Tichys Einblick
Helds Ausblick 1-2019

Wie man eine Industrienation zugrunde richtet

Mit der „Verkehrswende“ gegen das Automobil und der „Energiewende“ gegen Kern- und Kohlekraftwerke wird Deutschland – nach der Migrationskrise – in eine zweite Existenzkrise gestürzt.

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Das Jahr 2019 beginnt, wie das Jahr 2018 zu Ende gegangen ist. Schritt für Schritt zeigt sich ein Krisenkomplex, der in seiner Größe und Wirkung mindestens so einschneidend für die Errungenschaften Deutschlands ist wie die Migrationskrise. Es geht dabei nicht um bestimmte Branchen mit ihren Sonderproblemen, sondern um die Identität einer Industrienation überhaupt mit ihrer spezifischen Arbeitsweise und Wertschöpfung, auch mit ihren Leidenschaften und ihrer Fähigkeit, Belastungen zu ertragen. Das wird an dem Doppelangriff deutlich, dem gegenwärtig gleich zwei grundlegende Industriesektoren ausgesetzt sind: im Verkehrsbereich wird das Grundelement „Automobil“ (sowohl als Diesel als auch als Benziner) angegriffen, im Energiebereich werden die großen Kraftwerke (sowohl die Kernkraftwerke als auch die Kohlekraftwerke) als stabile Träger der Grundlast-Versorgung angegriffen, ohne dass vergleichbar leistungsfähige Ersatzträger zur Verfügung stehen.

Das ganze Ausmaß des Krisenkomplexes ist erst im Laufe der vergangenen Monate und Wochen deutlich geworden. Bislang konnte es noch so erscheinen, als handele es sich um sehr begrenzte Eingriffe, die einzelne, besondere Technologien betrafen (die Kernenergie, den Diesel), doch jetzt ist klar, dass sich vor unseren Augen eine viel umfangreiche Delegitimierung der Industrie vollzieht. Nun sollen auch die Kohlekraftwerke abgeschaltet werden, die in Deutschland ungefähr 40 Prozent der Versorgung tragen. Und nun soll bei den Automobilen auch die Nutzung von Benzinmotoren drastisch eingeschränkt werden – die Motoren, die im vergangenen Sommer zum Höhepunkt der „Dieselkrise“ den Bürgern als Ausweg dargestellt wurden. Und dieser Generalangriff auf das Automobil als Massenverkehrsmittel wird in der bürokratisch-neutralen Verkleidung von Grenzwerten vorgetragen, die als bloßes Detail erscheinen und es dadurch ermöglichen, die verheerenden Folgen dieser Werte für ein bezahlbares Autofahren der Autoindustrie in die Schuhe zu schieben.

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Die diskrete Diktatur der Grenzwerte (I) – Damit wird erst jetzt wirklich deutlich, dass die Industriepolitik, die hier getrieben wird, eine fundamentalistische Politik ist, die wirklich an die Substanz der Industrienation Deutschland geht und sie in eine existenzielle Krise stürzt – denn sie hat keinen Ersatz zur Hand, der er nur annähernd die Leistungen der abgeschalteten Verkehrs- und Energieträger erbringen könnte. Aber diese fundamentalistische Industriepolitik fragt gar nicht ernsthaft nach einem Ersatz. Sie übernimmt diese Verantwortung für die Zukunft des Landes gar nicht. Ihr genügt der Hinweis auf „Höheres“. Das soll zum Beispiel „das Weltklima“ sein, genauer: eine bestimmte Gradzahl bei der Durchschnittstemperatur auf der Erde, jenseits derer angeblich die „Unbewohnbarkeit des Planeten“ droht. Oder eine bestimmte Konzentration von Stickoxyden oder Kleinstpartikeln (Feinstaub), die angeblich zu einer Luft führt, die „krank macht“ oder gar „zum Tode führt“.

