Tichys Einblick
Öffentliche Kommunikation im Strukturwandel

gilets jaunes: Ein Signal zum Ende von Parteien

Die Parteien sind nur noch Hülle. Die Meinung von NGOs verkünden Massenmedien. Nach ihnen richten sich die Politiker der eingesessenen Parteien. Aber die Gelben Westen zeigen, wie dieser Mechanismus ausgehebelt werden kann. Schnell und jederzeit.

LUCAS BARIOULET/AFP/Getty Images

An den gilets jaunes, die Emmanuel Macron auf dem völlig falschen Fuß erwischten, beißen sich auch die meisten Journalisten die Zähne aus. Die gilets jaunes passen in keine übliche Schublade.

Michaela Wiegel hielt in der FAZ ihre sprechende Beobachtung von Macrons Weg nach seiner Wahl fest, die eine Abwahl des alten französischen Parteiensystems war: »In einem autobiographischen Buch hatte er seinen Landsleuten während des Wahlkampfs eine friedliche „Revolution“ von unten versprochen. Einmal im Elysée-Palast, führt er sich auf wie ein Monarch.« Macrons Bewegung En Marche, dessen fantastisch schnelles Zustandekommen fantastischerweise keine investigativen Journalisten interessierte, entpuppte sich zunehmend als bloß neue Verkleidung des abgewählten alten Parteiensystems. Vollends klar machen das die gilets jaunes, die tatsächlich etwas ganz anderes repräsentieren, als hinter den alten Parteien stand – Le Pens Rassemblement national (RN) eingeschlossen.

Andrés Ortega, Senior Research Fellow am Elcano Royal Institute sagt über die gilets jaunes:

„It could be argued that it is Europe’s first rebellion against the ecological transition, to an economy free of fossil fuels, with the EU heralding the beginning of the end for 2050.” Kurz wiedergegeben: Die gilets jaunes als erste europäische Rebellion gegen die Ökologie-Politik der EU, gegen ihre Öko- und Energiewende.

Das ist gemessen an dem, was Ortega jetzt und schon früher über spontane Massenproteste geschrieben hat, überinterpretiert. Solche spontanen Aufläufe sind in der Welt von Social Media überall und jederzeit möglich. Sie können sich an ganz unterschiedlichen Anlässen entzünden, die eine Gemeinsamkeit haben: Die immer noch weiter zunehmende, dramatisch große Kluft zwischen der classe politique und den Teilen des Volkes jenseits der Profiteure ihres Handelns. Wobei niemand die gilets jaunes mit den casseurs in einen Topf werfen sollte. Diese Hobby-Gewalttäter wie bei den „Autonomen” oder im „Schwarzen Block” sind kein Teil der gilets jaunes, sondern eine Begleiterscheinung aller großen Aufläufe von Berlin bis Paris, von deren Mitläufern Spötter sagen, sie zögen danach zum Ausruhen wieder ins Hotel Mama.

Die gilets jaunes repräsentieren genau jenen Teil der Franzosen, den ihre classe politique in Paris „dort draußen im Lande und an den Bildschirmen” vergessen hat. Es ist der gleiche Teil der Franzosen wie jener der Amerikaner, die Donald Trump gewählt haben, und die nichts besser beschreibt als diese Anekdote über ihn: Eine politisch nicht weiter bewanderte Lady fragte ihn, was ist „white trash”? Seine Antwort: People like me but without money.

Vive la révolution?
2018. 1968? 1789! Gegen die Mächtigen von Gestern
Aufläufe, die wie Volksaufstände anmuten, entzünden sich am berühmten Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Macrons automatisierte Preiserhöhung für Auto-Kraftstoffe war ein solcher Tropfen in das Fass der breiten Unzufriedenheit im „vergessenen Frankreich” fern von Paris, den kleinen und mittelgroßen Städten, den Dörfern in der Provinz – all derer, für die das Auto eine zentrale Rolle spielt, schon alleine für den Weg zur Arbeit: und zwar für jene Autos, wie die gilets jaunes laut zum Ausdruck brachten, die den ökologischen Kriterien der wohlhabenden classe politique aus simplen ökonomischen Gründen nicht entsprechen können. Weil die Leute das Geld einfach nicht haben und auch nicht mehr ausgeben wollen für das ökologische Wohlbefinden der classe politique.

Die Medien berichteten über die gilets jaunes auf den Straßen von Paris, aber diese sind seit Wochen an über 2.000 Orten unterwegs, die gilets jaunes weisen jede Vereinnahmung durch Oppositionspolitiker und andere Etablierte zurück. Ihre Empörung kam wohl durch nichts besser zum Ausdruck als am instinktlosen Bild von Macron selbst, das sich sofort gegen ihn wandte: vom Ende der Welt und vom Ende des Monats. Wenn zwei Drittel der Franzosen in Umfragen die gilets jaunes unterstützen, spricht das Bände. Der Volkszorn ist weit verbreitet.

Dass Macron schließlich nachgab, fürs erste jedenfalls die Kraftstoff-Preis-Automatik zurücknahm, kommt einer Bankrotterklärung seiner politischen Pläne insgesamt gleich. Wer einmal nachgibt, muss es immer wieder tun. Aber die Lehre der gilets jaunes reicht wesentlich weiter. Die gilets jaunes signalisieren unüberhörbar, dass die Zeiten, in denen politische Parteien die politische Willensbildung des Volkes organisierten, für die öffentiche Debatte bündelten und kanalisierten, um in Parlamenten oder vereinzelt auch Volksabstimmungen zu Entscheidungen zu kommen oder diese nur zu verschieben, sind vorbei.

Entscheidungen werden in der Massenmedien-Demokratie getroffen, indem Politiker mit dem, was von den Parteien als Hülle blieb, das tun, was die Massenmedien populär machen. Was Massenmedien gut finden, erfahren sie von ebenso engmaschigen wie undurchsichtigen Netzwerken von NGOs, denen jede demokratische Legitimation fehlt, die aber die öffentliche und veröffentlichte Meinung mehr bestimmen, als es die Parteien je taten – und zwar in eine einzige Richtung, nicht konkurrierend.

Doch mit Hilfe der neuen Kommunikationsformen des Internets können die Mechanismen der alten Massenmedien-Demokratie jederzeit und unerwartet ausgehebelt werden. Siehe Trump und siehe die gilets jaunes. Spontane, meist zeitlich begrenzte Bewegungen wie die gilets jaunes brauchen nicht nur keine Strukturen, sie dürfen keine haben, das macht ihre Wirkung aus – und ihre kalkulierbare Unkalkulierbarkeit.

Das ist noch keine neue Politik und kein neues Politiksystem. Aber es zeigt, dass es möglich ist, den alten Systemen Beine zu machen oder sie ihnen ganz wegzuschlagen. Sicher nicht in Deutschland zuerst, aber passiert es in Frankreich und den USA oft genug, schwappen solche Bewegungen auch ins Land der Obrigkeitsgläubigen – mit der üblichen Verspätung. In Deutschland rollt eben alles langsamer – selbst politische Lawinen.

Anmerkung: Dass sich die Proteste nach Belgien und die Niederlande ausweiten, unterstreicht die Bedeutung jenseits des Endes der Parteien.