Tichys Einblick
Vormärz

Von der „Großen Koalition” zur „Staatskoalition”

Will die CDSU mit jemand anderem als Merkel in die nächste Wahl gehen und denjenigen vorher mit dem Amtsbonus des Kanzlers ausstatten, müssten sie sich bald eine andere Kanzlermehrheit anstelle der GroKo suchen. So oder so: Nach der Bundestagswahl geht es zur Staatskoalition.

FAZ online meldete: Die SPD schließe eine Fortsetzung der großen Koalition ohne Bundeskanzlerin Angela Merkel aus:

„Mit ihr sind wir in diese Koalition gegangen. Und mit ihr werden wir auch aus dieser Koalition wieder herausgehen – regulär zum nächsten Wahltermin“, habe Generalsekretär Lars Klingbeil gesagt. Eine triviale Äußerung. Aber sie lädt ein, ein paar Schachzüge weiter zu denken.

  • Die SPD verweigert sich vorzeitigen Bundestagswahlen. Verständlich, denn die Zahl ihrer Abgeordneten nach der nächsten Wahl wird dramatisch kleiner sein.
  • Die SPD koaliert schon lange gar nicht mit der CDSU, sondern mit Frau Merkel, genauer: den Medien, die (noch) nichts anderes wollen.
  • Die SPD verweigert der Union einen Kanzlerwechsel vor der Bundestagswahl. Merkel hört das gern.
  • Wollen andere der CDSU mit jemand anderem als Merkel in die nächste Wahl gehen und denjenigen mit dem Amtsbonus des Kanzlers ausstatten, müssten sie sich relativ bald eine andere Kanzlermehrheit anstelle der GroKo suchen.

Zur Erinnerung: 709 Abgeordnete konnten abstimmen, 692 taten es. Merkel erhielt 364 Stimmen, neun Stimmen mehr als die nötigen 355 Stimmen. Das waren 35 Stimmen weniger als die 399 Abgeordneten, die CDU, CSU und SPD haben. So sah die Sitzverteilung nach der Bundestagswahl 2017 aus:

Für 355 Stimmen bringen CDSU 246 selbst mit. 80 FDP plus 67 Grüne wären 147. Nun erst mal 246 plus 147 gerechnet, ergäbe satte 393. „Jamaika” könnte sich auch da einen Schwund von gut 30 Stimmen leisten – ein Risiko bleibt, wenn sich die Stimmung im Lande in dem Tempo weiter so aufheizt wie seit der Abwahl von Ramelow in Thüringen.

Dafür dass der Kanzlerkandidat der CDSU Armin Laschet heißen wird, spricht neben allem anderen schlicht und einfach: Er täte niemandem weh. Was bei Frau Merkel immer nur so aussah, denn sie tat Unzähligen weh, würde bei Laschet wahr. Daran, dass CDSU und FDP so ziemlich allem, was immer die Grünen politisch wollen sollten, folgen würden, bezweifelt niemand von den zwei Dutzend Auguren, mit denen ich regelmäßig rede.

„Jamaika” wäre natürlich nur eine Übergangserscheinung ohne einen Hauch von Perspektive. „Jamaika” wäre kein neues Projekt, wie einschlägige Journalisten, NGOs, „Experten” und Politiker begeistert verkünden würden, sondern der Anfang vom Ende. Denn die Zeichen der Zeit stehen auf Zeitgeist-Wechsel. Der realistische Blick in die USA, also nicht der öffentlich-rechtliche und assoziierte, aber auch nach London und anderswo in Europa spricht eine klare Sprache (für ÖRR und Co: Trump ist nicht Ursache, sondern Wirkung). Dass der erneute Zeitgeist-Wechsel in Deutschland verspätet, genauer gesagt zuletzt ankommt, ist deutsche historische Kontinuität.

Wahrscheinlich kommt es aber auch gar nicht zu „Jamaika”, sondern die SPD wird  auch einen Kanzlerwechsel in der verbleibenden GroKo-Zeit mitmachen, weil die Mehrheit der Abgeordneten der SPD lieber beim Verlängerungsspiel sicher dabei sind, als im nächsten nur noch vereinzelt.