Es sind vage, grenzenlose Worte, mit denen man Grenzwerte, die bis ins Kleinste definiert sind, legitimieren will. Diese scheinhafte, bürokratische Präzision soll darüber hinwegtäuschen, dass die Frage, wovon ein Land leben soll, wie seine Bürger ihren täglichen Strombedarf und ihre täglichen Wege bewältigen sollen, damit gar nicht beantwortet wird. Diese Frage kommt nicht vor. Sie hat vor den angeblichen „höheren“ Weltfragen ihr Recht verloren. An diesem Punkt wird die Politik ideologisch. Verantwortung wird durch Gesinnung ersetzt. Und so kann eine Demontagepolitik, die immer nur sagt, was nicht geht (was „unerträglich“ ist und was „nicht sein darf“) sich ausbreiten.

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Die diskrete Diktatur der Grenzwerte (II) – Diese Politik ist im Ergebnis diktatorisch und das wird jetzt deutlich. Es ist im Laufe des Jahres 2018 immer deutlicher geworden und das Jahr 2019 wird das noch stärker offenbaren. Am Ende stehen Fahrverbote. Die bürokratisch-kalten Grenzwert-Ziffern werden, nicht zuletzt mit Hilfe einer gegenüber den Folgen „blinden“ Grenzwert-Justiz, exekutiert – auch wenn Familien darüber zerbrechen. Auch wenn sie ihre Wohnstandorte, in die sie viel investiert haben und die für sie Heimat sind, aufgeben müssen. Auch wenn die Arbeitswege für Handwerker oder Gesundheitsdienste nicht mehr zu bewältigen sind.

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Kalt abgewickelt (I) – Wenn Menschen auf unendlichen Wegen zur Arbeit, zur Schule, zum Einkauf, zum Arzt, zum Sport am Ende ihrer Kräfte sind, wenn sie mit immer neuen Ausfällen, Umsteigezwängen und Anschlussproblemen konfrontiert sind, wenn sie in überfällten Bahnen, auf kalten Bahnsteigen, mit schweren Taschen, Kinderwagen oder Getränkekisten nur mit äußerster Anstrengung die Wege meistern, dann zuckt die Grenzwert-Politik nur mit den Achseln: „So ist halt die Rechtslage“, „Das ist ein wissenschaftlicher Wert“, „Da können wir nichts machen“.

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Kalt abgewickelt (II) – Die neue Industriedemontage dekretiert nur in den seltensten Fällen direkte die Schließung von Betrieben und Anlagen. Sie ist keine Demontage, wie wir sie aus Kriegs- und Nachkriegszeiten kennen, bei der ganze Anlagen abgerissen und weggeschleppt wurden. Nein, die heutige Demontage der Industrienation Deutschland kommt durch die Hintertür: Die Politik beschließt ihre „Grenzwerte“ und pocht nur auf unbedingter (nicht verhandelbarer) Geltung. Sollen doch die Unternehmen, Einrichtungen oder Haushalte sehen, wie sie damit klarkommen. Die Grenzwerte marschieren, und wenn die ganze Welt zugrunde geht. Auf den ersten Blick (vor allem bei der Beschlussfassung) sehen dieser Grenzwerte immer klein, harmlos und sogar „menschenfreundlich“ aus. So ein Grenzwert ist doch gut gemeint, soll sich die Öffentlichkeit denken. Und da er ein einzelner, kleiner Parameter ist, denkt man leicht, dass es in einem großen Betrieb doch leichtfallen müsste, eine Lösung zu finden. Dass Spielräume für Anpassungen geben müsste, um ein solches „Detail“ zu verarbeiten. In Wirklichkeit gibt es Grenzwerte, die die gesamte Produktion und Wertschöpfung einer Branche aushebeln können. Das ist jetzt im Verkehrs- und Energiebereich bei bestimmten pauschalen Umwelt-Grenzwerten (bezogen auf die Grundelemente Luft, Wasser, Boden) der Fall.

