommenden oder übernächsten Winter die Dunkelflaute, die Kälte in den Wohnzimmern, die Inflation und die Wirtschaftskrise der Stimmung bemächtigen. Aber wer will das schon? Es ist ein zauberhaftes Paradox: Allein der Klimawandel, nur ein sehr milder Winter, kann die Grünen retten. Wer kennt die nächtlichen Fürbitten Habecks? Lieber Gott, lass es wärmer werden!

VI.

Aber selbst wenn Väterchen Frost die Deutschen zur Vernunft brächte – es würde nicht ausreichen, die grünen Ideologen in die Opposition zu verbannen. Was nach wie vor fehlt, ist eine bürgerlich-liberale Kraft, die nicht bloß hinter dem Zeitgeist her eiert. Verloren gegangen ist ein Staat, der funktioniert und Vertrauen verdient. Verschwunden eine Bürgerschaft, die nicht konformistischen Weltrettungsparolen folgt. Populismus, welcher Herkunft auch immer, wird aus der Staatskrise nicht herausführen.

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