Tichys Einblick
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 9. April 2017

Stockholm-Attentat: Vom brüllenden Schweigen der Wörter

Lastwagenfahrer ist der neue Code für das Nicht-Gesagt-werden-Dürfende, was aber den Neusprechlern in Kummer weil sofort ins Gegenteil umschlägt.

Es ist ein Kreuz mit diesen Berichten über islamistische Attentäter: Verschweigen geht nicht mehr, aber benannt werden darf auch nicht, was zu politisch unerwünschten Folgerungen der „dummen“ Leser führen könnte. Also spricht das ZDF vom „Vorfall“ in Stockholm; die Berliner Zeitung titelt: „Wieder ein Lastwagen“. Genau. Es ist gefährlich mit diesen Lastwagen.

In der Methode des brüllenden Verschweigens unerwünschter Nachrichten meldet die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: „Lastwagenfahrer gefasst“. Weiter liest man dann allerlei von Verbindungen zu terroristischen Vereinigungen, die nicht näher benannt werden.

Nun kennen Sie sicher das Experiment mit den fehlenden Buchstaben: Man ann in di sem Te t ungefähr ein Drittel der Buchstaben auslassen, und die Leser merken es gar nicht. Unser Verstand füllt die Leerstellen einfach auf. Aus dem Kontext wird auf den Sinn geschlossen. So ist es auch, wenn erwartbare Information ausgelassen werden. Man ergänzt sie einfach. Daran erkennt man die ins Verzweifelte reichende Methode, unerwünschte Informationen (die Sie hier auch nicht lesen, sondern einfach ergänzen) einfach nicht zu drucken.

Der Lastwagen also. Aha. Und gut, dass der Lastwagenfahrer jetzt festgenommen wurde. Nun hat der Lastwagenfahrer den Lastwagen geklaut, ist also sowas wie ein selbsternannter Lastwagenfahrer, und kein Mitglied der ehrenwerten Gilde der Berufskraftfahrer, denen wir so viel verdanken wie das Brötchen und die Zeitung am Frühstückstisch. ‚Lastwagenfahrer‘ ist der neue Code für das Nicht-Gesagt-werden-Dürfende. Zudem gehört er zu einer ungenannten terroristischen Vereinigung, wobei wir alle wissen: Es waren diesmal nicht die Katholiken der irischen IRA, auch nicht baskische Separatisten, die Rote Armee Fraktion fällt vermutlich auch durch das geschulte Raster unseres Gehirns. Insofern hinterlässt die fehlende Information keine Leerstelle. Wir füllen sie genau so auf, wie wir es nicht tun sollen. Die Schlauheit der Menschen trickst die Vertuschungsversuche aus.

Was immer die Sprecherin von diesem Vorfall sagt – die Erinnerung an Berlin und Nizza ist schon da, da ist das Wort Vorfall noch nicht zu Ende gesprochen. Der Lastwagen als Sprachcode löst genau das aus, was er nicht soll: Die Leerstelle der Information wird aufgefüllt mit unserem geheimen Erfahrungsschatz.

Jenseits der Medien entsteht eine raunende, ahnungsvolle Bewusstseinslage. So in etwa war die Berichterstattung ja auch im Neuen Deutschland. Der Spott der Bevölkerung, die sich schon lange nicht mehr in die Irre führen ließ, durch immer neue Sprachcodes der Beschönigung und Verschleierung, sagte beispielsweise: Kürze, das ist die Stadt, in der es alles gibt. Denn die offizielle Antwort angesichts leerer Regale lautete ja nicht: „Gibt´s nicht“, sondern „Gibt´s in Kürze“. In Kürze gibt es also alles, was es nicht gibt. Und Lastwagenfahrer, die gar keine sind, sind die neuen Täter, die keine Informationen in Kürze bringen.

Legt die virtuelle Konkurrenz an die Kette!

Dazu passt ein liebedienerisches Stück über das Internetzensurgesetz unseres famosen Meinungswarts im Amt des Bundesjustizministers. Man spürt förmlich das Verlangen, dass endlich jene Medien an die Leine gelegt werden, in denen noch über die Hintergründe von Vorfällen berichtet wird und in denen in Zweifel gezogen wird, dass der ‚Lastwagenismus‘ (s.u.) wirklich für die Morde von Stockholm, Berlin und Nizza verantwortlich ist. Wieso sollen andere schreiben dürfen, was man selbst nicht schreiben mag und dabei ist, an der eigenen PC zu ersticken wie an einer fauligen Fischgräte? Unsere Twitter-Show zeigt den fröhlichen Spott über verklemmte Redakteure, die schwer an ihrer Verantwortung für das Gedeihen der staatlich verordneten Politik tragen. Die Selbstzensur soll durch die Staatszensur abgerundet werden.

Es sei nicht verschwiegen, dass es in der FAS auch Berichte gibt, die lesenswert sind, wenn auch nicht so spürbar mit der feinschmeckerischen Note des verzweifelten Beschönigens gewürzt.

Rainer Hank und Bettina Weiguny schreiben darüber, dass Familie einmal eine private Angelegenheit waren. „Heute ist sie ein Staatsunternehmens zur Disziplinierung wickelfauler Väter.“ Es berichtet vom ebenfalls verzweifelten Versuch der Familienministerin Manuela Schwesig, Männer an der Karriere dadurch zu hindern, dass man ihnen 150 € gibt, wenn sie ihren beruflichen Ehrgeiz zügeln und maximal 35 Stunden arbeiten. Damit sie sich die Familienarbeit mit der Frau Gattin teilen, die ja bekanntlich komplett unfähig ist, ihre Vorstellung durchzusetzen. Die neue Sklavenbefreiung wird sicherlich Erfolg haben; es bleibt nur offen, wer denn eigentlich noch für die 150€ aufkommt.