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Die gefährliche Pauschalität der Umwelt-Grenzwerte – Gerade dort, wo sich Grenzwerte auf die universellen Grundelemente Luft, Wasser, Boden beziehen und eine bestimmte „Umweltgüte“ vorschreiben, können sie – bei willkürlicher Ansetzung – eine verheerende Wirkung haben. Durch scheinbar „kleine“ Regelungen können ganze Industriezweige zugrundgerichtet werden. Der Begriff „saubere Luft“ ist für das wirkliche Leben und Arbeiten viel zu vage, aber „sauber“ ist zugleich ein absolut wertender Begriff – der die Dinge nach einem Schwarz-Weiß-Schema (sauber-schmutzig) unterteilt. Im Namen von solchen apodiktischen Wertungen kann ein gründlicheres Zerstörungswerk verrichtet werden als es mancher Krieg und manche totalitäre Planwirtschaft geschafft haben.

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Die Diesel-Kampagne als Lehrstück – Dies Vernichtungswerk können die Grenzwert-Setzer dann noch „der Industrie“ (vorzugsweise den Großkonzernen) in die Schuhe schieben. So geschah es bei der Kampagne gegen die angebliche „Betrügerei der Automobilkonzerne“ – unter eifriger Beteiligung der Bundeskanzlerin. Die Kampagne mobilisierte das Vorurteil, dass es für die Konzerne eigentlich ein Leichtes gewesen wäre, die Dieselgrenzwerte zu erfüllen, und dass sie dies willentlich um eines Extraprofits willen umgangen hätten. In Wirklichkeit waren die Grenzwerte so einschneidend, dass eine Einhaltung zu marktfähigen Kosten mehr als fraglich war. Den Konzernen ist vorzuhalten, dass sie das nicht offen gesagt haben und offen in einen Kampf um vernünftige Grenzwerte eingetreten sind. Dieser Opportunismus ist nach hinten losgegangen. Und nun zeigt sich, dass eine offene Auseinandersetzung um vernünftige Grenzwerte unvermeidlich ist und die Industrie ihre Existenz verspielen kann, wenn sie sich dieser (politischen) Auseinandersetzung nicht stellt.

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Und nun die Stilllegung aller Kohlekraftwerke – Die Autokrise ist im vollen Gange, da wird schon das nächste große Demontage-Unternehmen beschlossen: die Stilllegung aller Kohlekraftwerke. Wenn man die gesamte Energiepolitik des letzten Jahrzehnts zusammenfasst (also die Stilllegung der Kernkraftwerke mit einbezieht), wird damit praktisch der gesamte Park von Großkraftwerken demontiert. Also jener Park, der vor allem die kontinuierlich Grundlast-Stromversorgung Deutschlands sicherstellte. Ein vergleichbar stabile, von den Wechselfällen des Wetters und der internationalen Energiemärkte Grundlast-Technologie steht nicht zur Verfügung. Die wohlklingend als „erneuerbar“ bezeichneten Energiequellen bieten diese Stabilität nicht. Das Kuriose, ja, Irrwitzige dieser Demontage erfolgte mit zwei völlig gegenläufigen Begründungen: Der Stilllegungsbeschluss für die deutschen Kernkraftwerke erfolge unter dem Eindruck des Fukushima-Unfalls in Japan, man übertrug die Erdbeben-Gefahr auf Deutschland. Damit nahm man in Kauf, dass die Kraftwerke mit der besten CO2-Bilanz (das sind die Kernkraftwerke) wegfielen. So ernst war das Klimaproblem für die Regierenden also gar nicht. Nun, zehn Jahre später, erklärt man auf einmal den Klimawandel zur Hauptgefahr. Man macht ihn zu einem Verhängnis der Menschheit, von dessen Abwehr angeblich die Bewohnbarkeit des Planeten abhängt. Man hat die gesamten unter den großen Schatten dieser Drohkulisse gestellt und tut so, als müsse man im Notstands-Modus regieren. Was läge da näher, als sofort den Atomausstiegs-Beschluss zu revidieren? Das wäre der Prüfstein, ob es hier wirklich einen Ernst in der Sache gibt. Doch nichts liegt der herrschenden Energiepolitik ferner. Das zeigt, dass hier in Wirklichkeit ein ganz anderer normativer Maßstab verfolgt wird.