Eine Partei hat sich im Demokratie-GAU Thüringen aus dem Rennen genommen: die FDP. Ihr vergleichsweise gutes Ergebnis von 10,7 Prozent bei der Bundestagswahl 2017 holte sie in dieser Höhe nur, weil Lindner den Eindruck von Opposition gegen Merkel vermittelte, ohne in der Sache zu liefern. Dieses taktische Manöver ist schon in die Annalen eingegangen, als die FDP „Jamaika” verhandelte. Seitdem firmiert sie in den Social Media unter dem Etikett „AfD für Feiglinge”. Mit seinem Umgang mit der Wahl von Kemmerich zum Ministerpräsidenten und seinem Beitrag zu dessen Rücktritt hat Lindner etwas geschafft, was noch keinem Bundesvorsitzenden der FDP vor ihm gelang. Er hat alle Flügel der FDP vor den Kopf gestoßen. Die Tage las ich erstmals für FDP den geänderten Spott „Antifa für Feiglinge”. 2013 stürzte die FDP von 14,6 Prozent bei der Wahl 2009 auf 4,8. Warum sollte sie das 2021 von 10,7 bei der Bundestagswahl 2017 nicht auch schaffen?

Aber die weit entscheidendere Frage ist, warum geht alle Welt unausgesprochen davon aus, dass die CDSU bei der nächsten Bundestagswahl überhaupt auf Platz Eins landet? Demoskopisch liegen CDSU derzeit bei 28 Prozent, Grüne bei 22, AfD bei 14, SPD bei 13, Linkspartei bei 9 und FDP bei 8 Prozent.

Muss denn überhaupt noch etwas Besonderes passieren, damit die Grünen die CDSU überholen? 2021 hat die SPD mit unter 10 Prozent zu rechnen. Auf die FDP wartet wie 2013 der Auszug aus dem Bundestag. Die CDSU hat 2017 gegenüber 2013 bemerkenswerte 8,5 Prozentpunkte verloren – warum sollte sich das 2021 nicht in etwa wiederholen? Mir fallen keine Gründe ein.

Wäre ich Berater der Grünen, würde ich ihnen zu einem möglichst frühen Wahltermin raten, denn der Klimahype hält nicht ewig an, die Zeit des schier ungebremsten Wirtschaftswachstums läuft mindestens in Deutschland ab (die absehbaren Folgen des Coronavirus noch gar nicht berücksichtigt) und an der Zuwanderungsfront droht der innenpolitische soziale Verteilungskonflikt – vom Kulturkrieg zu schweigen. Anders ausgedrückt, je früher der Wahltermin, desto größer das Ergebnis der Grünen, je später, desto mehr wählen AfD und Linkspartei.

Mit und ohne einen Zwischenschritt namens „Jamaika” ist der Trend unübersehbar. Er begann mit der „Großen Koalition” und führt zur „Staatskoalition”. Je mehr Stimmen die zwar noch bei Wahlen, aber nicht im parlamentarischen Prozess der Mehrheitsbildung zugelassene AfD kriegt, desto mehr Selbstzugelassene braucht es, um eine Mehrheit für eine Koalition zu bilden. Bis es am Ende alle, die sich selbst im System Parteienstaat zum Prozess Demokratie zugelassen haben, für eine Mehrheit gegen die von ihnen nicht Zugelassene braucht: eine „Staatskoalition”.

Die Alternative ist ein Verbot der AfD. Viele gehen noch davon aus, dass ein solcher Antrag beim Bundesverfassungsgericht scheitern würde. Das muss nicht sein, denn beim Urteil, die NPD nicht zu verbieten, hat das höchste Gericht ja das Scheunentor offen gelassen, die NPD wegen mangelndem politschem Gewicht nicht verboten zu haben.

Unter den Feinden der AfD soll es jedoch auch einige wenige geben, die weiter denken können. Ein Verbot der AfD stürzte die Parteien des Parteienstaats in ein strategisches Dilemma erster Ordnung: Sie verlören das Einzige, was sie zusammenhält, den deshalb wertvollen gemeinsamen Feind. Konstruktiv eint die Parteien, die schon länger da sind als die AfD, NICHTS.

Nur so lange die künftigen Mitglieder der „Staatskoalition” ihren „Kampf gegen Rechts” von ihren NGOs und deren Verbündeten in den Medien führen lassen können, hält die Einheitsfront. Ist die AfD aus dem Rennen um Wähler, bricht die „Staatskoalition” auseinander, bevor sie noch richtig zustande kam.

So oder so stehen die Zeichen der Zeit auf Zeitgeist-Wechsel. Deutschland ist umzingelt von Gesellschaften, in denen dieser unterschiedlich intensiv im Gange ist. Das begonnene Jahrzehnt steckt voller Überraschungen.

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