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Das Ressentiment gegen die Großkraftwerke (I) – Der gemeinsame Nenner, der die beiden Stilllegungsbeschlüsse – Kernkraftwerke und Kohlekraftwerke – verbindet, ist das „Kraftwerk“. Beide Beschlüsse richten sich gegen die Produktion in industriellen Großkraftwerken. Dass die jeweiligen (hochentwickelten) Technologien völlig unterschiedlich sind, interessiert nicht – der Vorbehalt, der hier zur Demontage führt, richtet sich gegen die „Größe“ der Maschinerie, die solche Kraftwerke darstellen.

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Das Ressentiment gegen die Großkraftwerke (II) – Dahinter stehen ein fundamental industriefeindliches Weltbild und ein normativer Anspruch, der in der Sache nie wirklich begründet wird: der Anspruch, dass die Gewinnung von Energie „naturnah“ erfolgen muss, um nachhaltig zu sein. Die Künstlichkeit der „großen Maschine“, die im Energiesektor entstanden ist, soll ihr Sündenfall sein. Diese Künstlichkeit wird gleichgesetzt mit Instabilität. Stabil kann nur das Naturnahe (und das Naturähnliche) sein, lautet – ausgesprochen oder unausgesprochen – die These. Die Begründung dieser These ist ideologisch: Sie geht von einer Natur aus, die von sich aus stabil ist, von einer präetablierten Naturharmonie.

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Das Ressentiment gegen die Großkraftwerke (III) – Doch dieser fromme Glaube wird von der Realität der regenerativen Energien in Deutschland täglich widerlegt: Hier ist eine bizarre Großapparatur aus unzähligen Anlagen und Leitungen, breit verteilt in der Landschaft, entstanden. Mit täglich neuen Energieströmen, die aufwendig koordiniert und so aus einem Wirrwarr in etwas Nutzbares verwandelt werden müssen. Ein System also, das sehr störungsanfällig ist und für die Stromerzeuger und -verbraucher eher einem Labyrinth gleicht als einem geordneten Betrieb.

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Eine Diktatur auf Raten – Dies alles wird mit absoluter Gewissheit verkündet. Es soll als wahre „wissenschaftliche“ Politik gelten und unrevidierbar sein. Über Deutschland liegt wie ein großer Schatten „der Klimawandel“. Er bildet die eigentlich politische Autorität im Lande. Ohne ihn zu berücksichtigen, darf niemand regieren. Und das gilt nicht nur für eine Legislaturperiode. Nein, wir bewegen uns längst außerhalb einer verfassungsmäßigen Ordnung, die bekanntlich nur Macht auf Zeit zulässt. Jetzt steht da eine andere Zahl: das Jahr 2038. Bis dahin sollen alle Kohlekraftwerke abgeschaltet werden. Bis ins Jahr 2038 sollen das politische Leben in Deutschland also heute schon festgelegt sein. Für diesen Zeitraum (und bis vollendete Tatsachen geschaffen sind) gilt die Demokratie nur eingeschränkt. In dieser zeitlichen Streckung steckt auch Heimtücke. Die Demontage fängt langsam an. „Ihr habt Zeit“ sagen die Regierenden, aber die Richtung liegt fest. Es darf noch über das „wie“ der Demontage diskutiert werden, die Verwaltungs-Frage der Umsetzung soll die politische Frage nach Ausstieg oder nicht ersticken. Der Gewinn dieses 20-Jahres-Plans ist klar: Über die ganze Wegstrecke ist die Regierungsmacht alternativlos. Die Bürger werden mit kleinen Schritten und Geld beschäftigt und hingehalten. Das kann man eine Diktatur auf Raten nennen.

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Ein Treppenwitz – Ausgerechnet diese Regierenden erklären jeden Tag, sie stünden in einer weltweiten Auseinandersetzung zwischen liberaler und autoritärer Politik! Und sie stünden dort selbstverständlich auf Seiten der Freiheit!